I LIE TO YOU

By larellee

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Du kennst jemanden, wenn du weißt, wovor er sich fürchtet ... Ihr Lächeln zieht jeden in den Bann, seine Auge... More

Vorwort
Aesthetics
Letzter Atemzug
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Epilog
Nachwort + Dankesagung

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By larellee

Ace

»Sag mal, hast du den Tag über deine Stimme verloren?«, fragt Josh belustigt.

Elian lacht laut. »Bestimmt hat der diese Hausarbeit verschissen. Oder vergessen.«

Ich funkle ihn böse an. Wir sind auf dem Weg nach Hause, zu Henry, um ihn abzuholen. Heute steht Party auf dem Plan und ich hatte keinen wirklichen Grund, nein zu sagen. Und hier bin ich, neben zwei taktlosen Arschlöchern, die trotzdem meine besten Freunde sind.

Aber vielleicht hilft das sinnlose betrinken ja. Wobei nein, wird es nicht, weil es eben sinnlos ist. Und morgen muss ich in die Redaktion. Aber an dem Einen oder anderen Drink komme ich vermutlich nicht vorbei. Nicht bei Elian, selbsternannter Party-König, seit dem ersten Semester. Den Titel hat bisher noch niemand anerkannt, dennoch besteht er darauf.

An seinem Zwanzigsten haben wir ihm eine Plastikkrone gekauft und er hat sie den ganzen Tag in der Uni getragen. Und dazu gehörte wirklich Mut, denn wenn jemand wie Brian das macht, ist es lustig, originell und absolut feierlich.

Wenn aber ein geouteter Schwule mit einer Krone durch die Flure läuft, ist es ein typischer 'Homo-Move'. Jedenfalls aus dem Mund seiner Gegner. Abartig. Aber Elian lässt sowas nicht an sich heran, was auch gut so ist. Henry ist da eindeutig sensibler. Der Boden ist noch feucht vom Regen, der uns in der siebten Stunde überrascht hat. Für ungefähr zehn Minuten hat es wie aus Eimern gegossen, seitdem scheint die Sonne, als wäre nichts gewesen.

Und jetzt stampfen wir die Straße entlang, bis zu Henrys Appartement, um zu einer Party zu fahren, auf die ich absolut keine Lust habe. Wobei, eigentlich bin ich der Einzige, der frustriert rumstampft.

»Sag mal, was trampelst du hier so rum? Wie ein Elefant, Junge, Junge ... Was macht dich denn so aggressiv, dass der Boden darunter leiden muss?«

Josh zieht eine Augenbraue hoch und ich gehe wieder normal.

»Alles gut«, schnaube ich nur.

Elian lacht. »Ach komm, der braucht einfach nur ein bisschen Party, dann ist alles wieder in Ordnung.«

Ich verdrehe die Augen. Als wenn mir da Alkohol helfen könnte. Nein, das kann er nicht. Ich hatte nie gedacht, so anfällig für Ablehnung zu sein, aber offensichtlich war ich das.

Ablehnung tut weh.

Wir gehen immer weiter, bis wir im ärmlichen Teil New Yorks ankommen. Noch etwa drei Straßen, dann sind wir da. Die Wohnung ist klein, deswegen hasst Henry es über alles, wenn wir zu ihm kommen. Und er hasst Alkohol und Drogen, die es auf der Party vermutlich wieder geben wird. Der einzige Grund, warum er überhaupt mitkommt, ist, weil er auf Elian aufpassen will, wenn beide feiern.

Und Elian will auf Henry aufpassen.

Die Straßen sind schmutzig, viele Fenster eingeschlagen und selbst die Menschen sehen irgendwie verwahrlost aus. Es gab eine Zeit, da habe ich auch in so einem Teil der Stadt gelebt. Nur auf der anderen Seite, in Brooklyn. Eine abgemagerte Frau sitzt an der Biegung in Henrys Straße. Mit ihren mageren Fingern hält sie einen alten, abgenutzten Kaffeebecher in der Hand. Nur ein paar Geldstückchen liegen darin. Elian seufzt, bleibt stehen und wirft ihr ein paar Dollarscheine hin.

Dankbar lächelt sie.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer gewaltig sein, aber wenn immer ich hier bin, um Henry zu besuchen, wird mir klar, wie glücklich ich mich eigentlich schätzen kann.

Wie glücklich ich sein sollte, dass Caleb mich aus den Fängen meiner Tante geholt hat. Ich hatte ein einschneidendes Erlebnis, eines, dass mich zu dem macht, der ich heute bin und dass mir niemals aus den Knochen verschwinden wird. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was mit den Menschen hier passiert. Wie schwer es sein muss, nicht einmal zu wissen, ob man den nächsten Monat über die Runden kommt.

Denn wo ist letzten Endes der Unterschied auf deiner Seele.

Ist es nicht irrelevant, ob deine Seele mit einem einzigen wichtigen Ereignis irreparabel beschädigt wird, oder mit vielen kleinen? Wenn der Schaden der gleiche bleibt?

Wir setzen unseren Weg fort, bis wir vor der roten Haustür stehen. Die Farbe ist an einigen Stellen abgeblättert.

So rot wie die Lippen von Paige.

Schnell verscheuche ich den Gedanken und klingle. Henry lässt uns nicht rein, sondern läuft sofort zu uns raus.

»Lass uns einfach abhauen, okay?«

Elian mustert ihn besorgt, die Lippen fest zusammengepresst.

»Später«, formt Henry lautlos und Elian nickt verständnisvoll.

»Leucos holt uns gleich ab, aber an der Hauptstraße. Lass uns einfach hier wegkommen.«

Henry ist fast nie in seiner Wohnung. So viel wie nötig, so wenig wie möglich, das ist sein Motto. Er massiert sich die Schläfe und umfasst Elians Hand fest. Dann hält ein schwarzer Monsterwagen vor uns und Leucos kurbelt das Fenster runter. »Macht schnell, hinter mir ist eine riesige Schlange!«

Hinter ihm hupen schon einige Autos wütend, einer zeigt uns sogar den Mittelfinger. Elian winkt ihm lachend zu.

»Was soll das?!«, brüllt jemand außer sich vor Wut.

Schnell steigen wir ein. Schon in dem Moment, in dem Josh die Tür schließt, fährt Leucos in einem Affenzahntempo los.

»Wo ist die Party überhaupt?«, frage ich.

»In einer Studentenverbindung von 'n paar Kumpels. Ist ganz kuschelig da.«

»Und wo genau ist das jetzt?«

»Park Ave«, nuschelt der Kerl. Ich meine, ihn als Leucos in meinem Kopf behalten zu haben.

Innerlich stöhne ich. Zuerst einmal sind wir gerade auf der 9th Avenue, bei dem Verkehr brauchen wir verdammte Jahre. Und dazu kommt, dass ich in der Upper West Side wohne. Das bedarf dann nochmal einiges an Zeit, da hinzukommen. Und Caleb macht Überstunden. Was nicht schlimm ist, nur kann ich dann schlecht kurzzeitig abhauen.

Wieder einmal verfluche ich Elian dafür, dass er sich mit allen möglichen Leuten anfreunden muss. Aber vermutlich akzeptieren diese Leute seine Sexualität einfach. Bei ihm und Henry an der Schule damals war dies nicht wirklich der Fall. Oder besser gesagt, die meisten interessiert es nicht. Nur lehnt sich auch keiner gegen Brian und seine Kumpels auf. Schweigend fahren wir, es ist totenstill im Auto, bis auf einen kitschigen Song im Radio.

»Alter, was ist das denn für eine Rotze? I can kiss away your pain? Ich kotz deinen Schmerz weg, anstatt ihn wegzuküssen! Wer um alles in der Welt würde sowas jemals sagen?!«

Leucos tippt auf dem Autodisplay rum und schon bald dröhnt Rapmusik durch die Musikanlage. Josh spielt auf seinem Handy rum, aber von meiner Position aus, rechts am Fenster, allerdings hinten, während er vor mir sitzt, erkenne ich nicht, was er schreibt.

»Ist es okay, wenn Lillian zur Party kommt? Wir schreiben gerade.«

Leucos flucht und bleibt abrupt stehen, die Ampel ist von grün auf Rot geschaltet.

»Klar, je mehr Leute, desto besser.«

»Okay... Sehr gut.«

Eine Weile sagt wieder nichts. Elian und Henry halten Händchen und grinsen sich gegenseitig die ganze Zeit zu, als würden sie sich in Gedanken unterhalten.

»Kann sie auch eine Freundin mitbringen?«, fragt Josh weiter.

Verdammt Josh, du Arsch!

Bitte sag nein, Leucos. Aber nein, ich werde nicht erhört, stattdessen sagt er: »Von mir aus. Kommt drauf an, wie sie aussieht.«

Ich verdrehe die Augen, typisch Leucos. Dann dreht Josh sich zu mir um und verrenkt sich dabei fast den Hals, es sieht wirklich ungesund aus.

»Sie sieht schon sehr gut aus, nicht Ace?«

Ich schenke ihm nur einen bitterbösen Blick, den er mit einer hochgezogenen Augenbraue quittiert. Er wendet sich seinem Handy zu und tippt wieder.

Dann vibriert mein Handy in meiner Gesäßtasche. Ich stöhne genervt auf und versuche, mein Handy aus der Tasche zu fischen.

»Alles klar da hinten, Alter?« Leucos lacht belustigt. Ich antworte nicht, sondern lese einfach nur Joshs Nachricht.

Josh:

Bist du wegen ihr so scheiße drauf?

Wer gemeint ist, ist jawohl klar. Ich bohre ihm Löcher in den Nacken, mit meinen Blicken, aber die beachtet er nicht.

Du:

Später

Josh seufzt auf. Wenige Minuten später kommen wir an. Elian klettert als erster aus dem Wagen und greift mit einer galanten Bewegung nach Henrys Hand.

»Die Dame«, flüstert er kichernd und verbeugt sich demütig. Henry schmunzelt nur und brummt: »Alter Charmeur, versuchst mir wohl den Abend zu versüßen, hm?«

Elian grinst ebenfalls. »Tja, solange es mir gelingt.«

Gemeinsam steigen wir die Treppen hoch, sogar im Erdgeschoss sind die wummernden Beats zu hören. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Nachbarn nicht schon die Krise bekommen haben. Vor allem, weil das hier wirklich ein Dauerzustand ist.

Nach endlosen Treppenstufen kommen wir endlich oben an. Die Tür ist leicht angelehnt. Jeder könnte hier reinkommen, jederzeit. Sehr sicher. Ich hätte ja Angst um meine Wertsachen. Aber auf der anderen Seite ist die Musik so laut, da hört man die Klingel vermutlich gar nicht. Josh greift nach meiner Hand und schiebt mich sofort in eine Ecke im Wohnzimmer. Er baut sich vor mir auf, so gut es geht, immerhin ist er zehn Zentimeter kleiner.

»Jetzt sagst du mir mal, was eigentlich los ist. Du ziehst schon den ganzen Tag eine Flunsch. Oder besser gesagt, seit dem Matheunterricht. Ich glaube nicht, dass du einfach nur Frustration mit der Uni hast. Oder mit deinem Praktikum.«

Ich stelle mich neben ihn und betrachte die Partymeute. Er lässt mich nicht aus den Augen, wartet auf eine Antwort. Es ist ziemlich dunkel, nur einige Lampen, die die Farbe wechseln, beleuchten den Raum spärlich.

Auf der Couch kiffen ein paar Typen, es stinkt entsetzlich nach Gras, und ein Pärchen macht wild miteinander rum. Und sie werden von einem Mädchen gefilmt, vielleicht die beste Freundin. Die Luft ist muffig und es ist total heiß hier, so in etwa stelle ich mir das Innenleben in der Sonne vor. Josh steht noch immer abwartend neben mir. Ich gebe nach.

»Ach was weiß ich. Ich habe Paige um ein beschissenes Date gebeten und dann war sie so richtig ablehnend ... Keinen Ahnung. Ich weiß selber nicht, warum mich das so runterzieht.«

Josh lacht nur. »Oh Mann. Und ich habe dir extra geraten, sie einfach nur flachzulegen. Aber nein, du musstest ja gleich ein Date wollen. Vielleicht will sie einfach nichts Festes?«

Die Idee war mir natürlich auch gekommen – soweit kann ich schon denken, nur gibt es bestimmte Dinge, die mich an der Theorie stören. Warum der verängstigte Ausdruck, als hätte sie vor etwas Angst. Ein Date bedeutet nicht, dass man automatisch zusammen ist. Vielleicht hat sie auch generell Angst, Leute an sich heranzulassen.

»Möglich. Trotzdem. Ich hatte das Gefühl ... keine Ahnung, dass sie ja sagen würde. Sie hat mich ja fast schon dazu gebracht, wirklich nachzufragen.«

»Hm. Vielleicht hat sie Angst, sich jemandem emotional zu nähern und hat erst später begriffen, dass sie das wirklich stört.«

Ich habe Probleme, ihn zu verstehen, so laut ist es, irgendwie gelangen die Worte dann aber doch in meinen Kopf.

»Was weiß ich. Ist auch egal.«

Josh brummt etwas Zustimmendes, dann richtet sich sein Blick auf jemanden im Türrahmen.

Lillian. Ihr braunes Haar ist leicht verwuschelt, ihre Lippen sind in einem dunklen Rosa geschminkt, ein dunkelgrünes Kleid liegt eng an ihrem Körper. Bei dem Anblick weiten sich Joshs Augen. Ich will den Kopf schon abwenden, als ich etwas hinter ihr bemerke. Oder besser gesagt: Jemanden. Nein, nicht jemanden, sondern sie. Paige. Lillian zupft an Paiges dunkelblauen Kleid und deutet in meine Richtung.

Und dann treffen sich unsere Blicke.

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