13 Reasons Why

By _Roxana_Tomlinson_

22.2K 719 23

Abigail Johnson und Hannah Baker waren Freundinnen gewesen, jedoch schien diese Freundschaft nur oberflächlic... More

Kassette 1, Seite A
Kassette 1, Seite B
Kassette 2, Seite A
Kassette 2, Seite B
Kassette 3, Seite A
Kassette 3, Seite B
Kassette 4, Seite A
Kassette 4, Seite B
Kassette 5, Seite A
Kassette 5, Seite B
Kassette 6, Seite A
Kassette 6, Seite B
Kassette 7, Seite A
Das erste Polaroid
Zwei küssende Mädchen
Die betrunkene Schlampe
Das zweite Polaroid
Die Kalkmaschine
Das Lächeln an den Docks
Das dritte Polaroid
Das kleine Mädchen
Die fehlende Seite
Lächeln, Bitches
Bryce und Chloe
Die Kiste Polaroids
Bye
Wo ist Bryce?
Wer atmet, ist ein Lügner
Gute Menschen sind nicht von schlechten zu unterscheiden
Niemand ist sauber
Man kann andere anhand ihrer Trauer beurteilen
Mit Abigail Johnson gibt es eine Reihe von Problemen
Sogar an einem guten Tag lässt sich schwer sagen, wer auf deiner Seite ist
Immer auf die nächsten schlechten Nachrichten vorbereitet sein
Der Kreis wird kleiner
Da gibt es etwas, das ich dir nicht erzählt habe
Und dann kam das Unwetter
Lass die Toten die Toten begraben
Winterferien
Campus-Tour
Valentinstag
Abschluss-Camping
Hausparty
Donnerstag
Vorstellungsgespräch am College
Angenommen/abgelehnt
Abschlussball
Positiver Einfluss

Wütend, jung und männlich

240 8 0
By _Roxana_Tomlinson_

Ich mein, wie sieht so ein Killer überhaupt aus? Also mal ganz im ernst. Wir haben absolut keine Ahnung. Jessica hat sicher genug Gründe, um Bryce den Tod zu wünschen. Aber es dann echt durchzuziehen? Das ist was völlig anderes. Schon den ganzen Morgen versuche ich Tyler zu erreichen, doch es geht immer nur die Mailbox ran. Dass er eine Waffe besitzt macht mir unfassbar große Sorgen. Seufzend lasse ich den Arm sinken, um Tyler ein weiteres Mal auf die Mailbox zu sprechen. "Tyler, hey hier ist Abby. Hör mal, kein Plan, ob du gestern meine Nachrichten gekriegt hast, also ich werd gleich vorbeikommen. Dann regeln wir das. Du musst dir keine Sorgen machen. Alles wird gut." Leider weiß ich nur nicht, ob ich das sage, um Tyler zu beruhigen oder vielleicht um mich selbst aufzubauen. Denn mein Herz schlägt mindestens genauso schnell wie damals beim Frühlingsball. "Na dann, bis gleich." Was für ein Mensch muss man sein, dass man zu sowas fähig ist?

Als ich nach Hause komme duftet es irgendwie nach Blumen und frischer Wäsche. Mein Vater trägt einen Anzug, was mich verwirrt die Stirn runzeln lässt. Tante Polly trägt ein Kleid und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie beim Friseur war. Die Küche glänzt, als würden wir nie hier essen. "Hey, Abby. Bist du bereit?", fragt mein Vater mich und richtet den Kragen seines Hemdes.
"Wofür denn?", frage ich und schaue verwundert zu dem Blumenstrauß auf dem Küchentisch.
"Für den Besuch für Justin. Die Frau vom Jugendamt müsste jeden Moment hier sein.", erklärt Tante Polly fröhlich. Sie nimmt ein paar Teller und stellt sie auf den Tisch. Der Besuch, der über die Adoption entscheidet... Den habe ich völlig vergessen. Ich schließe kurz die Augen und zwicke mir in die Nasenwurzel. Das darf doch nicht wahr sein. Ausgerechnet heute. "Oh das. Ja, ganz toll. Muss ich denn echt dabei sein?", frage ich nach.
"Abby, das Jugendamt soll doch sehen, dass Justin hier eine Familie und ein schönes Zuhause gefunden hat."
"Bist du... Du findest das immernoch alles gut oder?", hakt mein Vater nach. Seit den Ereignissen kümmert er sich mehr denn je darum, dass es mir gut geht. Er bindet mich immer in seine Entscheidungen mit ein.
"Oh ja, klar alles cool. Ich... Ich hab nur was, was ich noch erledigen muss, aber ich überleg mir was.", sage ich nachdenklich. "Ich habs kapiert. Ne große, glückliche Familie.", füge ich hinzu, als mein Vater mich unsicher ansieht. Lächelnd verlasse ich die Küche, um nach oben zu gehen. Gerade kommt mir Justin, frisch geduscht entgegen. Er trägt einen Bademantel und über seiner Schulter hängt ein Handtuch. "Mein Dad und Tante Polly sind heute echt schräg drauf.", teile ich ihm kopfschüttelnd mit.
"Bryce wurde erschossen.", kommt es wie aus der Pistole geschossen. Mir gefriert sämtliches Blut in den Adern, als Justin diese Worte ausspricht.
"Was?", frage ich entsetzt.
"Ja, der Evergreen County Register hat es heute morgen gemeldet." Und ganz plötzlich kommt nur noch ein Mensch in Frage. "Erschossen, oh Gott...", murmel ich leise vor mich hin.
"Ist schon abgefuckt, oder?", fragt Justin mich.
"Justin, bitte erzähl es noch nicht meiner Familie.", bitte ich ihn.
"Klar, vertrau mir."
"Danke.", sage ich und bewege mich Richtung Hintertür. "Ich muss kurz jemanden anrufen."

Es gibt einen Schüler auf der Liberty High, den es von uns allen vielleicht am schlimmsten getroffen hat. Der, der am meisten durchmachen musste. Und das ist Tyler Down. Ich hab Tony zu Tyler geschickt, in der Hoffnung er würde sich um die Sache kümmern. Wenn Tyler wirklich was damit zu tun hat, steckt er in großen Schwierigkeiten. "Sie und Justin teilen sich ein Zimmer, richtig? Kommt es da mal zu Problemen?", fragt mich die Frau vom Jugendamt. Wir sitzen im Esszimmer unseres Hauses. Allein, denn sie will auch mit jedem Einzelgespräche führen.
"Nein, ich hab gern einen Mitbewohner. Bruder und Mitbewohner. Ja, beides ist echt super.", erzähle ich und beobachte wie die Frau alles mitschreibt.
"Haben Sie und Justin auch gemeinsame Hobbys?"
Gemeinsame Hobbys? Wohl kaum. Doch das kann ich der Frau gar nicht so sagen, wenn ich möchte, dass Justin weiterhin bei uns wohnen darf. "Oh ja, jede Menge sogar." Sie blickt mich ungläubig an, wartete jedoch, dass ich weiter spreche. "Sport..." Und das ist auch das einzige, das über meine Lippen kommt. Dieses Gespräch wird schwerer als ich dachte.

Wir haben uns alle echt große Sorgen um Tyler gemacht. Und das schon seit einer ganzen Weile. Alle hatten nach dem Frühlingstanz versucht Tyler zu helfen. Wir haben uns um ihn gekümmert. Vor allem ich. Aber was wenn das alles nichts gebracht hat? Könnte Tyler jemanden umbringen? Hat er Bryce getötet? Während ich Justin und die Frau vom Jugendamt beobachte, vibriert mein Handy. Ani schreibt mir. Wo bist du? Seufzend lasse ich das Handy in meiner Jackentasche verschwinden. Es dauert ungefähr noch zehn Minuten bis Justin fertig ist. "Lass uns auf dem Weg beim Geldautomaten halten.", sagt er, als wir in unserem Zimmer sind.
"Was? Nein, wieso?", frage ich entgeistert und nehme meinen Rucksack.
"Wegen Jessica. Nach allem verdient sie ein anständiges Date. Was ist denn mit dir los? Wir haben jetzt nen Freifahrtschein.", meint Justin mit vollem Mund. Wie kann er in so einem Moment nur essen?
"Tyler braucht unsere Hilfe, um ne Waffe loszuwerden. Er meint, er wär jetzt mit der Sache durch. Ich glaub, er versteckt sie in der Schule.", erkläre ich und stopfe meine Bücher gewaltsam in den Rucksack.
"Fuck, du denkst doch nicht, dass er..."
"Ich hab keine Ahnung.", unterbreche ich Justin. "Gut, Jessica passt ne Weile auf ihn auf, aber wir müssen uns beeilen."
Ehrlich gesagt ist es nicht schwer das alles über Tyler zu denken. Tyler ist echt schräg. Man hört doch über Killer immer dasselbe. Sie sind Einzelgänger, stehen auf alles, was mit Tod zutun hat und haben so eine Wut auf die Welt. Tyler ist genau so. Man sieht es ihm nicht an, aber tief im Inneren ist er bereit zu töten. Er ist jung. Und verdammt wütend. Tyler ist unberechenbar. Es war nur eine Frage der Zeit bis wieder was passieren würde. Ich weiß nicht warum, aber wir haben es alle geahnt. An dem Tag, als wir hören, dass Bryce erschossen wurde, sind wir uns sicher, es wäre unsere Schuld. Aber der, der sich am meisten Sorgen um Tyler macht, bin ich.

"Ich bin eben erst gekommen. Ich konnt noch nicht mit ihm sprechen.", erkläre ich Ani im Unterricht, als sie mich anspricht. Hätte ich nicht zu Hause festgesessen, hätte ich das Problem beheben können. Auch wenn ich noch nicht genau weiß wie.
"Glaubst du denn wirklich, er hätte Bryce umgebracht?", fragt Ani mich skeptisch.
"Ich weiß es nicht. Ich mein, keine Ahnung, ich dachte echt, es geht ihm besser."
"Aber denkst du, dass er dazu fähig wäre, jemanden zu töten?", hakt Ani nach. Ungläubig sehe ich sie an.
"Du etwa nicht? Gestern hast du das noch gesagt."
"Ja,aber ich dachte auch, Jessica hat was damit zu tun. Und ich lag falsch."
Unentschlossen schaue ich rüber zu Tyler. "Beim Frühlingstanz wäre er dazu auf jeden Fall fähig gewesen. Das konnte ich ihm ansehen.", sage ich seufzend. Diesen Blick, den er hatte werde ich wohl nie vergessen.
"Aber danach gings ihm doch besser. Oder etwa nicht? Es wirkte so."
Ich will daran glauben, dass unsere Hilfe nicht umsonst war. Ich kann Tyler nicht im Stich lassen. Niemals.

Seufzend stieß ich die Tür vom Kinosaal auf. "Im ernst. Es ging nur um nen Kerl, der rumsitzt und Leute beobachtet. Also wo soll der Film bitte spannend sein?", fragte ich lachend.
"Aber genau das macht ihn doch zum Helden, weißt du? Er sitzt im Rollstuhl, nur mit nem Fernglas und rettet trotzdem jemandem das Leben.", erklärte Ani mir.
"Seh ich auch so.", warf Tyler ein, der immer noch sein Popcorn aß.
"Dankeschön, Tyler.", bedankte sich Ani und blickte mich triumphierend an.
"Ich glaube, wir haben zwei völlig unterschiedliche Filme gesehen. Aber wenigstens war seine Kamera ganz cool.", sagte ich und griff in die Popcorntüte, die Tyler in der Hand hielt.
"Exakta VX. Ein Klassiker.", meinte Tyler mit vollem Mund.
"Es geht nicht um Action, Abby. Es geht...", begann Ani, konnte jedoch den Satz nicht selbst beenden. Belustigt zog ich eine Augenbraue nach oben und sah sie abwartend an. "Hilf mir mal Tyler." Hilfesuchend wandte sie sich an den immer noch essenden Jungen.
"Schlimme Dinge passieren fast täglich. Aber sie fallen uns nicht mal mehr auf, verstehst du? Wenn wir etwas mehr Zeit damit verbringen würden mal hinzusehen und zuzuhören, naja, unseren nächsten Nachbarn, was da so abgeht, dann würden schlimme Dinge nicht so oft passieren.", erklärte Tyler. Automatisch bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Denn hätten wir damals mehr auf Tyler geachtet oder auf Hannah, wäre alles vielleicht anders gekommen. Ani und ich schwiegen. "Oder ist das nicht das, was du meinst?", wandte sich Tyler fragend an Ani.
"Das ist exakt das, was ich meinte. Du bist brillant.", meinte Ani lächelnd und küsste seine Wange. Ich verkniff mir ein Lachen und sah Tyler belustigt an.
"Ich hol dann mal noch ne zweite Portion Popcorn. Die ist für zu Hause, also...", stotterte Tyler und ging an uns vorbei. Lachend schüttelte ich den Kopf.

"Ja, kann sein. Aber... Was ist, wenn alles, was wir getan haben oder was wir versucht haben zu tun, was ist wenn das alles umsonst war?", frage ich Ani verzweifelt, als ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann.
"Nein, ich glaube wirklich, dass Menschen sich ändern können. Ich weiß, dass sie es können.", versucht Ani mich aufzumuntern.
"Du denkst dabei an Bryce.", stelle ich fest und rutsche auf meinem Stuhl hin und her.
"Nein, ich meinte jeden von uns. Es dreht sich nicht alles um Bryce."
"Naja, irgendwie schon, findest du nicht? Zumindest im Moment.", widerspreche ich.
"Entschuldigung, kann ich aufs Klo?", nehme ich die Stimme von Tyler wahr. Sofort drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Als der Lehrer sein ok gibt, steht er auf, nimmt seinen Rucksack und verlässt den Raum.
"Kann ich auch kurz?", frage ich, nachdem Tyler gegangen ist. Schnell schnappe ich mir meine Tasche und folge Tyler unauffällig. Was mich allerdings stutzig macht, ist die Tatsache, dass er nicht zu den Herrentoiletten geht, sondern nach draußen. Leise folge ich ihm bis in den Tiger-Creek-Wanderweg. Hinter dem Schild verstecke ich mich für ein paar Sekunden. Dann nehm ich all meinen Mut zusammen und gehe zu ihm. "Tyler!", rufe ich, doch als ich sehe, dass er vor den Büschen steht und pinkelt, mache ich die Augen zu. "Hey, scheiße. Abby? Was machst du hier draußen?", fragt Tyler.
"Oh Gott, ich... Als du nach draußen bist, dachte ich... Ich wollte nur kurz mit dir reden, aber mir war nicht klar, dass du so weit laufen würdest, um du weißt schon...", versuche ich mich zu erklären. Tyler hört auf zu pinkeln, macht seine Hose zu und kommt auf mich zugelaufen.
"Ich geh nicht so gern in der Schule aufs Klo.", erklärt Tyler.
"Oh, ja klar, ich mein, die sind auch ganz schön eklig.", sage ich, bin jedoch trotzdem verwirrt.
"Wieso bist du denn jetzt hier?"
"Ich wollte nur fragen, obs dabei bleibt, dass du mir diese Sache gibst.", meine ich. Es klingt aber mehr wie eine Frage.
"Ja. Ja, das ist der Plan.", antwortet Tyler.
"Also, alles cool.", sage ich nervös. Tyler nickt und geht an mir vorbei, doch ich halte ihn noch einmal auf. "Wieso hast du den Rucksack auf?"
"Huh?", fragt Tyler, während er sich umdreht.
"Wenn du nur kurz pinkeln wolltest, wieso nimmst du den Rucksack mit?", frage ich.
"Naja, du weißt ja wie es ist. Es wird oft geklaut, also...", meint Tyler und geht. Ich kann nicht sagen, ob Tyler uns die ganze Zeit was vorgemacht hatte. Oder ob das einfach seine Art ist.

Justin ist genauso verwirrt wie ich, als ich ihm von der peinlichen Begegnung mit Tyler erzähle. Ich frage mich immer noch, wieso Tyler draußen pinkelt. Und wieso er seinen Rucksack dabei hatte. War dort die Waffe drin? "Okay, wenn er sie hat und wir sie von ihm bekommen, was dann? Wollen wir es der Polizei melden?", fragt er mich.
"Wir müssen zuerst sicher gehen, dass er weder sich selbst noch jemand anderem was antut. Dann machen wir weiter.", erkläre ich meinen Plan.
"Denkst du, du kriegst das wieder hin, dass er... Sich nichts antut?" Die Unsicherheit in Justins Stimme macht mich noch nervöser. Denn die Wahrheit ist, ich weiß es nicht.
"Also vielleicht müssen wir uns diese Sorgen ja gar nicht machen.", entgegne ich.
"Okay, aber wie können wir uns da sicher sein?", fragt Justin.
"Ja. Wie können wir das?" Zachs Stimme lässt mich sofort zu ihm schauen. Es überrascht mich, dass er sich zu uns setzt. "Und ähm wieso ruft keiner die Bullen?" Schweigen breitet sich aus. Bisher hatte sich Zach nicht dafür interessiert, was los war. Mir ist es ein Rätsel,woher er weiß, dass Tyler eine Waffe hat. Doch dann schaue ich zu Justin, der den Kopf gesenkt hält. "Ist das dein scheiß Ernst? Du hast es ihm erzählt?", frage ich aufgebracht.
"Abby, er ist sogar dran beteiligt."
"Ich fands ziemlich deutlich, dass er mit uns nichts zu tun haben will.", sage ich schnippisch.
"Leute, wir sollten es den Cops sagen.", wirft Zach ein und sieht uns alle nacheinander an.
"Machst du dir echt Sorgen? Oder ist das nur endlich deine Chance, um Tyler loszuwerden?", stelle ich die Frage, die mir schon lange auf dem Herzen liegt.
"Hör mal, vergiss mal diesen scheiß Frühlingstanz. Vergiss das mal alles, okay? Bryce wurde erschossen. Und Tyler hat ne Waffe zu Hause!", redet Zach auf mich ein.
"Ja, schon klar. Aber Tyler hatte gar keinen Grund ihn umzubringen.", versuche ich Tyler zu verteidigen wie ich es schon seit dem Frühlingstanz tue.
"Er hatte schon einen Grund.", gibt Zach kleinlaut zu. Verwundert schaue ich ihn an. Offensichtlich ist Tyler mit Zach aneinander geraten. Er fürchtet sich vor Tyler und ließ es ihn spüren. Doch was mir mehr Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass Bryce alles beim Frühlingstanz mitangesehen hatte. Und Zach hat es Tyler gesteckt. Somit hatte Tyler sehr wohl einen Grund. Angst. Angst, dass jemand von Bryce erfuhr, was vor Monaten passiert ist.
"Wieso sagst du ihm sowas?", frage ich fassungslos an Zach gewandt.
"Weil er... Ich weiß auch nicht wieso.", erklärt Zach und senkt den Kopf. Als ich sehe, dass Tyler die Bibliothek verlässt, stehe ich auf. "Keine Cops.", sage ich deutlich zu Zach und folge Tyler auf den Schulflur. Kurz denke ich, ich verliere ihn. Als ich ihn jedoch sehe, laufe ich ihm schnell nach. Es fühlt sich an wie ein Labyrinth. Als würde sich Tyler verstecken. Letztendlich finde ich ihn in der Dunkelkammer. "Hey, Abby.", meint Tyler wenig überrascht mich zu sehen.
"Hey, Tyler.", sage ich außer Atem.
"Du kannst nachgucken, wenn du willst." Tyler deutet auf seinen Rucksack. Ohne groß darüber nachzudenken, öffne ich seinen Rucksack, finde aber nichts. Ein weiterer Schüler betritt den Raum und mustert uns verwirrt. Tyler geht ein paar Schritte zur Seite. Dabei merke ich, dass er seine Arme die ganze Zeit hinter seinem Rücken hat. Hat Zach recht und Tyler ist doch gefährlich? War alles umsonst?
"Dann sehen wir uns also wie geplant nach der Schule?", fragt Tyler mich.
"Ja, natürlich.", meine ich und schlucke.
"Cool. Ich kanns kaum erwarten.", entgegnet mir Tyler. Ohne noch etwas zu sagen, verlasse ich den Raum. Draußen kann ich endlich wieder atmen.

Wir wollten Tyler dabei helfen, sich wieder besser zu fühlen. Und wir konnten alle sehen, wie sehr er gelitten hat. Konnten wir Tyler helfen mit dem Schmerz klarzukommen? Oder ist es für ihn schon zu spät? Wir sind doch selbst noch Kinder. Wie sollen wir da jemand anderem wirklich helfen können? Vorsichtig betrete ich das Zimmer von Tyler und lege meine Tasche ab. "Es kommt komisch, wenn du sofort wieder gehst. Mum denkt, wir wären Freunde, also...", beginnt Tyler und schließt die Tür hinter sich.
"Ja, wir sind ja auch Freunde.", sage ich selbstsicher. Als Tyler nichts dazu sagt, räusper ich mich leise. "Also gut, lass uns loslegen."
"Okay.", meint Tyler, doch da klopft es an der Tür.
"Tyler, Tür offen lassen!", kommt es von draußen.
"Tut mir leid, Mum!", ruft Tyler.
"Trägst du bitte den Einkauf hoch?"
Seufzend lässt Tyler den Kopf in den Nacken fallen. "Zwei Minuten.", sagt er mir ehe er die Tür aufmacht und mich allein in seinem Zimmer lässt. Nervös sehe ich mich um. Und auch wenn ich es nicht tun sollte, fange ich an seine Schränke zu durchsuchen. Nach wenigen Minuten gebe ich die Suche jedoch auf und lasse mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen. Mein Blick bleibt an seinem Laptop hängen. Ohne groß darüber nachzudenken öffne ich ihn und entdecke Fotos. Zunächst muss ich lächeln. Tylers Bilder haben mir schon immer gut gefallen, doch als ich weiter klicke, schnappe ich erschrocken nach Luft. Es sind Bilder von Bryce. Doch sie zeigen ihn nicht lebend. Seine Leiche treibt im Fluss. "Das kann ich erklären.", höre ich Tyler sagen. Sofort springe ich auf und schaue ihn an. Mein Herz klopft zehn mal so schnell wie sonst.
"Das ist nicht so wie es aussieht."
"Ach wirklich?", frage ich aufgebracht und deute auf den Laptop.
"Okay, Abby, ganz ruhig bleiben, okay.", versucht er mich zu beruhigen.
"Tyler, fuck, was hast du getan?", frage ich ihn direkt. Ich versuche dabei leise zu sein, damit seine Mutter mich nicht hört. Bevor Tyler antworten kann, kommt diese ins Zimmer. "Tyler, Tür offen lassen.", sagt sie streng. Ich stelle mich vor den Laptop und schließe ihn. Wenn sie diese Bilder sieht, erleidet sie einen Herzinfarkt, da bin ich mir sicher. "Hi, Abby. Schön dich wiederzusehen."
"Oh, hi Mrs Down.", sage ich und setze ein Lächeln auf.
"Das Abendessen ist fertig. Du bist herzlich eingeladen, Abby.", meint Mrs Down lächelnd. Und obwohl ich nein sagen will, stimme ich zu.

Nur wenige Minuten später sitze ich mit Tyler und seinen Eltern am Esstisch. Die Bilder von Bryce gehen mir nicht mehr aus dem Kopf und sorgen dafür, dass mir schlecht ist. Wie kann ich hier still sitzen und essen, wenn ich mich am liebsten übergeben würde? "Ich mach mir nur Sorgen um euch. Hat denn die Schule irgendwas getan?", fragt Mrs Down.
"Äh sie haben ne Lautsprecherdurchsage gemacht und Betreuung angeboten.", erzählt Tyler, während er mir das Brot reicht. Schweigend nehme ich es entgegen.
"Also das ist unglaublich aufwühlend. Wenn ihr über irgendetwas reden wollt, dann...", beginnt Mr Down.
"Ich denke, wir versuchen alle noch rauszufinden, was wir fühlen."
"Und was wahr ist und was nicht.", füge ich hinzu und schaue Tyler von der Seite aus an.
"Na klar, ich meine... Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass ein Kind so etwas tun würde.", fährt Mr Down fort.
"Glauben die denn, dass Bryce ermordet wurde?", fragt Mrs Down.
"Es heißt, Bryce wurde erschossen.", spreche ich es aus.
"Aber das beweist ja noch lange nichts. Ich mein ja nur, vielleicht war es Selbstmord.", erwidert Tyler.
"Er war ein Problemkind.", sagt Mr Down. Doch sind wir das nicht irgendwie alle?

"Mach dir keinen Kopf. Ich konnte eh nicht schlafen.", sagte ich lächelnd, während Tyler und ich mitten in der Nacht durch die Stadt gingen.
"Wieso kannst du denn nicht schlafen?", fragte er mich.
"Ich träume grad ziemlich krasses Zeug."
"Was träumst du denn so?"
"Willst du das echt wissen?", fragte ich unsicher. Tyler nickte. "Ja."
"Es geht um dich. Und es ist immer das gleiche. Die Nacht beim Frühlingstanz. Ich steh dir gegenüber. Genau wie damals. Aber... Im Traum erschießt du mich. Das heißt eigentlich, dass man seinen Tod im Traum gar nicht mitkriegt, aber irgendwie fühlt es sich in meinen immer echt an. Verdammt echt.", erzählte ich Tyler. Zach kannte diese Träume. Und seiner Meinung nach hätte ich mir einen Therapeuten suchen sollen. Doch das tat ich nie. Ich versuchte selbst damir klarzukommen.
"Echt jetzt? Das ist beschissen. Das tut mir leid. Abby, das tut mir so leid." Diese Entschuldung war echt. Tyler war aufrichtig. Das war er wirklich.
"Ja, ich weiß. Das... Es sind doch nur Träume. Aber wenn ich dir an dem Abend nicht diese ganzen Sachen gesagt häte, oder vielleicht auch einfach nur das Falsche, hättest du mich dann abgeknallt?", fragte ich Tyler unsicher. Tyler schien einige Sekunden darüber nachzudenken. Doch die Wahrheit ist, er wusste es selbst nicht. Denn er hatte nicht mehr die Kontrolle über sich selbst gehabt.
"Keine Ahnung."

"Absolut, Abby. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ihr so zusammen haltet. Das haben wir nicht geschafft.", holt Mrs Down mich aus meinen Gedanken.
"Ja, du und Tony und Alex. Ihr seid so gute Freunde.", fügt Mr Down hinzu.
"Also das ist jetzt ziemlich unangenehm.", beichtet Tyler.
"Aber ist doch wahr. Wenn ich mich an den schrecklichen Fehlalarm im letzten Frühling erinnere, da habt ihr auch so schön zusammengehalten."
"Ihr passt so gut aufeinander auf. Das macht mir wirklich Hoffnung. Das ist mein ernst. Nicht lachen.", lächelt Mr Down. Doch ich kann nicht lachen. Nicht, wenn Tyler wirklich etwas getan hat.
Nach dem Abendessen begeben wir uns wieder in Tylers Zimmer. Langsam halte ich es nicht mehr aus. Ich muss die Wahrheit wissen. Tyler holt ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche, was mich nervös werden lässt. "Tyler, hör zu. Egal was passiert ist, alles wird gut.", versuche ich auf ihn einzureden.
"Denkst du, ich erstech dich am hellichten Tag in meinem Haus?", fragt Tyler mich ungläubig.
"Nein, keine Ahnung, aber was auch immer du getan hast, wir kriegen das wieder hin."
"Was soll ich getan haben? Sag es. Sag es, Abby."
"Du hast Bryce umgebracht.", spreche ich es endlich aus.
Tyler nimmt seinen Rucksack ab und bückt sich, um die Waffe aus seinem Versteck in der Wand zu holen. "Ich hab sie behalten, weil ich dachte, ich könnte sie noch gebrauchen."
Wir hatten recht. Tyler wollte jemandem was antun. Tyler rechnete damit, dass er am Abend vom Frühlingstanz sterben würde. Aber sein Plan ging nicht auf. Also hat er andere Wege gesucht. Tyler hatte Bryce noch einmal gesehen. Aber was den Rest angeht, da liegen wir völlig falsch. "Ich hätte ihn töten können. Und habs nicht.", erklärt Tyler.
"Aber du hast diese Fotos.", widerspreche ich verwirrt.
"Weil ich ihn gefunden hab. Da im Wasser. Ich hab die Polizei gerufen und ihnen gesagt, wo sie ihn finden können."
"Du bist das gewesen?", frage ich entsetzt.
"Mit unterdrückter Nummer. War ja klar, was die sonst gedacht hätten.", meint Tyler.
"Wieso warst du überhaupt auf der Brücke?", hake ich weiter nach.
"Weil ich da... Vor hatte... Zu springem.", bringt Tyler mühsam hervor. Geschockt blicke ich ihn an.
"Wieso?", frage ich leise.
"Mir war klar, dass es niemals besser werden würde. Und... Wer sollte schon kommen, um mich zu retten? Dass ich mich noch ändern könnte hat ja auch keiner geglaubt."
"Aber ich schon.", widerspreche ich. "Ich hab dran geglaubt."
"Heute hast du es nicht.", entgegnet mir Tyler mit Tränen in den Augen. "Und ich verstehs, ich hab auch lange nicht dran geglaubt, dass ich es kann. Ich war mir sogar echt sicher, dass es unmöglich ist. Weil jeder Tag so verdammt weh tut. Also bin ich auf die Brücke geklettert und... Ich sah runter und ich hab diese Jacke auf einmal im Wasser gesehen. Da hatte ich irgendwie dieses Gefühl. Also bin ich runter, um nachzusehen. Und da lag er. Bryce. Tot. Kalt und seltsam grau und nicht menschlich. Und da dachte ich, das wars. Er kriegt keine Chance mehr ein besserer Mensch zu werden. Es ist vorbei. Für immer. Und genau da wurde mir klar, dass ich leben will. Ich will leben und dass es mir besser geht. Und ich will stärker werden und deswegen... Deswegen wollte ich die Waffe loswerden. Ich brauch sie nämlich nicht mehr." Tyler legt die Waffe auf den Tisch und sieht mich an. "Damit wurde nie geschossen. Ich hab sie schon über ein Jahr und sie wurde nicht einmal abgefeuert, das siehst du ja."
Ich wische mir mit meinem Ärmel die Tränen aus meinem Gesicht. "Aber dein Rucksack. Was ist da drin?", frage ich.
"Ich zeigs dir.", sagt Tyler und setzt sich damit auf sein Bett. Er greift hinein und holt etwas heraus, das in Papier gewickelt ist, um es mir zu reichen. Vorsichtig nehme ich es in die Hand und packe es aus. Doch es ist einfach nur eine Kamera. "Eine Exakta VX Kamera. Wie in Das Fenster zum Hof. Du fandest die mal cool, weißt du noch? Die hier funktioniert leider nicht, denn das wäre leider etwas zu teuer, aber ich finde ja, sie ist trotzdem ganz cool, oder?", meint Tyler lächelnd. Ich nicke langsam und muss auch lächeln. Endlich hebe ich den Kopf und sehe ihn an. "Ja.", sage ich leise.
"Ich habe die Chance jemand anderes zu sein. Und zwar wegen dir. Wegen euch allen."
Schweigend setze ich mich neben Tyler und betrachte die Kamera in meiner Hand. Ich habe nicht nur herausgefunden, was Tyler die ganze Zeit versteckt hatte. Dazu hab ich ein ziemlich schlechtes Gewissen.

Nachdem ich Tylers Haus verlassen habe, laufe ich noch eine Weile durch die Stadt, weil ich mich mit meinen Freunden treffe. Von weitem sehe ich Zach, der vor dem Monet's steht. Als er mich erblickt, humpelt er auf Krücken auf mich zu. "Wie geht's Tyler?", fragt er mich leise.
"Er schläft.", antworte ich mit verschränkten Armen.
"Wie geht's dir? Alles okay?" Zach mustert mich besorgt. Seufzend zucke ich mit den Schultern. "Noch nicht.", sage ich und lache leicht, obwohl es nicht lustig ist.
"Darf ich dich umarmen?"
Da diese Frage überraschend kommt, antworte ich nicht sofort. Dann schlucke ich und nicke. "Ja klar." Sofort nimmt Zach die Krücken in eine Hand und schlingt dann den anderen Arm um mich. Vorsichtig schließe ich die Augen und schmiege mich einige Sekunden an ihn. Es tut gut umarmt zu werden. Besonders, weil Zach es ist, der mich in seinem Arm hält. Einige Sekunden später löse ich mich von ihm und schaue ihn an.
"Wir sollten rein gehen."
Zach nickt und folgt mir ins Café.
"Wir lassen die Waffe verschwinden.", entscheide ich, nachdem jeder sein Getränk bekommen hat. Ich wärme mir meine Hände an der Tasse auf, weil sie ziemlich kalt sind.
"Weil wir ihm einfach glauben?", fragt Zach mich.
"Wir haben dir ja auch geglaubt.", entgegne ich leise. Zach atmet tief durch. "Und wo ist Alex?", fragt er.
"Der ist unterwegs mit seinem Dad. Das ist grad die einzige Zeit, die sie für sich nutzen können.", erklärt Jessica.
"Ich hab das Gefühl, dass ihr vergesst, dass das ne Mordermittlung ist und wir Beweise zurückhalten.", wirft Zach in die Runde ein.
"Bryce wurde nicht erschossen.", sagt Justin plötzlich und deutet auf sein Handy.
"Aber da war ein Loch in seinem Hinterkopf.", entgegne ich verwirrt.
"Deshalb auch die Vermutung, dass er erschossen wurde, aber das war falsch. Er wurde wahrscheinlich erschlagen."
"Das ist... Also das ist völlig verrückt...", kommt es von Zach, der plötzlich unruhig ist und wütend wird.
"Zach...", beginne ich sanft, doch es bringt nichts.
"Nein. Wisst ihr was, ihr könnt machen, was ihr wollt. Ich will von der Scheiße nichts mehr hören. Nie wieder.", sagt er sauer und geht. Verwirrt und traurig schaue ich ihm nach.
"Sie glauben an stumpfe Gewalteinwirkung und suchen nach der Mordwaffe. Die laufen den Fluss ab und zwar auf beiden Seiten der Brücke.", teilt Tony uns mit. Entsetzt reiße ich meine Augen auf.
"Ist das der Fluss?", fragt Justin uns. "Lasst mich raten, ihr habt da Tylers Waffen entsorgt?"
"Ganz genau.", antwortet Tony.
"Also, wir brauchen wohl nen neuen Plan.", sage ich und schließe die Augen.
"Gebt mir die Waffe. Ich kümmer mich darum.", meint Justin ernst.
Wenn man jemanden nur nach seiner Vergangenheit beurteilt, macht man es ihm damit unmöglich seiner Vergangenheit zu entkommen. Die Vergangenheit kann einen manchmal blind dafür machen, was in der Gegenwart wirklich vor sich geht. Und vielleicht haben wir die falschen Menschen verdächtigt. Vielleicht ist es jemand, von dem wir es niemals vermuten würden. Denn jeder hat eine Vergangenheit.

Continue Reading

You'll Also Like

91.9K 3.6K 14
Die Avengers haben es mit einem Neuen Feind zu tun und ohne das Crystal es ahnt, wird sie mit reingezogen. Crystalia Amaquelin ist eine normale New...
30.7K 988 15
Melina ist 14 und ein zielstrebiges Mädchen, dass sportliche Aktivitäten über alles liebt. An ihrer alten Schule fühlt sie sich jedoch nicht sehr woh...
17.4K 433 27
Michelle ein 16 Jahre altes Mädchen muss nun auf ein Internat ziehen,da sie bei einem Autounfall ihre Eltern verloren hat. Total schüchtern,alleine a...
7.8K 327 15
"𝐃𝐚𝐦𝐢𝐭 𝐡ä𝐭𝐭𝐞𝐬𝐭 𝐝𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐧 𝐬𝐨𝐥𝐥𝐞𝐧. 𝐃𝐞𝐧𝐧 𝐢𝐜𝐡 𝐥𝐢𝐞𝐛𝐞 𝐆𝐞𝐡𝐞𝐢𝐦𝐧𝐢𝐬𝐬𝐞." Thia, eine Erstsemesterin in Alfea, f...