Kapitel 43

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J O H N
W E S T

Ein weiterer Monat später...

Zuhause - das war South Boston für mich. Auch wenn dieser Ort jetzt überschattet wurde. Ich stand vor einer alten Türe und starrte auf das Holz. Schon seit Minuten kaute ich auf meiner Unterlippe herum. 

Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und klopfte. 

Ein kleiner Junge öffnete die Türe. 

„Alessio, ich habe dir gesagt, dass du die Türe nicht aufmachen sollst!", schrie eine aufgebrachte weibliche Stimme. 

Das lehrte so ziemlich jede Mutter ihren Kindern. Besonders hier in Viertel wie South Boston. Man wusste nie, wer an diesem Ort vor der eigenen Türe stand. 

Doch anstatt einer älteren Frau sah ich ein junges Mädchen. Vielleicht war sie 17. Ich wusste nicht, ob sie die Mom des Jungen war. 

„Was wollen Sie hier?", fragte sie schroff.

Ich verübelte ihr nicht den unhöflichen Ton. Den musste man hier drauf haben, wenn man überleben wollte. 

„Ich bin John West", stellte ich mich vor.

Ihr fiel fast die Kinnlade herunter. „W - wieso bist du hier? Nach allem was passiert ist."

„Ich schließe gerne mit Dingen ab."

Sie trat zur Seite und ließ mich rein. 

„Setz dich doch", bot sie mir an und deutete auf einen kleinen Tisch, der inmitten einer unaufgeräumten Küche stand. 

Ich setzte mich auf einen der Stühle, sie setzte sich mir gegenüber. Hier sah alles noch genauso aus wie früher.

„Ich will einen Saft!", quengelte Alessio.

„Den kannst du später haben!", fuhr das Mädchen den Kleinen an. 

Alessio zog eine Schnute und verschränkte beleidigt die Arme.

„Geh nach oben in dein Zimmer!", forderte sie ihn mit ausgestreckten Zeigefinger in Richtung Treppe auf.

Der Kleine gehorchte widerwillig und das Mädchen stöhnte genervt. „Tut mir leid. Er ist manchmal wirklich ein Quälgeist. So sind Geschwister eben."

Der Junge war also ihr Bruder. 

Sie sah mich forschend an. „Warum bist du hier? Ich hab dich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Wie bringst du es überhaupt über dich, hierher zu kommen?" 

„Wie war nochmal dein Name?", fragte ich, bevor ich ihr Antworten liefern würde.

„Zeynep."

Ich erinnerte mich schwach an ihren Namen. Das Mädchen mit dem Lockenkopf, das ich manchmal bei Ivy Zuhause gesehen hatte, wenn ich zum Spielen hier war. Zeynep, Ivy's jüngere Schwester. Die zwei sahen komplett unterschiedlich aus. Ich hatte mich schon immer gefragt, was sie gemeinsam hatten. Jetzt wusste ich es. Alle Geschwister von Ivy waren nur ihre Halbgeschwister gewesen, weil sie alle unterschiedliche Väter hatten. Ich hatte erfahren, dass Ivy's Mom eine Protestierte war. So hatte ihre Mom auch Jake Cruise kennengelernt.

„Geht es dir gut?" Auf einmal kam es mir vor, als wäre ich zu weit gegangen. Auch wenn diese Frage alltäglich war, schien sie in diesem Moment zu persönlich und unpassend. Ich kannte Zeynep quasi nur vom Sehen in meiner Kindheit. 

Sie lächelte gequält und schüttelte den Kopf. „Meine Familie ist verrückt. Ich hab Mom seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Keine Ahnung, wo sie abgeblieben ist. Unsere anderen Geschwister sind aus Boston abgehauen und jetzt versuche ich für mich und Alessio zu sorgen."

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