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Minho sah auf seinen Bildschirm, diesmal konzentrierter. Aris hatte ihn aus einer Trance gerissen, von der er nicht mal realisiert hatte, dass er sich in ihr befand. Ich wusste doch, dass du um einiges emotionaler bist, als du gerne zugibst. Diese Aussage ging ihm nicht aus dem Kopf. Zuerst war er erstaunt gewesen, weil Newt ihn emotional genannt hatte. Dann wütend, weil das das Einzige war, was er zu seiner ganzen dramatischen Rede zu sagen hatte. Erst danach hatte er realisiert, was die Aussage selbst bedeutete.

Er hätte sie niemals tätigen können, wenn er sich nicht an etwas erinnert hätte, dass mit Newts Erfahrungen mit Minho und seinem Charaker zusammenhing. Was widerum bedeutete, dass Minho nicht nur eine leere Hülle eines Menschen in seinem Gedächtnis sein konnte. Also musste Newt noch immer eine emotionale Bindung zu den Personen in seinen Erinnerungen besitzen.

Von diesen ganzen Gedanken schwirrte Minho der ohnehin erschöpfte Kopf. Er hatte gesehen, dass auch Newt die Realisation getroffen hatte. Doch bevor jemand von ihnen etwas hatte sagen können, wurden sie unterbrochen und Minho aus dem Raum geschickt. Nun saß er wieder hier und führte einfache Experimente durch, die keinen Erfolg versprachen und für die sie ohnehin drastisch überbesetzt waren.

Langsam hatte er das Gefühl, dass WICKED sie einfach nur zu beschäftigen versuchte. Oder dass sie selbst Teil eines Experiments waren, das sie mal wieder nicht verstanden. Minho wagte kaum zu hoffen, dass Newt seine Erinnerungen wiedererlangen würde. Ihm war bewusst, dass es nie wieder so sein würde, wie vorher, doch er wollte seinen besten Freund zurück, mit dem er so viele Sachen überlebt hatte.

Er blickte zu Thomas. Ihm war damals nicht entgangen, wie er vom Thema abgelenkt hatte, als Ava eine Kugel erwähnt hatte. Newt musste von einer Kugel getroffen worden sein, die eigentlich hätte tödlich sein sollen, ihn aber in gewisser Weise rettete. Und basierend auf Thomas' Reaktion, musste er etwas damit zu tun haben. Minho verstand nur noch nicht, wie genau diese Sachen zusammenhingen.

Deswegen fragte er auch nicht weiter nach, obwohl ihn das schon interessierte. Kopfschüttelnd wandte er sich der Blutprobe vor ihm zu. Sie war noch ungeöffnet und er hatte noch keine Ahnung, was er mit ihr tun würde. Soweit er mitbekommen hatte, waren alle Blutgruppen bereits durchgetestet worden.

"Minho!" Der plötzliche Ausruf ließ ihn zusammenzucken. Er blickte sich nach der Quelle um und entdeckte Aris, der ihn abwartend ansah. Darauf hätte er kommen können.

"Was?"
"Bist du gerade beschäftigt?"
Minho blickte zu seiner ungeöffneten Blutprobe.
"Nein."
"Sehr gut. Hilf uns, die Berichte zu lesen."
"Welche Berichte?"

Aris kam zu seinem Arbeitsplatz und rief die Berichte auf seinem Bildschirm auf.
"Fang unten an und notier wichtige Sachen, sonst vergisst du sie."
"Stellst du gerade mein Gedächtnis in Frage?"
"Glaub mir, das ist nicht das Einzige an dir, was ich in Frage stelle."
Minho schlug nach Aris, der seiner Hand allerdings auswich und winkend an seinen Platz zurückkehrte.

Minho fand ein Notizbuch und fing an, die Berichte zu lesen. Der Nachteil war, dass er die Hälfte davon nicht verstand. Oder nicht wusste, was sie aussagen sollte. Dennoch notierte er alles, was ihm wichtig erschien.

Nach einiger Zeit wurde ihm die Arbeit im Sitzen zu anstrengend. Er war es nicht gewohnt, still an einem Platz zu sitzen und sich seitenlange medizinische Berichte durchzulesen. Deshalb entschied er, dass es Zeit war, an die frische Luft zu gehen.

Niemand hielt ihn auf, als er den Raum verließ und niemand störte ihn auf dem Weg nach draußen. Zwar begegnete er einigen Wissenschaftlern, aber sie alle waren zu sehr in ihren eigenen Gedanken verloren, um ihm Beachtung zu schenken.

Er brauchte viel länger, einen Ausweg aus dem unterirdischen Teil zu finden, als er gedacht hatte. Die Aufzüge funktionierten nur mit einer Mitarbeiterkarte, die er nicht besaß und Treppen fand Minho erst eine Weile später.

Er erklomm die vielen Stufen, dankbar für seine physikalische Form. Es mussten an die zwanzig unterirdischen Stockwerke existieren und sie schienen im untersten gewesen zu sein.

In dem oberirdischen Teil des Komplexes war es verdächtig still. Hier und da entdeckte Minho einige Mitarbeiter, doch der größte Teil befand sich wohl unterirdisch.

Sein nächstes Hindernis war die Tür, die ihn einfach nicht rauslassen wollte. Minho war kurz davor, frustriert gegen die Glastür zu schlagen, als sie endlich aufschwang. Das verwunderte ihn zwar, aber er beschäftigte sich nicht weiter damit.

Endlich draußen sog der Junge die frische Luft ein. Er befand sich auf einem Berg, doch auf der Seite, auf der er sich befand, befand sich eine große Wiese, die mehr oder weniger steil bergab ging. Ob er von hier aus den Sicheren Hafen sehen könnte?

Angetrieben von der kühlen Luft und dem Verlangen, sich zu bewegen, verfiel er in einen Laufschritt. Minho rannte den abfallenden Hang hinunter, umrundete einen großen Felsen in seinem Weg und gelangte an einen Wald.

Eine Zeit lang sprintete er am Waldrand entlang, dann kehrte er um und setzte seinen Lauf in einem niedrigeren Tempo fort.

Irgendwann merkte er, dass er sich relativ weit von dem Gebäude entfernt hatte. Glücklicherweise war seine Orientierung gut genug, um den Weg zurück zu finden.
Immerhin etwas Gutes, was das Labyrinth mir antrainiert hat.

Kopfschüttelnd joggte Minho zurück zum Komplex. Er näherte sich von einer anderen Seite und sah den Eingang nicht, bis er reichlich nah am Gebäude stand.
Abrupt stoppte er.

Vor dem Eingang befanden sich Infizierte. Und nicht wenige. Sie schlugen gegen die Glastür, schreiend und heulend. Sollte dieser Ort nicht sicher vor ihnen sein? Minho schlich näher ans Gebäude und blickte um die Ecke.

Einer von ihnen hatte einen großen Stein angeschleppt. Mit lautem Klirren zerbrach eine Glastür. Ein nahezu triumphierendes Jubeln erklang von den Infizierten, als sie das Gebäude stürmten. Ohne zu zögern rannte Minho hinterher.

Er ging das Risiko ein, dass einige von ihnen ihn entdecken würden, sicher in dem, dass er schneller rennen konnte als sie. Er musste nur in den Untergrund gelangen.

Die meisten Infizierten rannten ziellos im ersten Stock umher, einige versuchten die Treppen nach oben zu erklimmen. Kaum einer beachtete die Treppen nach unten.
Minho näherte sich ihnen möglichst unauffällig.

Er hatte den halben Weg zurückgelegt, als laute Sirenen ertönten. Minho schlug seine Hände über die Ohren und blickte auf die Sirene, die sich oben an der Wand neben ihm befand.

Das erregte die Aufmerksamkeit der Infizierten. Sie sahen sich nach der Geräuschquelle um, noch immer schreiend.

Dann landeten ihre Blicke auf Minho.

The Blood RiddleWhere stories live. Discover now