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Doktor McLain beantwortete Minhos Fragen, wenn auch widerwillig. "War das alles? Ich habe Besseres zu tun.", fragte sie und blickte auf ihre Armbanduhr.

"Hören Sie, wenn Sie nicht wollen, dass man sich nach ihren Aufzeichnungen erkundigen muss, dann schreiben Sie doch einfach vernünftig.", erwiderte Minho und wedelte mit den Papieren in seiner Hand. Doktor McLain warf ihm einen giftigen Blick zu. "Dann hoffe ich, dass man meine nächsten Berichte nicht euch übergibt." Sie wandte sich ab.

"Ach, die über ihre Extraktionen und das künstliche Koma?", murmelte Minho. Überrascht hielt Doktor McLain an und blickte zurück. "Was hast du gesagt?" Der Junge sah hoch in ihre verwunderten Augen. "Nichts Wichtiges. Einen schönen Abend noch.", er winkte und machte ein paar Schritte rückwärts, bevor er sich abwandte und zu seinen Freunden zurückging, ständig dem Blick der Doktorin bewusst.

"Leute, ihr glaubt nicht, was ich eben-" Verwundert blickte Minho sich in dem leeren Raum um. Er stöhnte auf und legte die Papiere auf den nächstbesten Tisch. Seine Freunde waren wohl schon beim Abendessen.

Doch auch in dem Speisesaal entdeckte er Thomas und den Rest nicht. Selbst in ihren Zimmern fand er sie nicht. Wo waren sie bloß? Minho ging schnellen Schrittes einige Flüre entlang und entdecke schließlich Harriets Haarschopf durch eine halboffene Tür.

Erleichtert aufatmend betrat er den Raum und wollte gerade zum Sprechen ansetzen, als ein Mitarbeiter ihn entdeckte und heranwinkte. "Wir haben auf dich gewartet, willkommen." Verwundert nickte Minho bloß und sah zu Harriet, die ebenso ratlos mit den Schultern zuckte.

"Wir haben euch hierher gebracht, um noch einmal Newts Gedächtnis und Verhalten zu prüfen. Ihr werdet gemerkt haben, dass er in den letzten Tagen durch das Gebäude gelaufen ist. Schließlich seid ihr ihm auch einige Male begegnet und habt mit ihm gesprochen."

Newt hatte Recht behalten, dachte Minho, sie standen unter ständiger Beobachtung. "Jetzt wollen wir sehen, ob das einen Einfluss auf ihn hatte. Dafür setzen wir euch diesmal als Gruppe zusammen.", beendete der Mitarbeiter.

Eine Tür am anderen Ende des Raumes wurde geöffnet und sie hindurchgeschickt. Minho betrat den Raum und hielt überrascht an. Ein gigantischer Spiegel war an einer Wand angebracht. Kopfschüttelnd gesellte er sich zu seinen Freunden an einem Tisch in der Mitte des Raumes.

Newt, der bereits anwesend war, runzelte belustigt die Stirn. "Was ist das hier, Gruppentherapie?", bemerkte er mit gesenkter Stimme. "Sieht ganz danach aus. Was hat es mit dem Spiegel auf sich?", antwortete Harriet.

"Erinnert ihr euch nicht? Die Leute auf der anderen Seite sehen uns, wir aber sie nicht. Das habt ihr bei eurer Ankunft direkt testen dürfen." "Oh, stimmt. Wieso ist mir der Spiegel damals nicht aufgefallen?" Thomas blickte über seine Schulter zum Spiegel und schüttelte den Kopf.

Ein Rauschen erklang, dann war eine Stimme im Raum zu hören. "Guten Abend. Das hier könnte etwas länger dauern, aber wir versichern euch, die Ergebnisse sind relevant für uns und vor allem auch Newt. Wir möchten, dass jeder von euch jede Person im Raum durchgeht und von einer Erinnerung erzählt, die ihr mit ihr verbindet. Dann gibt jeder ein Zeichen, ob er sich daran erinnert oder nicht."

"Definitiv Gruppentherapie.", stieß Newt flüsternd hervor. Belustigtes Schnaufen ertönte. "Minho, fang mit der Person zu deiner Linken an und gehe dann alle dadurch. Danach macht die Person weiter."

"Ich? Okay, uh, Jorge. Du wolltest mich bei unserem ersten Treffen umbringen." "Nicht nur dich." "Richtig, danke für die Erinnerung." "Du hattest es verdient." "Weil ich dein Ego angegriffen habe? Sehr nachvollziehbar." Jorge lachte auf und klopfte Minho auf die Schulter. "Muchacho, du hast dich kein Stück geändert."

"Okay, ich erinnere mich auch daran, melden wir uns jetzt einfach oder...?" "Ja, tut das bitte.", erklang die Stimme wieder. Thomas hob seine Hand. Brenda, Jorge, Aris und Newt taten es ihm gleich.

So verstrich eine ganze Stunde oder mehr. Zumindest sagte dies Minhos Zeitgefühl. Allerdings musste er zugeben, dass es ganz gut war, sich so mit seinen Freunden zu unterhalten. Wenn da nicht die Beobachter wären.

Nachdem die letzte Erinnerung geteilt worden war, entließ die Stimme die Gruppe wieder. Die Freunde wären noch etwas sitzengeblieben, wenn einer der Mitarbeiter sie nicht rausgeschickt hätte. 

Im Speisesaal fiel Minho wieder ein, was er eigentlich hatte sagen sollen, als er seine Freunde fand. Mit einem kurzen Blick durch den Raum vergewisserte er sich, dass alle anwesenden WICKED-Mitarbeiter außer Hörweite waren.

"Leute, ich wollte euch noch etwas erzählen." "Schieß los.", forderte Brenda auf. "Als ich auf der Suche nach den Mitarbeitern mit den unleserlichen Berichten war, habe ich ein Gespräch zwischen einer Wissenschaftlerin und Ava Paige überhört."

Er hatte nun die volle Aufmerksamkeit seiner Freunde und lehnte sich etwas vor. "Es scheint, als wären die shanks auf der Krankenstation gar nicht wirklich im Koma. Anscheinend versetzt WICKED sie selbst in das."

Sonya runzelte die Stirn. "Aber wozu? Was soll ihnen das bringen? Versteh mich nicht falsch, ich bin nicht sonderlich überrascht, aber..." Sie machte eine fragende Handbewegung und Harriet nickte bestätigend.

"Doktor McLain hat von Extraktionen geredet, ich nehme mal an, es ist mit diesen geheimnisvollen Schläuchen verbunden, die Thomas damals erwähnt hat." Brenda verschränkte ihre Arme. "Das würde Sinn ergeben. Schließlich sind wir Immune, in uns ist ein Stoff, den der Rest der Welt gut gebrauchen könnte. Trotzdem fehlen uns hier noch einige Puzzleteile."

"Glaube ich auch. Was heißt das jetzt für uns?" Aris sah sich in der Runde um, bekam allerdings nur Schulterzucken zur Antwort. "Erstmal nichts. Wir wussten, dass wir uns vor WICKED in Acht nehmen sollten. Und eine direkte Konfrontation würde uns wahrscheinlich auch nicht viel-"

"Worüber unterhaltet ihr  euch?", wurde Thomas von einer weiblichen Stimme unterbrochen. Minho rollte mit den Augen und drehte sich dann lächelnd um. "Doktor McLain, was führt Sie hierher? Bestimmt nicht nur das Essen, wo Sie doch so viel zu tun haben."

Die Mitarbeiterin verdrehte ihre Augen. "Ob du es glaubst oder nicht, eine ausgewogene Ernährung ist durchaus förderlich für einen effektiven Arbeitseinsatz. Ich habe nur zufällig einen Teil eures Gespräches überhört, kann ich euch vielleicht irgendwie behilflich sein?"

"Nein, das bezweifle ich. Aber vielen Dank für die Sorge, die sie uns allen Probanden entgegenbringen." Doktor McLain zog ihre Augenbrauen irritiert zusammen. "Natürlich. Wie schön, dass ihr diese zu schätzen wisst. Schließlich will WICKED nur das Beste für alle."

Jemand am Tisch stieß ein abfälliges Schnaufen auf, kaschierte er aber schnell mit einem Husten. "Das wissen wir. Wir sind ebenso am Erfolg der Arbeit hier interessiert. Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie diesmal mit uns zusammenarbeiten.", antwortete Harriet. Minho klopfte ihr gedanklich auf die Schulter.

Doktor McLain nickte, sah sie alle aber skeptisch an. "Selbstverständlich. Guten Appetit noch." "Gleichfalls." Sie schritt von ihrem Tisch weg, nicht, ohne Minho noch einen letzten feindseligen Blick zuzuwerfen.

"Oh man, sie mag mich wirklich nicht." "Was eine Überraschung." "Vielen Dank, Harriet." "Ich nehme an, wir machen so weiter wie sonst?", fragte Aris. Thomas zuckte mit den Schultern.

"Etwas Anderes können wir nicht wirklich tun. Wir sollten nur aufpassen, dass wir uns nicht selbst in Schwierigkeiten bringen." Er blickte nachdenklich in die Richtung, in die Doktor McLain verschwunden war.

The Blood RiddleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt