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Thomas kletterte wieder runter und reichte das Fernrohr an jemanden weiter. Vielleicht an Aris, genau wusste er es nicht. Jedenfalls fühlte er sich, als hätte ihm jemand eine Bratpfanne auf den Kopf gehauen. Es war nicht unbedingt das Gebäude, das ihm dieses Gefühl gab, aber es war definitiv mitverantwortlich. Es war Tagesmärsche entfernt, aber lag so, dass man mit einem Fernrohr aus einiger Höhe das Gebäude gut sah.

Allerdings erinnerte es ihn an die Brandwüste. Wie sie tagelang durch tödliche Hitze gegangen waren und sich so vielen Gefahren stellten, dass sie am Ende mehr als die Hälfte verloren hatten. Wie sie am Ende ein Heilmittel erwarten sollte, aber stattdessen erfuhren sie, dass es keines gab. Dieses Gebäude könnte genauso eine Falle sein, die Freunde nur ein Lockmanöver. Wer wusste schon, ob WICKED nicht schon wieder  ihre Hirne überwachte und daraus Informationen sammelte.

Vielleicht war all das ja Phase Vier für die Glader. Thomas würde lieber sterben, als diese Phase zu erleben. Doch obwohl ihnen allen diese möglichen Haken bewusst waren, hatten sie sich auf den Weg gemacht. Sie konnten nicht aufhören. Nicht nach allem, was sie gesehen und erlebt hatten.

"Damit ist klar, wo es langgeht. Der Weg sollte einige Tage dauern. Drei, vielleicht vier.", meldete sich Minho zu Wort.
"So lange? Ich weiß ja, dass das Gebäude weit entfernt ist, aber wir sehen es doch jetzt schon."
"Klar, aber bedenke, dass der Weg nicht gerade sein wird. Wir werden über Steine und Felsen gehen müssen, gelegentlich sogar klettern. Wenn wir langsam sind, könnten wir sogar ganze 5 oder 6 Tage brauchen."

Jorge seufzte.
"Warum habe ich mich nochmal hierauf eingelassen?"
"Weil du meinen Entscheidungen vertraust und mich ungern allein gehen lässt.", antwortete Brenda.
"Richtig. Los jetzt!"
Er band seine Schnürsenkel fester und ging sicheren Schrittes voraus.
"So, wie es aussieht, wird er definitiv nicht derjenige sein, der uns aufhält.", murmelte Aris.


Sie liefen über Kieselsteine. Das beständige Geräusch, das beim Auftritt erzeugt wurde, war ihr einziger Begleiter. Rundherum sah man nur Berge, deren Spitzen leicht in den Wolken verschwanden. Jeder Schritt warf einige Kieselsteine umher, die jemanden an den Beinen trafen. Doch niemand beschwerte sich darüber, ihnen war klar, dass man nichts dagegen tun konnte. Das Tempo, das sie zugelegt hatten, erzeugte leichte Seitenstiche. Als die Sonne hinter den Bergen verschwand, hielt Minho an.

"Es wird dunkel. In diesem Gebiet nicht sehr hilfreich. Wir sollten essen und dann schlafen. Sobald die Sonne aufgeht, gehen wir weiter."
"Wer hat dich eigentlich zum Anführer gemacht?", erkundigte sich Harriet. Man könnte diese Frage falsch auffassen, doch ihr Ton verriet nur ihre Erschöpfung.
Minho verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen, das gezwungen wirkte.
"Die heiligen Menschen an der Spitze: WICKED selbst."

Er fuhr sich durchs Haar und dann den Hals entlang, seine Hand hielt an der Stelle, an dem sein Tattoo sich befand. Unbewusst fasste auch Thomas an seinen Nacken. Er sah auch Sonya, Harriet und Aris dasselbe tun.
Jorge sah etwas verwirrt umher. "Habe ich etwas verpasst oder ist das so ein Ding zwischen den Leuten aus dem Labyrinth?"
"Beides."
"Alles klar."

Brenda legte ihren Rucksack hin und streckte sich. Man hörte ein leises Knacken.
"Empfehle ich euch übrigens auch. Nach diesem Marsch werdet ihr ein gutes Strecken nötig haben." Sie nahmen ihren Rat gerne an. Tatsächlich hörte man, wenn man nahe an jemandem stand, leises Knacken und am Gesichtsausdruck einiger zu urteilen, würde sie morgen ein toller Muskelkater erwarten.


Am nächsten Morgen waren sie früh wieder losgelaufen und hatten mittlerweile die ersten Berge erreicht. 
Jemand war so schlau gewesen und hatte Wege gebaut, die ihnen das Überqueren der Berge um einiges leichter machten. Doch das galt leider nur für die kleinen am Anfang, die man kaum als Berge bezeichnen konnte. Als sie am Nachmittag am ersten größeren Berg angekommen waren, blickten sie alle ratlos hinauf. Er war nur an die hundert Meter hoch, doch das reichte, um ein ernsthaftes Hindernis zu sein.

"Wie ironisch. So etwas großes wie WICKED versteckt sich hinter sowas großem wie Berge.", versetzte Brenda.
"Ist ja nicht so, als wäre das der kleinste seiner Art, den du finden wirst. Die hundert Meter sind förmlich ein Weltrekord."
Brenda verdrehte ihre Augen in Richtung Minho.
"Du weißt genau, was ich meine."
"Das ist wahr. Dennoch brauchen wir einen Weg um auf die andere Seite zu gelangen. Vorschläge?"
"Klettern."
"Anderen Weg suchen."
"Den Berg umrunden."
"Umkehren."

Der letzte Vorschlag ließ sie alle innehalten.
"Wie bitte?"
"Umkehren, ganz einfach."
Verwirrt sah Thomas zu Jorge.
"Warum sollten wir das tun?"
"Um einen anderen Weg zu finden, ganz einfach." Minho schüttelte den Kopf.
"Das wird zu anstrengend. Außerdem kostete es viel Zeit und unser Proviant hält nicht ewig."
Sonya setzte ihren Rucksack ab und ging an eine der Wände. Nur Thomas schien es zu bemerken. Sie begann zu klettern, ein Meter, zwei, drei. In etwa zehn Metern Höhe blieb sie stehen und sah nach oben. Dann begann sie mit dem Abstieg. Den hingegen bekamen auch die anderen in der Gruppe mit.

"Shuck! Wann hat sie das denn geschafft?"
Sonya sprang den letzten Meter.
"In etwa zwanzig Metern Höhe sieht man, dass es dort eine Art Plattform gibt. Dort müssen wir hin."
"Plattform? Wie genau meinst du das?"
"Die Wand hört dort auf und fängt erst einige Meter versetzt wieder an, so meine ich das."
"Alles klar. Sieht so aus, als würden wir nun klettern." Minho zog die Riemen vom Rucksack enger und trat an die Steinwand heran.
"Ich weiß nicht, zwanzig Meter sind ein ganz schöner Fall."
Seufzend drehte Minho sich um.

"Seht mal, wir können uns nicht mit Seilen sichern, die Anziehungskraft funktioniert leider in Richtung Boden.  Soweit ich weiß, ist jeder hier fähig, zwanzig Meter weit zu klettern. Wer es nicht ist, wird dann später von den Oberen gesichert, einverstanden?" Kollektives Nicken.
"Super." Minho wandte sich wieder des Felswand und begann zu klettern, dicht gefolgt von Sonya. Sie waren die Ersten oben, alle anderen kamen nach.

Auf etwa 15 Metern Höhe machte Thomas den Fehler, nach unten zu sehen. Er verdrängte das plötzliche Übelkeitsgefühl, das ihn erfasste und richtete seinen Blick wieder nach oben. Etwa eine halbe Stunde hatte sie das Klettern gekostet.
"Also gut, auf der anderen Seite geht es wieder runter. Ab geht's!"

The Blood RiddleDove le storie prendono vita. Scoprilo ora