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Am nächsten Tag gingen Thomas und Sonya noch schneller, um weiter zu kommen. Schließlich mussten sie noch nachsehen, wohin der rechte Pfand führte, den sie nicht hatten untersuchen können. Wieder stiegen Sonya und er durch den Spalt und wieder gelangten sie an die Abzweigung. Ohne zu zögern lief Sonya nach rechts und Thomas folgte ihr.

Die ganze Zeit über sah sie in alle Richtungen. Womöglich hoffte sie das zu entdecken, was gestern das Geräusch verursacht hatte. Sie folgten dem Pfad eine halbe Stunde, gingen durch dichten Wald und erreichten schließlich das Ende des Waldes. Ihnen bot sich der Anblick einer weiten Wiese mit niedrigem Gestrüpp. In den Büschen glaubte Thomas Beeren hängen zu sehen. Sonya pflückte eine und betrachtete sie genauer.

"Haben die Nahrungssucher solche nicht auch mal mitgebracht?" Thomas sah genauer hin. Große, rote Beeren mit violetten Punkten hingen dort. Einladend sahen sie aus, doch Thomas zweifelte stark an ihrer Genießbarkeit. Soweit er wusste, war man sich bei unbekannten Pflanzen nie sicher, ob sie ungefährlich waren.

"Ich kenne diese Beeren. Es gab Tage, an denen wir uns nur nur von ihnen ernährt hatten. Mein Bruder...Ich weiß noch, wie er mir einmal die Hälfte seiner Beeren gegeben hatte."
Thomas betrachtete Sonya. Ihre Augen sahen abwesend aus, so als wäre sie tief in ihren Erinnerungen versunken. Thomas hörte zum ersten Mal etwas über Geschwister. Niemand im Sicheren Hafen hatte je diese Frage aufgeworfen.

Sonya betrachtete die Beeren noch für ein paar Sekunden, dann schien sie aus den Augenwinkeln zu bemerken, wie Thomas sie ansah. Schnell wischte sie sich über ihre Augen und holte ihren Beutel vom Rücken. Bevor Brenda die Hütte abgebrannt hat, hatte man schnell alle nützlichen Sachen rausgeholt, darunter auch Beutel. Sonya nahm eine leere Konservendose heraus und begann, Beeren einzusammeln. Thomas half ihr, ohne weiter nachzufragen.

Als die Dose voll war, standen sie auf und begannen sich ihren Weg durch das Gestrüpp zu schlagen. Dornen zerkratzten ihre Beine, doch sie gingen unbeirrt weiter. In der Ferne schien man sowas wie Hügel zu entdecken, auf denen einst etwas gewachsen haben könnte.

"Los weiter!" Sonya war Thomas einige Meter voraus und sie schien nicht auf ihn warten zu wollen. Er holte auf. "Da vorne sind doch nur Hügel. Was willst du dort?"
Sonya schüttelte den Kopf.
"Hast du denn nichts gelernt? Es ist immer mehr da, als zu sein scheint." Weiter ging sie nicht darauf ein.


Sie wanderten schweigend eine halbe Stunde weiter, dann erreichten sie einen kleinen Bach, den Thomas zuvor übersehen hatte.
"Ist das der Bach, der hinter unserem Lager langfließt?"
Sonya nickte. Sie wandte sich nach rechts und begann, dem Bach zu folgen, geradewegs zu seinem Ursprungsort. Thomas stellte keine Fragen und folgte ihr einfach. Sie schien immer zu wissen, wo es langging. Sie wanderten noch einige Kilometer, dann kam der Ursprung des Baches zum Vorschein. Ein Riss in einem kleineren Berg, größtenteils zugeschüttet von Steinen. Sonya fasste rein und begann, die Steine zu bewegen.

"Worauf wartest du? Hilf mir!"
Thomas erwachte aus seiner Tatlosigkeit und begann, gemeinsam mit Sonya die Steine fort zu räumen. An einem der Steine schnitt sich Thomas die Handfläche auf.
"Ah! Das brennt!" Sonya erwiderte nichts, drehte sich einfach nur um und begann, in ihrem Rucksack etwas zu suchen. Sie holte einen Verband raus und streckte ihren Arm nach Thomas' Hand aus. In weniger als einer Minute hatte sie den Verband um seine Hand gewickelt und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, während der Junge neben ihr etwas verwirrt dastand. U

m eine weitere Ermahnung von Sonya zu vermeiden, bückte er sich wieder zu den Steinen runter und setzte seine Hilfestellung fort. Fünfzehn Minuten kostete sie das Forträumen der Steine. Fünfzehn Minuten, in denen sich beide kleinere Verletzungen zuzogen. Am Ende hatten sie insgesamt vier Schnitte und einen gequetschten Finger. Das meiste davon ging auf Thomas' Konto. Der Spalt war jetzt groß genug, um den Kopf durch zu strecken.

"Da drin werden wir nichts sehen, oder?", stellte Thomas fest. Sonya schüttelte den Kopf.
"Wir brauchen Feuer."
Gemeinsam zündeten sie ein kleines Feuer und bastelten schnell einige Fackeln für sich. Thomas streckte seine Fackel durch den Spalt und sah durch. Er sah Wasser fließen, außerdem sah er, dass die Wände innen hoch zu sein schienen. Weiter hinten nahm er etwas anderes war.

"Sonya? Siehst du das da hinten?"
Das Mädchen sah in den Spalt und nickte einige Sekunden später.
"Eis. Es ist so gut versteckt, dass zumindest nicht alles davon geschmolzen ist, als die Sonneneruptionen stattfanden."
"Wieso schmilzt es dann jetzt? Tut es das überhaupt?"
"Weiß ich nicht. Ist aber auch nicht wichtig. Trotzdem sollten wir uns das hier genauer ansehen. Haben wir noch genug Zeit?"

Thomas sah zur digitalen Uhr, die er noch aus den Zeiten der Brandwüste besaß.
"Noch etwa vier Stunden bis Sonnenuntergang. Man gewinnt wirklich viel Zeit, wenn man früher aufsteht. Gestern hatten wir bei Weitem weniger."
Sonya erwiderte darauf nichts, begann aber, den Spalt zu vergrößern. Thomas seufzte. Natürlich würde sie nichts darauf antworten. So war sie seit zwei Monaten. Still, zurückgezogen, traurig, finster. Nichts davon, aber gleichzeitig alles davon. Sie war anders. Ob das so bleiben würde, wusste er nicht und es war vielleicht besser, wenn er es nicht tat.


Wieder einmal musste Sonya Thomas erst aus seiner Starre befreien, bevor er anfing, ihr zu helfen. Sie arbeiteten still nebeneinander her, beseitigten Stein um Stein, zogen sich hier und da kleinere Verletzungen zu, wurden nass. Das Wasser floss immer ungehinderter aus dem Spalt und schon bald war der Strom doppelt so stark wie davor. Irgendwann konnte Thomas nicht mehr sagen, welche nassen Stellen vom Schweiß und welche vom Wasser kamen.

Als noch drei Stunden bis Sonnenuntergang blieben, war der Spalt groß und stabil genug, um durch zu klettern. Sonya schnappte sich die Fackeln, die sie unweit in die Erde gesteckt hatten und reichte eine davon Thomas. Er ging voraus.

Mit einer Hand in der Luft begann er, durch den Spalt zu kriechen und nach mühevollen zwei Minuten stand er im Inneren des Berges und hielt seine Fackel hoch. Die Wände waren tatsächlich noch feucht, an einigen Stellen sah man sogar noch Eis. Folgte man dem Tunnel tiefer ins Innere, waren die Wände immer mehr von Eis bedeckt, bis sie schließlich aus Eis zu bestehen schienen. Thomas machte einen Schritt auf eine Wand zu.

Ein leises Klicken ließ ihn nach unten schauen. Im selben Moment zog Sonya ihn aus dem Weg. Ein Pfeil flog genau an der Stelle vorbei, an der eben noch Thomas Fuß gewesen war. Einen Moment lang herrschte Stille.
"Was war das?"
"Eine Falle."
"Warum gibt es hier Fallen?"
"Vermutlich, um unerwünschte Besucher los zu werden."


Sie deutete auf den Pfeil. Er war am Boden zerschellt und eine Flüssigkeit hatte sich auf dem Boden verteilt.
"Der kam von oben. Vermutlich, um auch kleinere Tiere zu erwischen, falls sie sich hierher verirrt hatten." Sonya bestätigte seine Aussage mit einem Nicken. Ihr standen Schweißperlen auf der Stirn. Thomas bemerkte, dass auch ihm ungewöhnlich warm war, dafür, dass er gerade geschwitzt hatte und nass geworden war und nun in einer Höhle voller Eis stand.
"Sonya..."
"Hier stimmt was nicht."

The Blood RiddleWhere stories live. Discover now