19

50 4 2
                                    

Aris bemerkte zunächst gar nicht, dass Minho fehlte, doch irgendwann kam ihm der relativ niedrige Level in den im Hintergrund laufenden Unterhaltungen verdächtig vor. Er sah sich um und zählte durch. "Hey, wo ist Minho?" Jorge deutete auf die Tür, noch immer fokussiert auf seine Arbeit. "Er wurde irgendwo anders hingeführt." Aris blieb kurz still, verschränkte dann die Arme, als er merkte, dass es niemanden sonst sonderlich zu beschäftigen schien. 

"Stört eigentlich niemanden sonst, dass sie ihn gerade von uns abgetrennt haben? Und weggeführt? Ohne uns zu sagen, wohin und wozu eigentlich?" Das erregte die Aufmerksamkeit der anderen, sogar Jorge blickte hoch. "Er hat nicht Unrecht." Aris rollte mit den Augen. "Sag bloß", flüsterte er. 

Sonya-nein, Lizzy- fing seinen Blick auf. "Denkst du, sie versuchen etwas?" Aris wollte nicken, stutzte aber. "Wenn sie möglichst leicht und unauffällig jemanden von uns hätten mitnehmen wollen, hätten sie nicht Minho gewählt, leicht und unauffällig ist nicht Teil seines Wortschatzes." Das handelte ihm ein kurzes Lachen von Brenda ein. 

"Das ist ein Argument. Aber mich wundert auch, wo er ist. Wahrscheinlich haben sie ihn zu Newt gebracht. Ich frage trotzdem mal nach." Sie ging zur Tür und wollte sie gerade öffnen, als diese aufschwang. Überrascht sprang Brenda zurück. Minho betrat den Raum und reagierte mit dem Heben einer Augenbraue auf die allgemeine Aufmerksamkeit. 

"Wo warst du?", fragte Thomas. "Bei Newt.", antwortete Minho knapp. Er schloss die Tür hinter sich, griff nach einer Schutzbrille und ging zu einem Arbeitsplatz am anderen Ende des Raumes. "Willst du uns vielleicht auch erzählen, wozu du dort warst und was du da gemacht hast?" "Wenn es euch etwas bringen würde, würde ich das villeicht sogar tun." 

Er stützte sich mit einem Arm auf dem Tisch ab und aktivierte seinen Bildschirm. Lizzy sah zu Aris, doch der konnte auch nur mit den Schultern zucken. In den letzten Monaten hatte er Minho gut genug kennengelernt, um zu wissen, dass ihm Newts Tod stark zugesetzt hatte. Vor allem auch, dass man ihm lieber seine Distanz lassen sollte, wenn er sich so verhielt. 

Auch die anderen schienen das verstanden zu haben und wandten sich ihrer Arbeit zu. Harriet runzelte zwar irritiert die Stirn, sagte aber nichts und war bald wieder mit ihrer Untersuchung beschäftigt. Aris wandte sich wieder seiner Blutprobe zu, von der er mittlerweile nicht mehr wusste, was er eigentlich beobachten wollte. Ein Blick zum Bildschirm verriet ihm, dass nichts Ungewöhnliches geschehen war. Aris stellte seine Probe zur Seite und suchte nach einer neuen. 

Als er an Minhos Tisch vorbeikam, merkte er, dass dieser zwar auf seinen Bildschirm sah, aber ansonsten abwesend schien. Entgegen seiner besseren Besinnung tippte Aris ihm auf die Schulter. Als das keine Reaktion hervorbrachte, winkte er mit einer Hand vor seinen Augen. Das brachte Minho zurück in die Gegenwart. Er sah verwundert zu Aris, bevor er genervt seine Augenbrauen zusammenzog. 

"Guck nicht so, das hinterlässt Falten. Ist alles in Ordnung bei dir?" "Wieso sollte es das nicht sein?" Aris rollte mit den Augen. "Sag mir das nochmal, sobald du tatsächlich geistlich anwesend bist." Sie lieferten sich einen kurzen Wettkampf mit ihren Blicken, bis Minho schließlich die Spannung aus seinen Schultern nahm und sich in seinem Stuhl nach hinten lehnte. 

"Hör zu, danke für die Nachfrage, aber ich habe absolut kein Verlangen, darüber zu reden."   "Wie du meinst. Sag Bescheid, wenn du deine reizende Persönlichkeit wieder zurückhast." Minho schmunzelte und winkte Aris davon. 

Mit einer neuen Probe in den Händen gesellte er sich zu Lizzy, die etwas von ihrem Bildschirm abschrieb. "Und? Etwas Spannendes entdeckt?" Sie schüttelte den Kopf. "Newts Blut reagiert wie erwartet mit den anderen Blutgruppen. Ich weiß nicht, warum sie das überhaupt angezweifel haben." 

"Newt ist ein besonderer Fall in vielen Hinsichten. Es ist gar nicht so abwegig, dass selbst sein Blut anders reagieren würde, als gewohnt." Lizzy seufzte resigniert. "Du hast nicht Unrecht." Sie blickte wieder auf ihren Bildschirm und verfiel in nchdenkliches Schweigen. 

"Was ist?" Den Blick noch immer nicht vom Bildschirm abwendend, schüttelte sie den Kopf. "Wir sind Geschwister. Mir ist schon klar, dass auch Geschwister sich unterscheiden, aber wenn unsere Immunsysteme die Kombination der unserer Eltern ist, sollte er dann nicht auch immun sein? Was ist bei himanders gelaufen, als bei mir?" 

"Nun, Genetik ist... reichlich zufällig. Es spielen zu viele Faktoren mit rein, als das man genau voraussagen könnte, was geschieht. Wahrscheinlich hat er einfach nicht die richtige Kombination bekommen. Oder du. Je nachdem, welche Fähigkeit besser ist." 

Lizzy stützte ihren Kopf auf ihren Händen ab und blickte zu Aris hoch. "Denkst du, er hätte überlebt, wenn wir nicht für das Experiment ausgewählt worden wären?"

Darüber dachte Aris kurz nach. "Bezweifle ich. Selbst wenn ihr als Kinder durchgekommen wäret, würde immer die Gefahr bestehen, dass du als Überträgerin der Grund für seine Infektion werden könntest. Und wenn man Doktor Paige Glauben schenkt, dann ist seine gegenwärtliche Abwehr des Virus einer Narkose zu verdanken, die sie ihm vor einer Operation geben mussten."

"Also hätte er diese Abwehr gar nicht erst auszubildn angefangen." "Richtig." Lizzy blickte zurück zum Bildschirm. "Ich hätte gerne mehr gemeinsame Erinnerungen mit ihm. Aber ich weiß nicht, ob ich erleichtert sein soll, dass er lebt, oder Mitleid haben, weil er in dieser Welt leben muss. Vielleicht wäre es leichter gewesen, einfach unter den Toten zu bleiben." 

Aris überraschte der Gedanke selbst nicht sonderlich, aber es von Lizzy zu hören, war unerwartet. Seufzend ließ er sich in den Stuhl neben ihr fallen. "Ich glaube, das trifft auf uns alle zu. Wir leben, das schon, aber selbst im sicheren Hafen war unsere einzige Zukunftsperspektive das Abwarten des Todes der ganzen restlichen Bevölkerung, um dann das Überleben der Menschheit zu sitzen. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber irgendwie klingt das nicht gerade wie das Paradies auf Erden. Immerhin hatte ich dort meine Ruhe von der Außenwelt." 

"Und jetzt sind wir hier." "Schon wieder." "Wir Glücklichen." Sie waren kurz still, dann lehnte Aris sich nach vorne und betrachtete den Bildschirm genauer. "Woran willst du jetzt arbeiten?" Lizzy zuckte mit den Schultern. "Einen anderen Auftrag habe ich nicht, also fehlt es mir ein wenig an Ideen." 

"Denkst du, die Forschungsberiche sind hier drauf gespeichert?" Lizzy tippte auf den Bildschirm und nach einer kurzen Suche öffnete sie einen Ordner, der mit Proband A5 betitelt war. Eine lange Liste erschien. "Bingo." 

Aris öffnete den ersten Bericht. "Ich hoffe, du kannst schnell lesen, denn vor uns liegt noch viel Arbeit."

The Blood RiddleWhere stories live. Discover now