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Als eine handvoll Mitarbeiter, die keine Wissenschaftler waren, an Thomas vorbei zum Fahrstuhl rauschten, dachte er zuerst, die Tür im Eingangsbereich wäre wieder eingeschlagen worden. Wer baute auch eine Glastür, wenn sich draußen Cranks rumtrieben?

Erst später erfuhr er, dass es eine Explosion in einem Labor gegeben hatte. Einige Minuten nach dieser Verkündung brach eine hektische Suche nach Newt aus, der nicht mehr zu finden war. Nicht auf den Kameras, nicht auf den Fluren, nicht mal in der Nähe des Labors.

Eine Stunde später stellte man fest, dass auch Minho nirgends aufzufinden war. Auch noch eine weitere Stunde später war von den beiden Jungen keine Spur aufgetaucht.

"Dr. Paige!" Thomas entdeckte die Wissenschaftlerin in der Menge und ging zielstrebig auf sie zu.
"Thomas.", seufzte sie, scheinbar erschöpft.

"Zuerst verschwindet Newt, den ihr eigentlich immer und überall im Blick habt. Dann findet niemand Minho wieder. Und gleichzeitig fliegt ein Labor in die Luft. Bisschen verdächtig, finden Sie nicht auch?"

Thomas verschränkte seine Arme und warf Ava einen wütenden Blick zu. Sie seufzte schwer.

"Ich verstehe, dass das alles nicht sehr überzeugend wirkt, aber ich verstehe wirklich nicht, was hier vor sich geht." Sie senkte ihren Blick.

"Was haben Sie mit Newt und Minho gemacht?"
"Wie bitte?", Ava runzelte verwirrt ihre Stirn.

"Dr. Paige, ich wirke manchmal vielleicht etwas verwirrt, aber ich bin kein Idiot, das Verschwinden der beiden ist kein Zufall. Das Labor, in dem etwas explodiert ist? Newt, der unter ständiger Beobachtung steht? Minho, der von uns allen am auffälligsten seine Skepsis äußert? Das alles ist geplant, eine andere Erklärung nehme ich Ihnen nicht ab. Also wo sind die beiden?"

Während seiner Rede war Thomas Stimme schärfer geworden. Dr. Paige hatte den Mund verwundert ein Stück weit geöffnet und schüttelte langsam den Kopf.

"Ich weiß es wirklich nicht. Aber ich glaube, ich weiß, wer etwas wissen sollte." Sie sah sich nach allen Richtungen um.

"Komm mit. Wir suchen Gray."

Gray stellte sich als der Mann heraus, der Newt auf Schritt und Tritt gefolgt war. Thomas erkannte ihn lediglich an seiner grauen Uniform, sein Gesicht vergaß er so schnell, wie er es gesehen hatte.

"Gray!" Dr. Paige hatte ihre Stimme erhoben und marschierte zielstrebig auf den Bewacher zu, der neben einem Computer stand.

"Dr. Paige. Haben Sie einen Hinweis entdeckt?"
"So könnte man es auch sagen. Sag mir, warum ist Newt, der unter deiner ständigen Überwachung stehen sollte, nirgends aufzufinden?"

Gray hob verwundert die Augenbrauen und zögerte mit seiner Antwort.
"Sie hatten ihn doch zur selbstständigen Bewegung freigegeben. Meine ständige Überwachung war nicht nötig."

Dr. Paige zog ihre Augenbrauen zusammen. "Das habe ich nie getan. Er durfte sich frei bewegen, ja, sollte aber vor allem auch wegen seinem Gesundheitszustand nicht unbeobachtet bleiben." Sie blickte auf den Computer, der neben ihnen auf dem Tisch stand.

"Zeig mir deine Arbeitsaufträge."
Gray zögerte kurz, zuckte dann aber mit den Schultern und legte seine Mitarbeiterkarte an den Scanner neben dem Bildschirm.

Nach einigen Klicks erschien eine Liste mit Aufträgen und Meldungen. Thomas beugte sich etwas vor, um mitlesen zu können. Tatsächlich war eine Meldung an alle Mitarbeiter rausgegangen, die Newts Überwachung aufhob.

"Eigenartig. Die Meldung ist an alle Mitarbeiter rausgegangen, aber ich habe sie nicht erhalten. Vor allem ist sie auch nicht von mir unterzeichnet."
Dr. Paige verschränkte ihre Arme und blickte nachdenklich auf den Bildschirm. Dann holte sie ihr Telefon aus einer Kitteltasche und wählte eine Nummer.

"Überprüfen Sie bitte, wer die letzte Nachricht an alle Mitarbeiter verschickt hat. Sie ist nicht von mir unterzeichnet." Sie lauschte kurz ihrem Gesprächspartner. "Die Überwachungskameras? Wieso?" Thomas blickte zu Gray, der angespannt zuzuhören schien. Etwas an seiner Haltung machte Thomas stutzig.

"Verstehe. Überprüft auch das. Was ist zu sehen?" Im Laufe der nächsten Sekunden verfinsterte sich Dr. Paiges Blick zunehmend. "Beide? Was ist mit den Kameras im Eingangsbereich?" Ava schlug sich eine Hand vor den Mund.

"Aber im Labor wurden keine..." Sie atmete tief durch. "Laborergebnisse?" Thomas, der ungeduldig auf das Ende des Gesprächs wartete, sah die Kanzlerin fragend an. "Verstehe. In Ordnung. Haltet mich auf dem Laufenden."

Sie legte auf und wandte sich an Thomas. "Diverse Überwachungskameras von hier bis zum Erdgeschoss waren gesperrt gewesen, unsere Experten haben die Aufnahmen aber wiederherstellen können. Minho scheint in das Labor gegangen zu sein, kurz darauf sieht man, wie Newt ihm hastig folgt. Allerdings schalteten alle Kameras des Erdgeschosses sich zum Explosionszeitpunkt ab. Meine Mitarbeiter haben Blutspuren im Labor gefunden, die Minho zugeordnet werden konnten. Was zwischen der Explosion und jetzt passiert ist, wissen wir nicht."

Thomas blickte abwartend zu Dr. Paige, die ihren Blick gesenkt hatte. "Ich nehme an, ich hatte Recht, mit der Behauptung, das alles sei geplant." Sie nickte langsam. "Es sieht ganz so aus. Wir haben die Suche längst auf das umliegende Gebiet ausgebreitet, konnten aber nichts finden. Wenn Minho die Explosion aus nächster Nähe erlebt hat, kann er ohne medizinische Versorgung eigentlich nicht weit gekommen sein, erst recht nicht alleine."

Thomas schauderte. Der Bericht war alles andere als beruhigend. "Dass Newt höchstwahrscheinlich bei ihm ist, verbessert die Situation nicht viel, du weißt selbst, in welchem Zustand er ist. Einer der beiden wird früher oder später zusammenbrechen, sie müssen in der Nähe sein. Es sei denn-" Sie brach ab, scheinbar selbst beunruhigt von ihrem Gedanken.

"Es sei denn was?", fragte Thomas nach, stellte aber gleich darauf seine eigene Vermutung auf, "Es sei denn, Ihre Mitarbeiter sind Ihnen nicht so treu ergeben, wie Sie glaubten und jemand hat das alles nicht nur geplant, sondern hält jetzt auch noch Minho und Newt versteckt?" Dr. Paige biss sich auf die Unterlippe und nickte zögerlich. "Das ist im Moment die naheliegendste Vermutung."

Thomas hatte nebenbei einen Blick auf Gray geworfen und betrachtete ihn nur näher. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Haltung hingegen ließ ihn nervös erscheinen. "Gray.", wandte er sich direkt an ihn. "Sie wissen etwas." Thomas verschränkte die Arme und sah abwartend zu dem Sicherheitsbeauftragten, den nun auch Dr. Paige nachdenklich musterte.

Gray wirkte kurz verwundert, verzog dann aber das Gesicht. "Alles, was ich weiß, ist, dass das verdächtig klingt, aber da bin ich nicht schlauer, als ihr beide." Er verschränkte seinerseits die Arme und warf Thomas einen herausfordernden Blick zu. Dr. Paiges Telefon klingelte.

"Kanzlerin Ava Paige." Sie lauschte ihrem Gesprächspartner, während Thomas sich ein Blickduell mit Gray lieferte. "Verstehe. Nein, nicht nötig, er steht neben mir. Ja, bitte, tun Sie das. Und finden Sie Doktor McLain. Wir warten im Anhörungsraum. Vielen Dank." Sie legte auf und blickte zu Gray.

"Thomas hat nicht Unrecht, Dion Gray, Sie wissen mehr, als Sie zugeben." Auf dem Flur erklangen Schritte und Thomas blickte über seine Schulter. Einige der Sicherheitsbeauftragten, die er zuvor zum Fahrstuhl rennen gesehen hatte, tauchten auf.

"Sie sind hiermit einer der Hauptverdächtigen im Fall von Minhos und Newts Verschwinden." Grays Augen weiteten sich. Noch bevor er einen Schritt machen konnte, hielten zwei Sicherheitsbeauftragte ihn fest.

Dr. Paige warf ihm einen so dunklen Blick zu, wie er ihn bei ihr noch nie zuvor erlebt hatte. "Erzählen Sie mir alles, was Sie wissen, wenn Ihnen Ihr Leben etwas bedeutet."

The Blood RiddleWhere stories live. Discover now