Epilog

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6 Monate später

Newt drehte  das kleine Büchlein in seinen Händen hin und her. Mittlerweile kannte er den Inhalt auswendig. Auch wenn er ihn selbst verfasst hatte, musste er einiges mehrmals lesen.

Er blickte raus zum Meer, auf dessen Oberfläche sich die untergehende Sonne spiegelte. Es war ein warmer Tag gewesen und nach WICKEDs Besuch hatte Newt sich auf eine Erhebung in einiger Entfernung zurückgezogen. Wenn er nicht in völliger Dunkelheit zum Lager zurücklaufen wollte, sollte er jetzt los gehen.

Wobei er vorausschauend eine Taschenlampe mitgenommen hatte. Und das Lager mittlerweile um eine regelmäßige Stromzufuhr verfügte, dank der die Lampen abends das Lager erhellten. Der Stromzufuhr war auch zu verdanken, dass der Fernseher im Haupthaus funktionierte und alle auf dem Laufenden hielt.

In den Städten der Welt laufen die Impfungen und Behandlungen auf Hochtouren. WICKED versorgt das Lager ständig mit Medizin, die die Blutbildung anregen soll, damit die Immunen sich nach der Blutabnahme schneller erholen. Glücklicherweise war das Lager nicht der einzige Ort auf der Welt, an dem sich Immune fanden.

Überhaupt wurde das Lager langsam zu einem Dorf. Mit WICKEDs Hilfe errichteten die Bewohner in den letzten Monaten einige solide Häuser. Viele waren noch in Arbeit. Man könnte fast schon sagen, sie hätten Frieden mit WICKED geschlossen und würden nun offiziell zusammenarbeiten.

Newt nahm die neben ihm liegende Taschenlampe in die Hand. Er sollte zurückgehen. Am Anfang hatte man darauf geachtet, dass Newt ständig im Blickfeld von jemandem war oder man zumindest mit Sicherheit wusste, wo er sich befand.

Ob aus Sorge wegen seiner zeitweise wiederkehrenden Anfälle, in denen er schnell mal das Gleichgewicht verlor oder aus Angst, ihn und die anderen wiedergekehrten Glader wieder zu verlieren, blieb offen. Vielleicht auch, weil er der einzige Newt auf dieser Welt und vital für die Heilmittelherstellung war.

Doch in den letzten Wochen hatte er es geschafft, sich größtenteils aus dieser ständigen Beobachtung zu befreien und sich bei Gelegenheit an ruhige Orte wie diesen zurückzuziehen. Er wusste, er würde nie mehr derselbe werden und einige seiner Erinnerungen würden nie wiederkehren.

Aber das hatte er akzeptiert und seine alten Freunde taten dies auch. Er glaubte nicht, sich zu stark verändert zu haben. Vielleicht fiel ihm das Aufbauen neuer Beziehungen schwer, möglicherweise ließ sein fehlendes Humpeln einige immer noch stutzen, eventuell war er auch angriffslustiger geworden, wie Minho zu sagen pflegte. Aber im Grunde genommen hatte er nicht das Gefühl, die Glader würden von einer komplett anderen Person reden, wenn sie seine Erinnerungen mit ihm teilten.

Schritte erklangen hinter ihm. Newt wusste nicht, woran genau es lag, aber so wie sein Gedächtnis sich verschlechtert hatte, schien sein Gehör besser geworden zu sein. Mittlerweile erkannte er ein Großteil der Leute im Lager am Rhythmus und der Schwere ihrer Schritte oder an ihrer Atmung.

Deswegen drehte er sich gar nicht erst um. Er wusste auch so, wer ihm gleich auf die Nerven gehen würde.

"Du hast wirklich vor, im Dunkeln zum Lager zurück zu laufen, huh?" Minho ließ sich rechts von ihm auf die Erde fallen, Thomas gleich darauf links.

"Immerhin hast du eine Taschenlampe dabei. Ich habe gestern die halbe Nacht damit verbracht, nach Anna und Kevin zu suchen, die ihre vergessen hatten." Thomas rieb sich über die Augen und schüttelte den Kopf. "Kinder."

"Wie läuft die Suche nach Keisha?", erkundigte sich Minho. Newt blickte wieder zu dem Buch in seinen Händen. "Ava hat zwar nicht sehr viel Zeit, weil sie die Welt retten muss und so weiter, aber sie hat herausfinden können, dass Keisha sich vor zwei Monaten in Detroit registriert hat. Wenn ich Glück habe, kann ich noch diese Woche mit Ava dorthin mitfliegen."

Minho schnaufte. "Das sagst du uns erst jetzt?" Er schlug Newt spielerisch gegen den Hinterkopf, woraufhin der verwirrt aufsah und ihn dann wütend anfunkelte. "Sehe ich aus wie eines der kleinen Kinder im Lager, die du belehren musst?"

"Scheinbar, wenn du uns sowas nicht mitteilst. Thomas und ich kommen nämlich mit, richtig?" Thomas nickte zur Bestätigung. Newt rollte mit den Augen. "Das ist mir bewusst. Vielleicht wollte ich euch das eine Stunde vor Abflug mitteilen, um zuzusehen, wie ihr panisch alles organisiert."

"Sadist." "Mich wundert, dass Gally und du noch keine besten Freunde geworden seid." Newt sah mit hochgezogener Augenbraue zu Thomas. "Ich denke, ihr beide seid anstrengend genug, vielen Dank."

Dabei sah er die beiden gar nicht so oft. Thomas war meist auf Erkundungstour oder half bei irgendwas außerhalb des Lagers, während Minho als inoffizielles Oberhaupt des Lagers überall gleichzeitig zu sein schien.

Newt war meist dabei, irgendwelche Konflikte zu lösen oder in der Krankenstation zu helfen, die noch immer ausgebaut und ausgerüstet wurde. Zudem war er neben Minho und einer etwas älteren Frau namens Mia eine von WICKEDs Kontaktpersonen. Und manchmal zog er sich einfach zurück.

Acht Monate nach der Gründung des Lagers hatten mehr oder weniger alle gewisse Aufgaben übernommen, jetzt, wo der Ausbau in vollem Gange war, gab es aber auch viele, die einfach halfen, wo sie gerade benötigt wurden. Kaum jemand verbrachte zwei Tage am Stück unbeschäftigt.

Umso entspannter wurde es dann beim abendlichen Lagerfeuer am Strand. Dessen Anfang sie mit Sicherheit verpassen würden, wenn sie sich nicht bald auf den Rückweg machten.

Newt stand auf und zog die anderen beiden Jungen hoch. "Zeit für den Rückweg." "Dabei sind wir gerade erst angekommen.", beschwerte sich Thomas und streckte sich.

"Bedauerlich. Aber das Lagerfeuer will ich auch nicht verpassen. Vor allem aber habe ich Hunger. In der ganzen Aufregung heute bin ich gar nicht zum Mittagessen gekommen." Minho legte seinen Arm um Newts und Thomas Schultern und zog die beiden Jungen leicht nach vorne, auf den Trampelpfad zu.

"Ab nach Hause mit uns."

Mit den letzten Sonnenstrahlen im Rücken machte das Trio sich auf den Rückweg zum Sicheren Hafen.

The Blood RiddleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt