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Als Newt einige Tage später durch das unterste Geschoss streifte, bemerkte er den Grauen Mann nirgends. Nach einigem Überlegen entschied er, dass das wohl bedeutete, dass die Mitarbeiter hier genug Vertrauen in ihn hatten, um ihn nur noch durch zufällig Vorbeikommende und die Kameras zu überwachen.

Seit den Behandlungen waren auch seine Anfälle seltener geworden, was nicht  nur ihn, sondern auch alle in dem Komplex freute. Was wahrscheinlich ein weiterer Grund war, warum nicht mehr ständig jemand hinter ihm herlief. Erfolge. Ein Hoch auf ihn und sein halb verheiltes Gehirn.

Er gelangte in einen Gang, in dem er zuvor nicht gewesen war. Auf seinen Erkundungstouren tat er gerne so, als wäre er komplett abwesend und unbewusst in einen Raum reingerannt. Die Gesichtsausdrücke der Mitarbeiter, die von verwirrt über mitleidig bis genervt reichten, waren unterhaltsam. Die Gespräche mit seinen Freunden waren ebenfalls ganz nett.

Außerdem hatte er so die Möglichkeit, sich umzusehen. Und damit war er noch nicht fertig. Newt stieß eine Tür auf und gelangte in einen überraschenderweise leeren Raum. In dem Komplex arbeiteten zwar nicht zu viele Personen, doch da sie meist im untersten Geschoss waren, waren die meisten Räume besetzt.

Er schloss die Tür hinter sich und sah sich um. Im Raum standen Labortische, in die Waschbecken eingelassen waren. Einige Geräte lagen herum, ansonsten schien der Raum wirklich ungenutzt.

An einem der Tische in einer Ecke entdeckte Newt schließlich eine Vorrichtung, in der eine Reaktion ablief. Viel konnte er damit nicht anfangen, also ließ er sie in Ruhe. Plötzlich hörte er Stimmen. Zuerst dachte er, sein Gehirn spielte ihm wieder Streiche, doch dann bemerkte er die angelehnte Tür am anderen Ende des Raumes.

Newt schlich sich näher ran. Links von der Tür stand senkrecht ein Labortisch. Er hockte sich an dessen Ende und hörte genauer hin. Sein Gehör ließ ihn nicht im Stich. Ein Mann sprach.

"...Verhalten macht mir Sorgen. Alle in der Gruppe sind mehr oder weniger skeptisch, aber sie verhalten sich unauffällig. A7 hingegen scheint nach Beweisen dafür zu suchen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Außerdem trifft A5 reichlich oft auf ihn und scheint längere Unterhaltungen mit ihm zu führen."

Newts Augenbrauen schossen hoch. A7? Etwas am Rande seiner Erinnerungen ließ ihn noch mehr aufhorchen, doch er konnte nicht sagen, was es war. Eine weibliche Stimme antwortete dem Mann.

"Ja, das habe ich auch bemerkt. Newts Ergebnisse verbessern sich auch zunehmend, weswegen ich befürchte, dass die beiden schon bald auf etwas stoßen könnten. Ich würde sie gerne trennen, schließlich hängt unser Erfolg von ihrer Kooperation ab. Außerdem würde das ein interessantes Muster hervorrufen, dass ich gerne untersuchen würde."

Kurz trat Stille ein, dann sprach der Mann wieder. "Ich nehme an, Doktor Paige hatte wirklich Unrecht, als sie meinte, die bereits gesammelten Daten wären ausreichend?" Ein Seufzer ertönte. "Leider. Im Grunde haben wir alle nötigen Daten, in der Theorie ist das Heilmittel bereits fertig. Allerdings bekommen wir es in der Praxis nicht hin, weil uns-"

"Nein, nein, erzähl mir das alles nicht, ich bin ein Sicherheitsbeauftragter, kein Wissenschaftler.", unterbrach der Mann. "Allerdings hätte ich einen Vorschlag. Was hältst du von der Idee, A7 zu beseitigen?" Wieder Stille, dann: "Wie genau meinst du das?"

Auch Newts Interesse war geweckt. Er verlagerte sein Gewicht und rückte etwas näher an die Tür.

"Man könnte ihn natürlich einsperren oder wegschicken, aber das würde den Rest der Truppe aufregen. Außerdem würde es keinen so starken Effekt bei Newt haben und das Problem mit seinem starken Verdacht nicht lösen. Würde er allerdings umkommen..."

"Das würde Doktor Paige niemals erlauben. Außerdem wäre das noch viel auffälliger als alles andere, denkst du nicht?" "Wir befinden uns in einem hastig hergerichteten Komplex mitten im Untergang der Menschheit. Zudem haben wir zahlreiche Labore und gefährliche Stoffe in den Lagern. Ich denke, ein Laborunfall zum Beispiel wäre gar nicht so ungewöhnlich."

Newt bekam eine Gänsehaut und rieb irritiert seinen Arm. Was passierte hier gerade? Im Raum waren Schritte zu hören, jemand schien hin und her zu gehen. Schließlich sprach die Frau wieder.

"Ich könnte das organisieren. Bei dem letzten Angriff der Infizierten könnten einige von ihnen rein theoretisch in eines der Labore eingedrungen sein und dort ein Behältnis beschädigt haben. Daraufhin könnte jemand, rein theoretisch natürlich, etwas in dem Labor holen müssen, wobei er aus versehen etwas zerbrach, was dann eine explosive Reaktion mit dem Inhalt des beschädigten Behältnisses auslöste. Der Stoß, die Verbrennungen, das freigesetzte Gas- es würde viele Gründe geben, warum derjenige dann nicht mehr flüchten könnte und unglücklicherweise umkommen würde."

Die Schritte verstummten. "Wir haben zwar alles überprüft und auch keine solch gefährlichen Stoffe ungeschützt rumstehen, aber das müssen die Anderen ja nicht wissen und es lässt sich durchaus organisieren. Natürlich würde die Reaktion dann aus der Ferne ausgelöst oder zeitlich auf die Ankunft abgestimmt werden."

"Rein theoretisch wäre eine... unauffällige Beseitigung also möglich?" Darauf kam keine Antwort, aber Newt ging davon aus, dass die Frau genickt hatte. "Wird Doktor Paige Verdacht schöpfen?"

"Je nachdem, wie gut man es ausführt und begründet, aber generell ja. Starken sogar. Aber was soll sie machen? Wenn sie es erfährt, wird es schon zu spät sein." Der Mann grunzte. "Bist du dir da sicher? Schließlich hat sie es hinbekommen, A5 von den Toten zurückzuholen. Das war alles andere als einfach, so viel kann sogar ich sagen."

"Das war eine anderer Fall. Wir haben sehr schnell reagiert und eine Reihe in der Hinsicht glücklicher Zufälle hat mit reingespielt. Außerdem war es ein Fall sehr hoher Priorität. Und Doktor Paige hat ihn nicht allein zurückgeholt, das Team war groß und gefüllt von Spezialisten. Selbst wenn es ihr gelingen würde, würde er nicht sofort aufwachen, sondern in ein Koma fallen."

Newts Fuß war eingeschlafen. Er veränderte seine Position wieder. A5. Newt. Er musste A5 sein. Wieder hatte er das Gefühl, eine nicht greifbare Erinnerung würde an die Tür seines Bewusstseins klopfen. Ausgehend von dem gesamten Gespräch konnte A7 eigentlich nur eine Person sein. Unbewusst hatte Newt angefangen, auf seinen Nägeln zu kauen.

"Worauf warten wir dann noch?", fragte der Mann, "Können wir das organisieren?" Kurze Stille, wahrscheinlich ein Nicken von der Frau. "Wie bald?" "Meinetwegen gleich jetzt. Gib mir eine halbe Stunde und ich werde alles zurechtgelegt haben."

"Sag Bescheid. Ich versuche ihn solange zu finden. Und A5 habe ich auch schon eine Weile nicht gesehen, nicht, dass die beiden wieder zusammenstehen." Die Schritte im Raum wurden lauter und Newt realisierte, dass die beiden Personen sich der Tür näherten.

Er rückte weiter hinter den Tisch und drückte sich in die Kuhle, die halb von einem Mülleimer ausgefüllt wurde.  Noch während er seine Beine an sich ranzog, schwang die Tür auf.

"Warum nennst du sie eigentlich immer nach ihren Subjektnamen? Kannst du dir Newt und Minho nicht merken, sind dir die Namen etwa zu schwer?", neckte die weibliche Stimme. Der Mann schnaufte. "Die Mühe mache ich mir nicht. Außerdem war das von Anfang an euer Fehler. Ihr hättet niemals aufhören dürfen, sie als Versuchsobjekte zu betrachten. Eure Vermenschlichung hat dazu geführt, dass ihr Mitleid bekommen habt und jetzt nicht alle nötigen Ergebnisse habt."

Newt beugte sich vor und sah aus seinem Versteck hervor. Die beiden Personen schlossen gerade die Tür hinter sich, doch Newt sah noch den markanten Anzug des Grauen Mannes. Die Tür schloss sich klickend und ein Piepen ertönte.

Newt atmete aus und ließ sich wieder gegen den Tisch fallen. Allerdings war er weit von Erleichterung entfernt. Seine Befürchtung hatte sich bestätigt. A7 war Minho und die beiden wollten ihn umbringen.

The Blood RiddleWhere stories live. Discover now