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Mit leicht offenem Mund starrte ich abwechselnd zwischen ihm und der Waffe hin und her.
Ungeduldig forderte er mich auf aufzustehen und mit zittrigen Händen nahm ich das kühle Schwarze an.

„Aufpassen. Die ist echt." Ich nickte zögerlich und wiegte sie vorsichtig in meiner Hand aus Angst aus Versehen einen Schuss auszulösen oder sie zu beschädigen. Luke betrachtete das ganze herablassend
„Stell dich nicht so an. Du weißt wie man damit umgeht. Es ist dieselbe wie aus dem Training, nur tut ein Schuss daraus mehr weh und ist tödlich."


„Du bleibst die ganze Zeit bei Ashton und weichst ihm kein Stück von der Seite. Verstanden?"
Besagter reichte mir eine Dose, bei der es sich allem Anschein nach um Graffiti handelte.

„Wir sehen uns am Treffpunkt in genau 35 Minuten nach Landung, wenn alles gut läuft. Keine spontanen Alleinzüge und nicht entdeckt werden. Wenn einer entdeckt wird, ist derjenige auf sich alleine gestellt.", nahm Luke seine Rolle als Anführer wahr. Er wirkte tiefenentspannt und selbstsicher - Dinge die man von mir absolut nicht behaupten konnte.

„Ey Luke, kriegt sie keine?", Ryder nickte in meine Richtung. Luke schaute mich kurz an, zögerte aber kaum merklich, bevor er in eine kleine Seitentasche griff und eine weiße Tablette hervorzog und in dieselbe Seitentasche meiner Uniform tat, während er mir in die Augen sah.

„Wenn du gefasst wirst und dir sicher bist, dass du da nicht mehr raus kommst," er tippte auf die Tasche mit der Tablette. „Schluckst du die."
Verwirrt sah ich in Ryders Richtung, da Luke sich bereits von mir abgewandt hatte.
„Was ist das?" Er grinste bitter und legte seinen Kopf schief.
„Deine Eintrittskarte in die Hölle." Konzentriert starrte ich ihn an, nicht verstehend was er damit meinte.
„Du stirbst.", herablassend drehte er sich weg und wechselte ein paar Worte mit James.

Ich schluckte. Dann wurde es also ernst.
„Zehn Sekunden bis zur ersten Gruppe.", ertönte es wieder aus den Lautsprechern.
„Das sind wir.", Ashton zog mich unsanft am Arm zu sich rüber und überprüfte mit ein paar schnellen Griffen meine Ausrüstung.

„Ryder und ein weiterer Junge - Aiden war sein Name, glaubte ich zumindest - traten ebenfalls zu uns, als sich der hintere Teil des Flugzeug langsam öffnete und ich die Augen zusammenkniff, um nicht geblendet zu werden.

„Kontrolliert springen und abrollen.", Ryder deutete auf eine kleine, freie Fläche. Noch ein letztes Mal blickte ich zurück zu den anderen.
Mit einem zuversichtlichen Nicken von James und einem konzentrierten Blick von Luke, ertönte die Lautsprecherstimme: „Jetzt!"

Ein kalter Wind traf mein Gesicht, als ich aufstöhnte, weil der Boden härter auf meine Knöchel traf, als erwartet und mein Abrollen nicht ganz so perfekt verlief, wie ich es gehofft hatte.
„Beeil dich gefälligst.", die anderen waren schon längst wieder auf ihren Füßen, während ich noch nicht mal realisiert hatte, was ich gerade getan hatte. Ashton blickte sich mehrmals um, während ich viel zu langsam aufstand und hinter den dreien her in den Schutz einer Hauswand rannte, wo ich das erste mal seit dem Sprung aus dem Flugzeug wieder Luft holte und mich kurz umsah.
Flutlichter schwenkten über die Straßen und aufgrund der Ausgangssperre war keine Seele zu sehen.

„Alles gut?", Ryder sprach leise. Ich nickte nur stumm. Nichts war gut. Mein Körper produzierte Adrenalin im Überschuss, aber trotzdem war mein Kopf ganz woanders.
Mit Handzeichen zeigte Ashton auf eine etwas breitere Straße.
Geduckt und mit schnellen Schritten liefen wir hintereinander her und wichen den Lichtkegeln aus.

Ashton war anscheinend verantwortlich für unsere Gruppe, da er uns aufteilte, allerdings so, dass wir immer in Sichtweite blieben.

Ich sprühte konzentriert die Flamme an die Wand. Das Zeichen der Rebellion. Das Zeichen was damals so viele Fragen in mir aufwarf, wenn ich morgens zur Schule ging und jetzt war ich diejenige die es ansprühte.

Ich lief Ashton vorsichtig hinterher, während er immer wieder auf Wände oder Fenster deutete, die ich bereits kurz darauf mit der Flamme versehen hatte.

Ich war verwundert, dass wir bisher nicht auf Wachen getroffen waren, da es normalerweise vor allem nachts nur von ihnen wimmelte, aber umso erleichterter. Spät abends hatte ich oft am Fenster gesessen, wenn die schneeweißen Uniformen vorbeimarschierten, mich gewundert, ob sie einfach nie schliefen und nach was sie um diese Uhrzeit überhaupt suchten. Schließlich war niemand mehr auf der Straße außer wenige Einser. Diese ließen sich aber nur seltenst blicken. Meist nach irgendwelchen Festlichkeiten, für sie galt die Ausgangssperre nämlich nicht und Wachen, die sie beschützten brauchten sie ebenso wenig. Niemand traute sich auch nur in die Nähe von einem, aus Angst die Person zu verärgern oder Ähnliches. Mit nur einem Fingerschnippsen von einer solchen Person war man sein Leben nämlich los.

„Fünf Minuten.", Ryder bewegte nur seine Lippen und brachte keinen Ton hervor. Ich lächelte, da meine erste Mission fast vorüber war und komplett ohne Komplikationen verlief, obwohl ich ein wenig stutzig darüber war, warum alle trotzdem so übermäßige Vorsichtsmaßnahmen einhielten.
Die Tablette, die Waffe, die kugelsichere Uniform und dass es keiner wagte zu sprechen. Bis auf Ryders zwei Worte nach dem Sprung war nicht ein weiteres Wort gefallen.

Wir standen am Rand vom Marktplatz und die anderen drei beobachteten unruhig die Umgebung, als am anderen Ende aus einer Seitenstraße eine andere Gruppe hervortrat und kurz darauf noch eine. Es wurde sich mit Handzeichen verständigt aber keiner bewegte sich oder trat von den Wänden weg.

Auf was warteten wir? Mein Zeitgefühl war nicht das bester, aber ich schätzte, dass wir in spätestens zwei Minuten abgeholt werden sollen und der Treffpunkt war nicht der Marktplatz sondern etwa 150 Meter weiter nördlich. Wir sollten uns beeilen, aber niemand bewegte sich nur einen Zentimeter aus dem sicheren Schatten der Hauswände weg.

Ich spürte komischerweise wie Ryder neben mir zunehmend unruhiger wurde und zwanghaft versuchte sich zu beruhigen, obwohl er sich davon äußerlich nichts anmerken ließ.
Und dann, als ich gerade wagen wollte, doch nach dem Aufhalten zu fragen, fiel es mir auf und meine Atem stockte plötzlich unkontrolliert.
Nur mit Mühe gelang es mir, nicht wild husten zu müssen, aber mein Herzschlag verdoppelt sich trotzdem.

Die Gruppe von Luke und James fehlte.

DividedWhere stories live. Discover now