Kapitel 35: Matricaria chamomilla

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Ich liess sie gehen. Erst als Tante Rhona es Daireann endlich erlaubte, ihre Tochter aus dem Raum zu tragen, folgte ich ihnen schweigend.

Auf dem Weg nach oben erwachte ich langsam aus der Schockstarre. Ich wusste eigentlich genau was ich fühlen sollte. Wir hatten es geschafft. Doch es war so viel schief gelaufen und am Schluss hatte Ceara sich für einen schrecklichen Weg entscheiden müssen. Warum ist das Ganze nur so ausser Kontrolle geraten?

Doch eigentlich kannte ich die Antwort. Das war alles meine Schuld gewesen. Wäre ich doch nur schneller gewesen. Dann wären Ceara rechtzeitig bei Sharni gewesen, dann wäre Reyna ihnen nicht in die Quere gekommen und all das hätte vielleicht nicht sein müssen.

In diese trüben Gedanken vertieft, kam ich endlich im Erdgeschoss an. Die warmen Sonnenstrahlen in welchen die feinen Staubpartikel tanzten fühlen sich seltsam beruhigend auf meiner Haut an. 

Meine Familienmitglieder hatten die Situation erstaunlich gut unter Kontrolle. Enya und Kaitleen hatten Grandma bereits in den ersten Stock gebracht. Nun mussten wir einfach hoffen, dass sie sich weder vollständig erholen würde.

Im Gegensatz zu Grandma Aignéis, war Sharni wieder erwacht. Sie lag noch immer in den Armen ihrer Mutter, doch ihr Blick war klar und sie konnte die besorgten Fragen meiner Mutter leise beantworten. Tante Rhona hatte stand neben den beiden und liess gerade über das Festnetzt einen Krankenwagen kommen. Einen kurzen Moment fragte ich mich ernsthaft, wer den heute noch Festnetzt benutze. Doch der Moment war schnell vorbei.

Mit einem erdrückenden Gefühl der Schuld sah ich auf Sharnis rechte Hand, die sie fest an ihre Brust gedrückt hatte. Das Blut hatte sich bereits Schwarz verfärbt, doch auch so konnte ich sehen, dass ihr Zeigefinger in einem unnatürlichen Winkel abstand. Ich wäre so gerne zu ihre gegangen und mich bei ihr entschuldigt. Dafür, dass ich sie im Stich gelassen hatte. Dass ich zu spät gekommen bin. Doch Tante Daireanns Blick machte mir unmissverständlich klar, dass sie gerade niemanden an ihre Tochter heranlassen würde. Also respektierte ich diesen Wunsch und ging auf Ceara zu, die schweigend auf der Treppe nach oben sass, den Blick abwesend in die Luft gerichtete.

Im vorbeigehen klopfte mir Enya aufmunternd auf die Schulter. Sie stand der Ratsvorsitzenden gegenüber, die gar nicht erfreut aussah. Doch Enya schaffte es irgendwie die ganzen Geschehnisse des Morgens zu erzählen, ohne dass die Situation wieder eskalierte. Dafür war ich ihr unglaublich dankbar. Ich war mir nicht sicher, ob ich es geschafft hätte, noch ein intelligentes Wort herauszubringen. So setzte ich mich schweigend neben Ceara und hoffte, dass dieser Tag so schnell wie möglich vorbeigehen würde.

Bis auf die kurze Szene, in der Reamonn seine Schwester, die zum Glück mit leichten Kopfschmerzen davongekommen ist, unter lautem Geschimpfe aus dem Haus geführt hatte, blieb es jedoch ruhig. Er hatte seine Schwester stützen müssen und der rote Fleck an ihrer Schläfe sah wirklich nicht gerade angenehm aus. Doch Reyna war nicht wirklich in der Lage gewesen, Ceara noch irgendwelche Vorwürfe zu manchen. Sie hatte sich einfach an ihren Bruder geklammert und das Haus schweigend verlassen. Im Gegensatz zu Reamonn. Dieser hatte so lange damit gedroht, die ganze Familie in die tiefsten Kerker der Akademie zu sperren, bis Kaitleen, die ihre Wache an Grandma Aignéis Bett aufgegeben hatte, eingeschritten ist und ihn sanft aber bestimmt des Hauses verweisen hatte. Überhaupt schien die Ratsvorsitzende das Ganze erstaunlich gelassen zu nehmen. Sie hatte einzig darauf bestanden, das Rest des Rates der Sieben zu alarmieren, bevor sie wieder zu Grandma zurückgekehrt war.

Ich hatte dies einfach akzeptiert.

Als die Hexen eine halbe Stunde später eintrafen, überliess ich es Ceara, mit ihnen zu diskutieren.

Hexenstunde: Der ZirkelWhere stories live. Discover now