Kapitel 33: Artemisia vulgaris

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Als ich endlich das Zimmer erreichte, hatte Ceara den Raum bereits aufgeschlossen und wartet nun ungeduldig auf mich.

Das fensterlose Zimmer, das Ceara ausgewählt hatte, war eher eine Besenkammer. Ein kleiner, von Holzwürmern zerfressene Tisch nahm beinahe allen Platz alleine ein. Ein halbhohes, leeres Regal das einzig und alleine einen zersprungenen Topf mit einer halb verdorrten Beifusspflanze beherbergte, quetschte sich in die hintere Ecke und ein Stuhl mit nur drei Beinen bildete den Abschluss der Inneneinrichtung. Doch ich hatte gerade besseres zu tun, als mich über das dürftige Dekor zu beschweren.

Hastig zog ich den kleinen Spiegel aus der Tasche, den ich Enya nach unserem Versuch im Wald nicht zurückgegeben hatte. Vorsichtig legte ich ihn auf den Tisch und versuchte mich daran zu erinnern, was Beth in ihrem Buch geschrieben hatte.

Ich hob die Hände über die spiegelnde Fläche und konzentriert mich auf Enya. Ich lies ihr Bild vor meinem inneren Auge aufsteigen und füllte es mit Energie. Ich dachte an alles was Enya ausmachte, ihre Stärken und Schwächen. Ihre selbstbewusste Persönlichkeit aber auch ihre Naivität. Ihre Verbundenheit mit dem Feuer.

Dann öffnete ich die Augen und liess meine Energie auf den Spiegel vor mir fliessen.

Ich atmete tief ein. Mein Spiegelbild begann sich zu kräuselte, als würde es vom Wind aufgewühlt werden, dann veränderte sich das Bild. Auf der Oberfläche konnte ich nun Enya im Zimmer unter mir sehen. Es war als würde ich selbst an der Decke schweben, ich sah die ganze Szene von oben herab. Ceara neben mir seufzte erleichtert auf. Mit einem letzten aufmunternden Schulterklopfen verabschiedet sie sich von mir, bevor sie nach draussen rannte.

Unter mir stand Enya vor einer Schale voller Wasser und hielt ihre Hände über der Wasseroberfläche. Ich konnte sehen wie sie zitterte und verfluchte mich selbst. Die Blicke der drei Ratshexen und Grandma liessen keinen Zweifel daran, dass es nicht Enyas erster Versuch des Tages war.

Besonders Reyna sah Enya nun voller Misstrauen an. Kurz fühlte ich mich unendlich schuldig, dass ich meine Cousine so im Stich gelassen hatte, doch dann konzentrierte ich mich wieder ruf das Bild vor mir.

Enya zog die Hände zurück und fuhr sich durch die Haare.

„Ich weiss auch nicht genau was los ist, vermutlich bin ich einfach nur nervös..."

Ich biss mir auf die Lippen und schickte einen kleinen Stoss Energie durch den Spiegel vor mir. Erleichtert konnte ich sehen, wie sich das Wasser in Enyas Schale sanft kräuselte. Enya zuckte kurz zusammen, fing sich doch wieder, bevor einer der anwesenden Hexen ihren kurzen Aussetzer bemerken konnte.

Die Erleichterung in ihrem Gesicht tat beinahe schon weh. Doch nun setzte sie ein selbstbewusstes Lächeln auf.

„Aber das ist kein Problem. Nun bin ich bereit. Könnten sie nochmal die Aufgabe wiederholen?"

Sie klimperte mit ihren viel zu langen, unechten Wippern leibreizend in Reamonns Richtung, der zusammen mit Reyna neben unseren Pulten auf die Stühle gesetzt hatten, während Kaitleen und Grandma mit verschränkten Armen vor dem Pult standen. Dieser ignorierte dies jedoch und begann mit tonloser Stimme, die Aufgabe zu wiederholen. Ich grinste. Kluges Kind.

Die Aufgebe war schon fast lachhaft einfach. Ich sollte ihnen zeigen, was im Garten vor sich ging. Mit einem selbstbewussten Lächeln wartete ich drauf, dass Enya ihre Hände wieder über die Schale hielt und schickte dann meine Energie zu dieser. Während ich mich drauf konzentrierte, die Verbindung aufrecht zu erhalten, dachte ich an den Garten vor dem Haus, liess das Bild in die Schale fliessen. Unter mir hörte ich das erleichterte Ausatmen von Enya und das zustimmende Räuspern von Grandma Aignéis. In Gedanken dankte ich Beth für ihre überdetaillierten Beschreibungen.

Hexenstunde: Der ZirkelWhere stories live. Discover now