Kapitel 2: Fagus sylvatica

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Die warmen Sonnenstrahlen der Mittagssonne suchten sich langsam ihren Weg durch die erdrückende Sommerluft und kitzelten mich in der Nase. Niesend setze ich mich auf. Der Himmel vor mir hatte sich über die Stunden unserer Fahrt langsam von einem leichten Rosa zu einem warmen goldenen Schimmer verfärbt.

Zu meiner Beruhigung hatten meine Eltern die ganze Fahrt über geschwiegen. Auch wenn ich wusste, dass dies nicht bedeutete, dass sie sich nicht mehr streiten, so war die Stille doch um einiges besser für meine Nerven. Ich hatte das Gefühl ich würde gleich zerspringen.

Ein Blick auf die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigt mir, dass es nur noch wenige Minuten gehen würde, bis wir endlich ankamen.

Und wirklich, nach zwei weiteren Biegungen kamen wir an eine Kreuzung, an der ein Schild die Strasse vor uns als Privatzufahrt der Familie O'Brien auswies. Mein Herz schien einen Schlag auszusetzen.

Langsam rollte der Wagen an den hohen alten Rotbuchen vorbei, welche auf beiden Seiten der Strasse wuchsen. In den weiten Feldern rund um uns standen halbhohe Mauern aus losen Steinplatten, welche die Landschaft in regelmässige Rechtecke unterteilte. In einem der Felder konnte ich sogar eine kleine Herde Schafe grasen sehen.

Nach einigen Minuten kamen wir an ein grosses, gusseisernes Tor. Eiserne Ranken schmiegten sich um die hohen Gitterstäbe und unter jedem der spitzen Enden sass ein kleines Pentagramm. Auf den Seiten waren zwei steinerne Wolfshunde mit gebleckten Zähnen aufgestellt. Sie sahen so lebensecht aus, dass ich vor lauter Staunen kaum wegsehen konnte.

Bevor mein Vater etwas sagen konnte, verliess meine Mutter das Auto und ging auf die beiden Statuen zu. Ich konnte nicht genau sehen, was sie tat, da sie mit dem Rücken zu uns stand. doch dann hob sie ihre rechte Hand uns fuhr dem Wolfshund auf der rechten Seite über die Steinerne Schnauze. Als sie die Hand wieder zurückzog, begann sich das Tor vor uns langsam zu öffnen.

Meine Mutter stieg wieder in den Wagen und schweigend fuhren wir durch das beängstigende Tor. Als ich mich nochmals zu den Statuen umdrehte, glaubte ich für einen kurzen Moment einen dunkelroten Flecken auf der dunklen Steinschnauze der rechten Staute zu sehen. Hinter dem Tor erstreckte sich ein unglaublich perfekt geschnitten Rasen, auf dem es sicherlich keine noch so kleine Unkrautpflanze wagen würde zu wachsen. Wir fuhren über einen gepflegten Kiesweg auf das Haus zu. Mit wachsender Spannung sah ich aus dem Fenster. Das würde also in nächster Zeit mein zu Hause sein...

Das Haus meiner Familie hatte vier Stockwerke und schien aus einem Märchenbuch entsprungen zu sein.

Das Anwesen hatte die Form des Buchstaben L, der kurze Teil zeigte von uns weg nach Norden. Dahinter konnte ich sogar den oberen Teil eines hohen runden Turmes ausmachen, der über und über von Erdrauch überwachsen war.

Der graue Stein, aus dem das Haus gebaut worden war leuchtet in der Morgensonne beinahe weiss und ich konnte mehrere hohe Fenster aus Tannenholz erkennen. Das Dach war mit dunkeln Schindeln gedeckt und hinter jedem Fenster hingen feinste Spitzenvorhänge.

Etwas geschockt sah ich hinüber zu meiner Mutter. Hier war sie also aufgewachsen? Dieses Anwesend war einfach atemberaubend!

Vor dem Haus selbst war ein grosser Kiesplatz angelegt, in dessen Mitte ein hoher Springbrunnen thronte. Der Platz war von farbigen Blumenrabatten eingefasst und neben der hohen Eingangstüre aus rötlichem Kirschholz standen zwei wunderschöne Pappeln.

Der Wagen kam langsam zu stehen. Noch immer hatte niemand von uns etwas gesagt. Doch ich hielt es nicht mehr länger aus.

Ich öffnete die Tür und trat in die warme Sommerluft. Der Kies unter meinen Füssen knirschte laut in der unnatürlichen Stille. Fragend sah ich zu meiner Mutter hinüber, welche nun ebenfalls ausgestiegen war. Diese starrte jedoch wie hypnotisiert auf das Gebäude vor ihr. In ihren Augen spiegelten sich die unterschiedlichsten Gefühle und ich hätte nur zu gerne gewusst, was sie gerade dachte.

Hexenstunde: Der ZirkelWhere stories live. Discover now