Kapitel 1: Citrus sinensis

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Die Tür zu unserer kleinen Wohnung öffnete sich mit einem ohrenbetäubenden Quietschen. Innerlich seufzend schloss ich sie hinter mir. Das Geräusch welches mich sonst regelmässig in den Wahnsinn trieb kam mir plötzlich so vertraut vor. Ich würde es vermissen.

Der kurze Flur, halb versperrt von einer grossen Truhe auf der eine Ansammlung halbabgebrannter Kerzen und kleinen Schlüsselchen voller Potpourri stand, führte direkt ins Wohnzimmer. Der Duft der getrockneten Orangenschalen liess die Wohnung auch im Hochsommer weihnachtlich kuschelig erscheinen. Der quadratische Raum mit den dunklen Fenstern und dem zerkratzen Holzboden war momentan jedoch gerade der letzte Ort an dem ich mich befinden wollte.

Ich hörte die Stimmen meiner Eltern schon als ich in den Flur trat. Und wie schon in den letzten paar Wochen stritten sie sich wieder.

Ich seufzte laut und versuchte die Stimmen zu ignorieren. Dummerweise wusste ich nur zu gut warum sie sich stritten. Und ganz egal, dass ich schon Neunzehn war, es war kein schönes Gefühl.

Ich schlüpfte aus meiner hellen Jeansjacke mit den roten Stickblumen und hängte sie an einen der etwas verbogenen Haken. Dabei versuchte ich möglichst viel Krach zu machen, in der Hoffnung, dass dies den Streit beenden würde. Ohne Erfolg.

Die Stimme meines Vaters hallte durch den engen Flur. Er machte sich nicht mal die Mühe vorzugeben ruhig zu sein.

„Wie kannst du das nur ohne mich entscheiden?"

Das Lachen meiner Mutter klang übertrieben sarkastisch.

„Ach, du kannst also einfach entscheiden, dass wir einfach so mir nichts dir nichts zu meiner Familie ziehen aber ich darf nicht mal entschieden wem von unseren Nachbarn ich unsere Ersatzschlüssel gebe?"

Ich biss die Zähne zusammen. Die Stimme meines Vaters überschlug sich beinahe vor Wut.

„Zum letzten Mal, ich habe das nicht einfach so entschieden und das weisst du ganz genau. Es ist nicht meine Schuld, dass du deine Familie nicht magst, aber lass Kira diesen Streit nicht ausbaden."

„Du hast doch keine Ahnung von was du da sprichst! Du hast keine Ahnung wie meine Familie ist!"

Ich versuchte mir vorzustellen wie meine Eltern in unserem Wohnzimmer stehen, die Umzugskisten um sie aufgestapelt. Meine Mutter würde wie immer ihre alte Latzhose mit den eisernen Blumenknöpfen tragen, die sie wie ein Hippie aussehen liess. Auch wenn ich mir keinen Menschen vorstellen konnte, der weniger von dem Hippiegrove hatte als meine Mutter. Mein Vater würde sie um beinahe einen Kopf überragen, die sanften braunen Augen voller Unverständnis über die Wut seiner Frau. Dann würde er sich über das spitze Kinn streichen und etwas abwesend in die Luft starren, als würde er dort die Antwort auf alle Fragen dieser Welt finden.

Seine ungewöhnlich tiefe Stimme klang nun etwas ruhiger.

„Das stimmt. Ich weiss es nicht. Und obwohl du mir diesen Vorwurf schon tausende Male gemacht hast, weigerst du dich ja immer noch standhaft, mir zu erklären was das Problem ist."

Meine Mutter antwortete nicht.

Es mochte ein Klischee sein, dass Kinder denken, dass alle Probleme ihrer Eltern ihre Schuld waren, doch in meinem Fall war es leider Realität.

Ich setzte ein möglichst unschuldiges Lächeln auf und machte mich auf den Weg zu meinem Zimmer. Als ich an meinen Eltern im Wohnzimmer vorbeikam winkte ich ihnen kurz zu und versuchte dabei zu ignorieren, dass beide ungefähr gleich schlecht darin waren ein Lächeln zu erzwingen wie ich. Meine Mutter machte demonstrativ einen Schritt auf mich zu.

Hexenstunde: Der ZirkelWhere stories live. Discover now