Kapitel 32: Lonicera caprifolium

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Am nächsten Morgen brachte ich meine Augen kaum auf und mein Kopf fühlte sich an als hätte ich ihn gestern zu lange gegen eine Wand gehauen. Mein Zimmer drehte sich um mich als ich versuchte aufzusitzen und so liess ich mich einfach wieder zurückfallen. Die vielen Eindrücke von Gestern schwirrten mir noch immer im Kopf herum und ich fühlte mich als müsse ich hunderte Probleme gleichzeitig lösen.

Nun, so falsch war das gar nicht.

Also rollte ich mich aus dem Bett und machte mich auf den Weg ins Bad. Doch noch bevor ich die Tür erreichte, pralle etwas gegen meinen Kopf und liess mich taumeln.

„Dandelion?"

Doch irgendetwas stimmte nicht. Die Blumenfee wirkte... durchsichtig. Erschrocken sah ich auf die kleine Gestallt, die vor mir in der Luft schwebte. Ihr kleiner Körper bestand nur noch aus einem grauen Schimmern. Sie sah aus... wie ein Geist.

Erschrocken wich ich zurück, verstand nicht was ich hier sah. Dandelion taumelte in der Luft und fiel auf den Boden. Ich wollte sie aufheben, doch ich konnte sie nicht mehr berühren. Meine Hände glitten durch sie hindurch.

„Dandelion! Was ist passiert?"

Die kleine Fee sah mich voller Angst an.

„Lucan..."

Ihre Stimme hörte sich an als würde sie unter Wasser zu mir sprechen. Dann verstummte sie und ihr Bild verblasste. Panisch versuchte ich sie zurückzuhalten, doch ich konnte nichts tun. Ich spürte wie ich die Kontrolle verlor und total unkontrolliert zu zittern begann. Ich zwang mich dazu tief einzuatmen.

Erst als ich wieder zu Atem gekommen war, konnte mein Gehirn die Situation richtig einordnen. Das war nur ein Bild von Dandelion gewesen. Eine Projektion, um mich zu warnen. Ich hatte das selbst noch nie gesehen, doch aus Beths Buch wusste ich, dass die Feen diese Fähigkeit dazu genutzt haben, um Wanderer vom Weg abzubringen. Etwas schwankend stand ich auf. Ich musste sofort los. Ich musste Dandelion retten.

Und so rannte ich, mein T-Shirt noch nicht ganz über den Kopf gezogen, durch die Gänge und versuchte das brennende Gefühl der Schuld zu ignorieren. Ich hätte Dandelion an diesem Abend im Wald nicht einfach alleine lassen sollen. Ich hätte sie schützen müssen! Und ich hätte Gwens Warnung nicht einfach so ignorieren dürfen.

Doch alle diese Vorwürfe brauchten mir jetzt auch nichts mehr. Ich musste sofort zu meinen Cousinen. Doch wie schon so oft in den letzenden Tagen, hatte das Schicksal seine eigenen Pläne für mich.

Als ich die Treppe nach unten errichte hatte, kam mir Sharni mit einem Stapel Bücher im Arm entgegen. Als sich mich so ausser Atem sah, stoppte sie erschrocken.

„Was ist passiert?"
Ich brauchte kaum drei Minuten um ihr zu erklären, warum ich aussah, als hätte ich heute schon einen Marathon bestritten.

„Wir müssen es heute noch tun!"

Ich sah die Angst in Sharnis Augen, doch sie nickte nur. Ohne zu zögern liess sie die Bücher einfach fallen.

„Ich hole Enya. Wir treffen uns in zehn Minuten im Kaminsaal."

Dann war sie bereits wieder verschwunden. Ich erlaubte mir einen Moment stehen zu belieben um wieder zu Atem zu kommen. Doch dann rannte ich weiter so schnell ich konnte. Meine Lungen beschwerten sich lautstark und meine Muskeln liessen mich wissen, dass sie nichts davon hielten, am Morgen früh schon so überstrapaziert zu werden. Doch ich hatte keine Zeit, Rücksicht darauf zu nehmen.

Als ich vor Cearas Zimmer ankam, stand die Tür bereits offen. Ceara stand vor ihrem Bett und band sich gerade die Haare zusammen. Als ich atemlos im Türrahmen stehen blieb und gerade anfange wollte zu erzählen, winkte sie einfach ab.

Hexenstunde: Der ZirkelWhere stories live. Discover now