Kapitel 3: Helianthus annuus

140 9 0
                                    

Nachdem Enya mir schweigend den Weg zu meinem Zimmer gezeigt hatte, liess sie mich einfach vor der Zimmertüre alleine. In diesem Moment war ich ihr dafür sogar dankbar. Ich hatte keinerlei Lust über die Situation von vorher zu sprechen.

Wie es aussah, würde ich mir den ganzen dritten Stock mit meinen Cousinen und Brian teilen. Wir hatten die vier Zimmer um die Treppe herum bekommen. Mein eigenes Zimmer lag auf der linken Seite der Treppe, in nördlicher Richtung. Als ich die recht unscheinbare Tür mit der goldenen Federverzierung in der Mitte aufmachte, blieb mir fast das Herz stehen. Ich vergass sogar wie aufgebracht ich eigentlich war. Mein Zimmer war so gross wie unsere frühere Wohnung!

Im hinteren Teil stand ein riesiges Himmelbett, welches direkt aus einem alten Film über die englischen Könige gefallen sein könnte. Die prunkenen gelben Vorhänge und die feine silberne Bettwäsche waren alle mit dem dezenten Federmuster der Tür versehen. Langsam ging ich über den mit hellem Teppich ausgelegten Boden in die Mitte des Raumes.

Dort stand ein Schreibtisch aus dunklem Massivholz, daneben ein wunderschöner runder Tisch mit einem aus gelben Sonnenblumen bestehendem Gesteck.

Hier sollte ich wohnen? Der Kleiderschrank füllte die gesamte rechte Fläche aus und ich hätte darin problemlos einige Tage wohnen können. Etwas verunsichert sah ich zu meinen Umzugskisten, welche bereits neben dem Bett gestanden hatten, als ich das Zimmer betreten hatte. Das Meiste darin waren ehrlich gesagt Bücher. Den Schrank vor mir würde ich nicht mal zu einem Viertel füllen können.

Um mich noch nicht ans Auspacken machen zu müssen, drehte ich mich noch mal um mich selbst. An der Wand gegenüber der Tür hatte es drei hohe Fenster, die etwas Tageslicht herein liessen. Mein Blick wanderte über die schlichte gelbe Tapete. Doch dann bemerkte ich etwas. Nirgends hatte es ein Bücherregal.

Ich wusste nur zu gut, dass ich undankbar war, doch plötzlich war meine gute Laune wieder verschwunden. Seufzend richtete ich mich gerade auf und erkundete den Rest des Zimmers.

Niedergeschlagen öffnete ich die kleine Tür neben dem Bett. Vor mir erstreckt sich das Badezimmer. Der hintere Teil des Bades wurde von einem wahren Schwimmbecken aus hellen blauen Fliesen ausgefüllt. Die Wand gegenüber dem Becken bestand vollständig aus Spiegeln, was allerdings nicht gerade zu meinem Selbstbewusstsein betragen würde. Gerade morgens vermied ich Spiegel immer so gut es ging.

Auf dem Fenstersims sass eine kleine Spinne. Das war bei einem so alten Haus auch zu erwarten gewesen. Ganz vorsichtig, um die feinen Beine nicht zu verletzen, schob ich ein Taschentuch unter die kleine Arachnide und beförderte sie durch das Fenster nach draussen. 

Seufzend verliess ich das Bad und begann dann doch damit, meine Sachen auszupacken, welche von irgendjemandem in das Zimmer gebracht worden waren. Mit zitternden Fingern tastete ich nach dem Grimmoire. Als ich das kühle Leder berührte, beruhigte ich mich etwas.

Mit einem traurigen Lächeln setzte ich mich auf den Boden vor dem Bett und öffnete das Buch. Wie schon so oft starrte ich einige Sekunden auf den Namen auf der ersten Seite. In einer etwas schiefen Handschrift stand dort nur ein Wort. Beth.

Ich wusste nicht wer Beth war. Ich wusste nur, dass sie der Handschrift nach die Autorin des Buches sein musste. Nur noch zu gut konnte ich mich an den Tag erinnern, als ich das Grimmoire zum ersten Mal gesehen hatte.

Es war ein paar Tage nach meinem zehnten Geburtstag gewesen. Ich war  gerade von der Schule nach Hause gekommen, als ich vor der Tür zu unserem Wohnblock ein Päckchen liegen sah. Das war nichts ungewöhnliches, ich hatte schon oft ein Päckchen vor die richtige Wohnungstür gelegt. Ohne gross darüber nachzudenken hatte ich das Packet  genommen und das Gebäude betreten. Erst im Treppenhaus hatte ich die Adresse gelesen. Es war mein eigener Name. Kira Montgomery. Ich konnte mich noch gut daran erinnern wie erstaunt ich darüber gewesen war. Allerdings war ich viel zu neugierig um mich davon ablenken zu lassen. Als ich in unserer Wohnung angekommen war, war noch niemand zu Hause. Das war zwar ungewöhnlich, doch ich wusste, dass meine Mutter an diesem Tag noch einen Friseurtermin hatte und wohl etwas später kommen würde. Sobald ich meine Schultasche auf den Boden geworfen hatte, begann ich das Packet zu öffnen. Das Packet enthielt ausser dem Grimmoire nichts anderes. Keine Notiz, keinen Brief, nicht mal einen Absender.

Hexenstunde: Der ZirkelWhere stories live. Discover now