Kapitel 12: Prunus armeniaca

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Als ich am nächsten Morgen in den Esssaal kam hätte man denken können, dass ich die ganze Geschichte gestern nur geträumt hatte. Nun, ich hätte mich nicht beschwert.

Ich setzte mich zwischen meinem Vater und Sharni. Ich lächelte ihr zu und bat sie um die Aprikosenmarmelade. Sharni sah mich an als hätte ich sie gerade nach der Seele ihres erstgeborenen Kindes gefragt. Mindestens.

"Entschuldige? Ich esse hier gerade, kannst du das nicht sehen?"
Sie drehte sich von mir weg und tauschte einen überheblichen Blick mit Ceara. Ich war wie vor den Kopf gestossen. Was war denn das gewesen? Hatte ich die Begegnung gestern etwa wirklich nur geträumt? Hatte ich etwas verpasst?

Die Tür öffnet sich und meine Mutter trat in den Raum. Ich wollte gerade den Blick abwenden und sie ignorieren, doch dann sah ich ihren Gesichtsausdruck. Sie lächelte. Vor lauter Verwirrung vergass ich ganz, dass wir gerade stritten. In ihren Armen hielt sie Reul. Die Katze war mir noch immer etwas unheimlich, doch meine Mutter setzte sich an den Tisch, als wäre es das normalste der Welt, seine Pucca-Katze zum Frühstück mitzunehmen.

Das sah Daireann wohl anders.

"Keine Katzen am Tisch. Du kennst die Regeln."

Meine Mutter lachte spöttisch.

"Erstens, das war vor über zwanzig Jahren, zweitens, steck dir deine Regeln doch sonst wo hin."

Dann ass sie einfach weiter als sei nichts gewesen. Tante Daireann starrte sie mit offenem Mund an. Selbst Grandma Aignéis sah von ihrem Tee auf.

"Wie kannst du es wagen so mit deiner Schwester zu sprechen!"

Meine Mutter verdreht nur die Augen. Ich verschluckte mich an meinem Toast und Enya klopfte mir hilfsbereit auf den Rücken.

Allerdings übertrieb sie etwas und ich knallte beinahe mit dem Gesicht in mein Frühstück. Dabei verrutschte die Kette meines neuen Medaillons und der Anhänger fiel aus meinem Ausschnitt.

Meine Mutter musterte mich einen Moment lang abwesend, dann weiteten sich ihre Augen plötzlich erschrocken.
"Was trägst du da?"
Sie zeigte auf meine Kette. Ihr Tonfall war angespannt. Ich griff nach dem Medaillon.

"Daireann hat es mir gegeben. Es ist aus Eisen."
Meine Mutter sah aus als wollte sie noch etwas sagen, doch dann tauschte sie einen kurzen Blick mit Daireann und verkniff sich einen Kommentar.

"Gut."
Es klang eher, als hätte sie einfach kein besseres Argument dagegen. Ich wusste ja, dass meine Mutter kein Fan von Schmuck war, aber das hier war ja wohl etwas übertrieben.

Bevor sich mal wieder eine unangenehme Stille bilden konnte, räusperte sich Tante Daireann.

"Ich habe noch eine wichtige Mitteilung zu machen."
Mein Vater hob den Kopf.

"Wirst du uns sagen wer uns gestern angegriffen hat?"

Daireann verzog das Gesicht.

"Das auch. Allerdings denke ich, dass ihr gerne gewusst hättet, dass wir heute Besuch bekommen."

Einen Augenblick war es still. Dann stöhnte Bedelia laut auf.

"Bitte sag nicht, dass Merissa kommt. Ich kann die arrogante Schnepfe nicht ausstehen."

Daireann kniff die Lippen zusammen.

"Doch genau das meine ich. Sie ist die Anführerin unseres Covens und wir sind gestern angegriffen worden. Es ist ihre Aufgabe sicherzustellen, dass es uns gut geht."

Rhona sah aus als hätte sie nur all zu gerne widersprochen, doch sie liess es bleiben. Im Gegensatz zu Ceara.

"Wir hätten auch Gallagher anrufen können."

Hexenstunde: Der ZirkelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt