Ben ist da

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Bens p.o.v.

Endlich Schule aus. Ich war der Erste, der aus der Tür war, genau beim Klingeln. Die genervte Stimme der Lehrerin über mein verfrühtes Verlassen des Unterrichts ignorierte ich.
In diesem Moment konnte mir ihr Spruch: "Der Lehrer beendet den Unterricht." nicht gleichgültiger sein.
Alles, was noch zählte, war Lilly.

Die Gänge waren noch leer und so war ich vor den ganzen Schülermassen aus der Schule draußen.
Ich lief schnell, war aber noch vernünftig genug, mich nicht sofort in meinen Wolf zu verwandeln und nach Hause zu rennen.
Nach einer Weile spürte ich Alessandros Präsenz neben mir, doch ich schenkte ihm keinen Blick.
Ich war noch immer nicht gut auf ihn zu sprechen, würde es wahrscheinlich eine lange Zeit nicht sein.
Zum Glück versuchte er diesmal nicht, mich davon abzuhalten, zu Lilly zu gelangen.

Wir waren zwar Recht schnell unterwegs und doch kam es mir nicht schnell genug vor.
Der Weg nach Hause war nicht sonderlich lang, das wusste ich, daher wäre es unsinnig, mich deswegen in meine Wolfsgestalt zu verwandeln. Trotzdem erwischte ich mich dabei, wie ich mich unauffällig nach allen Seiten umsah, und überprüfte, ob gerade jemand in meine Richtung blickte.

"Wag es nicht einmal.", ertönte da Alesssandros ruhige Stimme neben mir, allerdings mit einem warnenden Unterton.
Ihm mussten meine Blicke aufgefallen sein.

Wütend knurrte ich zur Antwort.
"Du hast nicht das Recht, mich die ganze Zeit von meiner Mate fernzuhalten!"
Meine Hände hatten sich wieder zu Fäusten geballt, bereit zuzuschlagen, wenn nötig.
Das Wissen, dass Lilly mich von sich gestoßen hatte, zusammen mit der neuen Distanz zwischen uns...es brachte mich fast um und machte mich aggressiv.

Ich hätte sogar schon längst zugeschlagen, mich mit Alessandro gemessen, meine Wut und Aggression an ihm ausgelassen, wäre da nicht die leise Stimme in meinem Hinterkopf, ich sollte es nicht tun.
Mein Wolfsinstinkt riet mir davon ab, meinen zukünftigen Alpha anzugreifen.
Allerdings glaubte ich eher, dass die Tatsache, dass ein Kampf mit Alessandro mich wertvolle Zeit kosten würde, mich hauptsächlich davon abhielt, ihn anzugreifen.
Meine Priorität war, zu Lilly zu gelangen und zwar so schnell wie möglich.

Keiner würde mich mehr daran hindern, auch nicht meine verdammte Wut auf Alessandro.

Ich sah mich wieder um. Die eine Frau ging gerade in ihr Haus. Der Fußgänger mit seinem Hund war weit entfernt. Er würde bestimmt nicht hergucken, oder?

"Ich sagte, wag es bloß nicht.", knurrte Alesssandro diesmal. Ich zuckte gegen meinen Willen zusammen. Mein Wolfsinstinkt drängte mich dazu, Alessandro zu gehorchen, war er doch mein zukünftiger Alpha und stand über mir. Ganz davon abgesehen, dass er mir körperlich überlegen war.
Und doch war die Wut, der Drang zu meiner Mate zu gelangen, einfach größer.
Ich konnte nicht anders und knurrte zurück.

"Und ich sagte...", fing ich wütend an, doch Alessandro unterbrach mich.

"Es wird dich nicht schneller zu Lilly bringen, wenn du in deiner Wolfsgestalt andere Leute erschrickst. Im Gegenteil, es wird dir nur noch mehr Probleme einbringen. Also lass es einfach."

Ich bleckte die Zähne, doch davon ließ sich Alessandro nicht beeindrucken, sondern starrte mich einfach nieder.
So sahen wir uns lange an, warteten darauf, dass der andere einknickte. Zu stolz, es selber zu tun.
Wir waren stehen geblieben, und starrten uns nieder.
Alessandro war äußerlich ruhig, doch seine Augen sprachen eine andere Sprache.
Sie glühten fast schon vor drohender Warnung und strahlten eine enorme Autorität aus.
Ich fletschte die Zähne, nicht bereit nachzugeben.
Aber je länger wir uns so anstarrten, desto schwieriger wurde es, seinem Blick standzuhalten.
Der Druck, mich meinem zukünftigen Alpha zu unterwerfen, wurde immer stärker, bis ich schließlich nicht anders konnte.
Knurrend wandte ich den Blick ab.

"Von mir aus.", murrte ich und setzte unseren Weg schnell fort, verwandelte mich aber nicht.
Diesmal hatte Alessandro gewonnen. Diesmal.

Den Rest des Weges legten wir schweigend zurück. Ich hatte überhaupt keine Lust, ein nettes Pläuschchen mit ihm zu führen.
Nein, selbst wenn ich wollte, konnte ich nicht. Lilly spukte mir im Kopf herum. Was sollte ich sagen? Wie sollte ich ihr begegnen? Würde sie mich überhaupt mit ihr reden lassen?
Ich hoffte es. Sie musste einfach.
Ich musste ihr alles erklären, sie musste zuhören. Wenigstens das schuldete sie mir.

Nach einer endlosen Ewigkeit - zumindest erschien es mir so - kamen Alesssandro und ich endlich zu Hause an.
Vor der Tür blieb ich stehen und starrte bewegungslos auf die Klinke.
Ich hatte mich so sehr beeilt, hier her zu kommen. Hätte mich deswegen fast in meine Wolfsgestalt verwandelt.
Und jetzt....ich war nervös. Ich, Ben, war nervös. Das kam bei mir sehr selten vor.
Doch Lilly hatte die Macht über mich, mich nervös werden zu lassen.

Was sollte ich ihr sagen?
Plötzlich wurden meine Hände schwitzig, sodass ich sie an meiner Jeans abwischen musste.
Wie würde sie reagieren?
Würde ich eine weitere Zurückweisung überhaupt noch ertragen können?
Denn ich musste damit rechnen, dass sie mich wieder von sich stoßen würde.

Ich schluckte schwer. Schloss für einen Moment die Augen.
Ich muss jetzt stark sein, sagte ich mir selbst.
Ich muss für unsere Liebe kämpfen.

Es wenigstens versuchen. Selbst wenn der Versuch mich zerstören würde.
Aber sie war es wert. Lilly war alles wert.

Lillys p.o.v.

Ich wusste, wann er Schulschluss hatte. Ich wusste, wann er nach Hause kommen würde. Und war schon eine halbe Stunde vorher nervös.
Wie sollte ich ihm begegnen?

Ich hatte Stunden Zeit gehabt, mir darüber klar zu werden, theoretisch schon bereits nach dem Aufstehen.
Aber ich hatte diese Zeit nicht genutzt.
Stattdessen hatte ich einen Marathon der Gefühle hinter mich gebracht, indem ich Olivia von meiner Vergangenheit erzählt hatte.
Ich hatte meine Maske abgezogen, mein Inneres enthüllt und....den Schmerz zurückgedrängt, so schwer es auch gewesen war.
Ganz zu schweigen von der Sache mit Damien, von dem Deal, der mir noch immer schwer im Magen lag.

Doch konnte ich solch ein Gespräch wie das mit Olivia noch einmal wiederholen? Heute noch?
Ich war mir nicht sicher.
Wenn ich wieder Bens Gesicht sehen würde....immer wieder sah ich die Szene vor mir, wie er meine Gedichte in der Hand hielt und mich erschrocken ansah.
Die Szene, die alles zwischen uns veränderte.

Es hieß, Veränderungen seien gut. Waren sie das wirklich?
Denn klar, es war gut gewesen, dass ich mein Rudel verlassen hatte. Wer wusste schon, was sonst noch passiert wäre...
Aber wer konnte mir mit gutem Gewissen sagen, dass das gestern gut gewesen war?
Wer konnte mir erzählen, dass all dieser Schmerz, der über mich hereingebrochen war, gut war?
Niemand.
Oder falls doch, dann nur Idioten. Nichtsahnende Idioten, die noch nie solch einen Schmerz gespürt hatten.
Noch nie richtig geliebt hatten, um solch einen Schmerz spüren zu können.

Es hieß auch, Liebe siegt über alles.
Wie viele Bücher wurden über die Liebe geschrieben? Wie viele Filme darüber gedreht?
Ich konnte verstehen, warum. Liebe war ein unglaubliches Gefühl. Es konnte einem so viel geben. Aber im Gegenzug war Liebe auch grausam.
Sie konnte dir genauso viel nehmen und noch so viel mehr.

Ich war nicht naiv. Hatte zu viel erlebt, um es zu sein.
Ich glaubte nicht an Happy ends. Glaubte nicht an eine unbesiegbare Liebe.
War das dumm? Oder einfach realistisch?
Wer wusste das schon. Fakt war, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, alles würde zwischen mir und Ben gut werden.
Das hier war kein verdammtes Liebesbuch, kein verdammter Liebesfilm, wo sie sich am Ende küssend in den Armen lagen und die Leser oder Zuschauer Tränen in den Augen hatten.

Das hier war die Realität. Und die Realität war eine Bitch.

I wanna be free, MateNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ