Macella

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Lillys p.o.v.

Kürzeste Horrorstory: Montag. Um genau zu sein, heute.
Mein Wecker klingelte schrill und der Ton bohrte sich in meinen Kopf. Stöhnend vergrub ich diesen unter meinem Kissen, hörte den Wecker aber trotzdem noch. Zu laut für meinen Geschmack.
Aber wenigstens konnte ich so immer sicher sein, dass ich wach wurde.

Also rollte ich mich widerstrebend aus meinem Bett. Was tatsächlich funktionierte. Ohne, dass mich jemand zurückhielt.
Denn ich hatte Mal wieder allein geschlafen.

Am Samstag hatten Ben und ich einen Actionfilm geschaut. Eines der wenigen Genre, die ich heutzutage noch sehen konnte.
Liebesfilme waren für mich tabu. Zu viel Liebe eben. Liebe, die nur im Film existierte und nicht in meinem Leben, wie ich es doch so gern hätte.
Was mir aber meine scheiß Vergangenheit verwehrte.

Auch Horrorfilme konnte ich mir nicht mehr ansehen. Zu sehr erinnerten sie mich an meine Vergangenheit. An die Schmerzen, die ich anderen Leuten hinzugefügt hatte. An die Angst der anderen.

Tja, da waren Actionfilme noch ganz unverfänglich. Besonders sehr liebte ich die Marvel-Filme.
Es war schön gewesen, zusammen mit Ben IronMan zu sehen. Mit seinem Arm, den er um mich geschlungen hatte. Eng an ihn geschmiegt.

Und doch....ich musste Abstand wahren. Um meiner Gesundheit Willen. Denn jedes Mal, wenn ich mehr Zeit mit ihm verbrachte, kam wieder dieser verrückte Wunsch in mir auf, ihn zu markieren.

Das konnte ich nicht zulassen. Es würde mich zerstören, da ich dann nur noch verstärkt seinen Schmerz spüren würde, wenn ich ihn erstmal verletzte. Und dass das passieren würde, war mir klar.

Seufzend suchte ich mir Kleider aus dem Schrank. Ich entschied mich für ein einfaches weißes Top und eine kurze Jeans Hotpants.

Dann ging ich ins Bad, das zum Glück frei war und machte mich fertig.
Da ich sehr auf meine Haut achtete, hatte ich keinen einzigen Pickel. Und überhaupt zählte ich zu den wenigen, die eine reine Haut hatten.
Deshalb tuschte ich mir lediglich die Wimpern, steckte mir meine langen silbernen Ohrringe an und voilà.
Ich sah ganz akzeptabel aus.

Also ging ich runter, wo ich schon von weitem Macella in der Küche hörte.
Mein Geruchssinn meldete mir, dass es heute wohl Croissants gab.
Und natürlich hatte sie auch mein Porridge zubereitet.

Mmh. Kaum war ich unten angelangt, setzte ich mich gleich an den Esstisch und machte mich daran, mein Porridge verschwinden zu lassen.
Doch obwohl ich es nicht wollte, konnte ich dennoch nicht verhindern, dass ich einen kurzen Blick auf die Couch warf. Wo Ben schlief.

Friedlich schlummernd lag er da. Er sah so süß aus. Seine Gesichtszüge entspannt und nicht so angespannt wie oft in meiner Nähe.
Sein Mund stand ein wenig offen. Diese vollen Lippen...oh Mann, er machte es mir echt nicht leicht.

Manchmal fragte ich mich, was die Mondgöttin sich nur dabei gedacht hatte, als sie Ben und mich zusammen brachte.
Was sie sich überhaupt so dachte. Warum sie tat, was sie nunmal tat.

Warum hatte sie nie eingegriffen, als er mich dazu gezwungen hatte, meine Rudelmitglieder zu verletzen?
Warum hatte sie tatenlos zugesehen?
Warum hatte sie beinahe zugelassen, dass er mich markierte? Obwohl er nicht mein Mate war?

Fragen über Fragen. Und keine einzige Antwort.
Tja. So war das wohl. Manchmal zweifelte ich sogar daran, dass die Mondgöttin Luna überhaupt existierte. Aber wenn es sie, unsere Schöpferin, nicht gab, warum sollte es dann uns geben?

"Lilly, guten Morgen!", riss mich da eine liebliche Stimme aus meinen Gedanken.

Ertappt blickte ich auf. Lächelnd blickte Macella zwischen mir und Ben, der noch immer auf der Couch schlief, hin und her.
Während ich so in Gedanken versunken gewesen war, hatte ich meinen Blick nicht von ihm gewendet.

"Morgen.", erwiderte ich nur.

Macella war wirklich eine sehr nette Person. Manchmal etwas zu lebhaft für meinen Geschmack, aber hey, jeder war nun mal so, wie er war.
Außerdem war sie immer nett zu mir gewesen. Hatte mich so akzeptiert wie ich war.
Selbst, als ich Ben daran gehindert hatte, mich zu markieren. Ohne jegliche Begründung.

Während andere im Rudel mir deshalb etwas kühler begegnet waren, hatte sie ihre erquickende Freundlichkeit beibehalten.
Ich hatte keine Ahnung, wieso.
Sie sollte mich hassen. Schließlich war sie die Luna, und ich verletzte Ben mit meinem Verhalten.

Doch irgendwie schien sie es zu verstehen. Dabei konnte sie nichts von meinen Gründen wissen.

"Ich habe dir einen leckeren Apfel gemacht. Damit du auch in der Schule etwas Gesundes zu dir nimmst. Ich weiß ja, dass du die Donuts von der Kantine nicht so magst. Jetzt wollte ich dich fragen, ob ich dir noch etwas anderes machen kann? Vielleicht Physalis? Oder Snackkarotten, damit du noch ein wenig Gemüse zu dir nimmst? Vielleicht auch..."

"Ein Apfel reicht vollkommen, danke, Macella.", unterbrach ich lächelnd ihren Redefluss.

Obwohl ich es nicht wollte, wärmte mich ihre Sorge von innen. Denn ich hatte sowas nicht oft erfahren. Nicht einmal von meinen eigenen Eltern.

Allerdings musste ich aufpassen. Denn es konnte jederzeit passieren, dass ich jemanden verletzte. Dass ich vielleicht plötzlich die Kontrolle verlieren würde. Meine Gabe unabsichtlich benutzen würde.
Und jemanden gegen meinen Willen verletzen würde.

Und wenn ich denjenigen noch ins Herz geschlossen hatte....es würde so viel mehr wehtun.
Verdammt, ich wollte nicht nur an mich denken, nicht nur an meinen Schmerz.

Aber all die Jahre in seinem Rudel...all diese Jahre hatten mir nur allzu schmerzhaft gezeigt, wie sehr es wehtat, andere zu verletzen.
Besonders diejenigen, die man liebte.
Und dieser Schmerz....ich wollte solch eine Pein nie wieder ertragen.

Deshalb hieß meine Lösung: Abstand.
Nur wollte das irgendwie nicht so gut funktionieren...

"Nur ein Apfel, okay. Aber falls du noch irgendetwas brauchen solltest, tesoro, dann..."

Wieder einmal unterbrach ich sie.
"Dann rufe ich dich an."
Sie wiederholte immer wieder, dass wir sie jederzeit anrufen konnten, wenn was war.
Dieser Gedanke war ungewohnt für mich. Ich hatte schon immer selbst für mich sorgen müssen.
Und nun die Gewissheit zu haben, dass da noch jemand anderer war...es war ein komisches Gefühl.

Einerseits fühlte ich mich sicher, geborgen. Als wüsste ich, dass mich jemand auffangen würde, wenn ich fiel.
Andererseits....ich war misstrauisch. Traute den Händen nicht ganz, die versprachen, mich aufzufangen.
Das lag nicht etwa daran, dass Macella auf mich den Eindruck machte, als würde sie ihre Versprechen nicht halten.
Nein, auf keinen Fall. Ich vertraute ihr.

Aber ich hatte stets immer nur mir vertraut. Denn als ich es nicht getan hatte...nun, ich hatte eine Lektion bekommen: Vertraue nur dir selbst.
Und ich konnte nicht so einfach von dieser Lektion, die mich durch mein Leben gebracht hatte, abweichen.

Macella lächelte mich liebevoll an.
"Du weißt, du kannst das immer machen, ja?"

"Ja.", Bestätigend nickte ich.
Ich wusste es. Aber ich würde es trotzdem nie tun.

Und obwohl ich nichts sagte und auch meine Miene wie immer nichts von meinen wahren Gedanken verriet, schien sie auf einmal traurig.

Als ahnte sie, dass ich ihre Hilfe nicht annehmen würde. Nicht annehmen konnte.

Doch statt etwas zu sagen, nickte sie mir nur zu und verschwand wieder in die Küche.

Tja. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir beide noch keine Ahnung, was alles kommen würde.
Und dass ich mich würde gezwungen fühlen, über meinen Schatten zu springen.
Und doch jemand anderem als mir selbst vertrauen zu müssen.

I wanna be free, MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt