Wieder in der Schule

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Lillys p.o.v.

Ich ließ mir am Morgen nichts anmerken. Meine Maske schien sich über Nacht wieder regeneriert zu haben und so sah niemand den Schmerz und die Qual in meinem Herzen.

Sah nicht den Unterschied zu sonst. Das Schwerste war, am Frühstückstisch neben Ben zu sitzen. Mehr als einmal erwischte ich meine Hände dabei, wie sie zitterten.
Ich blickte ihn nicht an, spürte aber seine Präsenz neben mir viel stärker als sonst, als wäre ich hypersensibilisiert auf ihn.
Jede noch so kleine Bewegung von ihm und mein Puls schnellte in die Höhe.
Ich war noch nie so erleichtert gewesen, als ich das Frühstück hinter mich gebracht hatte. Auf dem Schulweg konnte ich ihm wenigstens halbwegs aus dem Weg gehen, indem ich mit Olivia vorne lief.
Auch jetzt ließ sie mich nicht im Stich, sondern blieb an meiner Seite.

Dennoch war ich heilfroh, als wir endlich an der Schule angekommen waren und ich im Unterricht verschwinden konnte.
Tatsächlich war der Unterricht eine gute Ablenkung. Ich schob alles weg, und konzentrierte mich stärker denn je auf die Worte des Lehrers.
Er wunderte sich bestimmt, warum ich mich so oft meldete.
In der Pause schlug ich einen Weg ein, auf dem ich bestimmt nicht Ben begegnen würde. Hoffte ich zumindest.

Ich war gerade kurz vor meinem nächsten Klassenraum, als plötzlich eine ziemlich aufgebracht wirkende Victoria auf mich zukam.
"Du!", fauchte sie wütend, während sie auf mich zu stapfte.
Fragend zog ich eine Augenbraue hoch. Als würde ich sagen: komm zum Punkt, ich hab nicht ewig Zeit.
Meine Maske funktionierte wirklich wieder einwandfrei.

Wütend blickte mich Victoria an.
"Du hast mir Damien weggenommen, du Bitch!", zischte sie aufgebracht.
Ich zuckte nicht mit der Wimper. Vielleicht, weil wieder ein Stück der alten Kälte und Taubheit in mir war, vielleicht weil ich damit gerechnet hatte, dass es so kommen würde, seit ich diese Entscheidung getroffen hatte. Zwar hatte ich diese ganze Sache nach Bens Verrat, meiner Entführung und dem Deal mit Damien nicht mehr im Kopf gehabt, aber sonderlich überrascht war ich dennoch nicht.

Klar, wäre ich in meiner alten Form, könnte ich jetzt etwas entgegnen, könnte sie verbal innerhalb einer Millisekunde entwaffnen, aber so ganz war ich eben noch nicht wieder die Alte.
Außerdem war ich immer noch ziemlich erschöpft von dem Kraftaufwand, all die Gefühle aus meinem Herzen zu vertreiben.
Ich hatte gerade von allem genug. Sollte Victoria ihrer Wut doch Luft machen. Mir war es egal.
Dass ich nichts entgegnete, schien sie nur noch mehr auf die Palme zu bringen.
"Aber stimmt, ich hab vergessen: du hast ja gesagt, man kann gar nicht genug Jungs haben, stimmt's?"

Innerlich verdrehte ich die Augen.
Gott, wie lange sollte das hier noch so gehen? Ich hatte wirklich ganz andere Sorgen als das hier im Moment.
Ich blickte sie an und wartete darauf, dass sie endlich fertig war, als ich plötzlich etwas aus dem Augenwinkel sah. Vielleicht war es auch ein innerer Instinkt, der mich über Victorias Schulter vorbeisehen ließ, wer weiß?

Jedenfalls erstarrte ich bei seinem Anblick.
Ben stand nur wenige Meter entfernt im Gang und starrte mich fassungslos an. Fassungslos und....verletzt.
Scheiße. Er musste es gehört haben. Musste gehört haben, was Victoria gesagt hatte.
Eiskalter Schock überschwappte mich, durchdrang den Käfig meiner Gefühle und dieses Mal schaffte ich es nicht, meine Maske aufrechtzuerhalten.
Der Schock zeichnete sich auf meinem Gesicht ab. Sichtbar für alle. Sichtbar für Ben.

Schnell ließ ich mein Gesicht wieder ausdruckslos werden.
Aber es war bereits zu spät. Ben hatte es gesehen. Und musste nun denken, was Vicky gesagt hatte, wäre wahr.
Fuck.

Seine Miene verschloss sich, er setzte eine ausdruckslose Maske auf, verwandte meine eigenen Waffen nun gegen mich.
Und es riss mir das Herz aus der Brust. Da war kein anderer Weg, es zu beschreiben. Er wollte mir nicht mehr zeigen, wie es ihm ging. Er verschloss sich vor mir.
Und doch...er war kein Meister auf dem Gebiet. Entweder das oder seine Gefühle waren einfach zu stark.
Denn ich konnte die Emotionen noch immer an seinen Augen ablesen. Offen strahlte mir der unbändige Schmerz aus seinen meeresblauen Augen entgegen. Das Gefühl, verraten worden zu sein. Ich konnte es nur zu gut genug nachempfinden.
Vielleicht sollte ich Genugtuung empfinden. Weil er nun denselben Schmerz fühlte wie ich ihn gefühlt hatte.
Aber im Ernst? Derjenige, der gesagt hatte, Rache sei süß, musste ein kompletter Volltrottel gewesen sein.
Denn Rache fühlte sich scheiße an.
Anstatt mich in irgendeiner Weise besser zu fühlen, fühlte ich mich schrecklich.

I wanna be free, MateWhere stories live. Discover now