Der Lauscher an der Wand...

1.7K 116 20
                                    

Bens p.o.v.

Ich sollte mich schuldig fühlen. Ich drang absichtlich in die Privatsphäre meiner Mate ein, ohne ihre Erlaubnis.
Das war ganz und gar nicht nett.
Dennoch fühlte ich einfach nur den verdammten Wunsch, endlich mehr zu erfahren.
Und das hier war nun einmal die perfekte Gelegenheit.

Leise drückte ich mich gegen die Wand vor unserem Zimmer und spitzte die Ohren.
Alessandro war neben mir und sah mich komisch an.

Er war schließlich gegen den Vorschlag, meine Mate zu belauschen.
Tja, er war einfach zu ehrenhaft, zu sehr gentlemanlike. 
Ich konnte mir das nicht leisten. Ich musste einfach wissen, was meine Mate der seinen erzählte.

"...jetzt....jetzt ist meine Vergangenheit wieder da. Ich konnte sie immer verdrängen, aber das geht jetzt einfach nicht mehr.", Hörte ich Lillys Stimme.

Ich hielt unwillkürlich den Atem an. Sie redete tatsächlich darüber. Sie redete mit Olivia über ihre Vergangenheit.
Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Doch ich wusste, was ich fühlte.
Einerseits war da ein heißer Schmerz in meiner Brust. Warum erzählte sie das Olivia? Und nicht mir?
Verdammt, ich war ihr Mate!
Ich hatte ein Recht darauf, es zu erfahren!

Andererseits...wenigstens erzählte sie es überhaupt jemandem.
Und so konnte ich es ja auch erfahren. Auch wenn sie es wahrscheinlich nicht wollte. Aber ich war die ganze Zeit rücksichtsvoll mit ihr umgegangen. Jetzt war es an der Zeit, auch Mal rücksichtslos zu sein, um zu bekommen, was ich will.

Da sprach sie weiter. Und mir stockte der Atem.

Sie sagte, sie liebe mich.
Gott, am liebsten würde ich in dieses Zimmer stürmen und sie bitten, diese Worte nochmals zu sagen, mir direkt ins Gesicht.
Sie hatte sie noch nie ausgesprochen. Und sie jetzt zu hören, wenn auch nur indirekt...
Verdammt, mir wurde ganz warm ums Herz.
Besonders, als sie sagte, es sei ein Wunder, en Segen (!) mich gefunden zu haben.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass sie so empfand.

Doch dann sprach sie weiter. Ihre Vergangenheit. Sie dachte, sie sei davor geflohen.
Ich ahnte bereits, was jetzt kam.
Und ich hatte Recht.
Bitter lachte sie auf.

Und bestätigte, was ich mir gedacht hatte:
Sie hatte nicht gänzlich vor ihrer Vergangenheit fliehen können.
Niemand kann das, egal an welchen Ort man geht. Die Vergangenheit ist immer ein Teil von einem. Ob man will oder nicht. Wer wusste das besser als ich?
Nun, wenigstens hatte sie das verstanden.

Jetzt musste sie nur noch verstehen, dass es besser war, mit anderen darüber zu reden, dass es tatsächlich half.

Ihre Vergangenheit würde nichts mehr zerstören.
Verdammt, klar, wenn man darüber redete, war nicht alles Friede Freude Pustekuchen, aber es war einfach besser. Ein Anfang.
Denn dass es so nicht weiter gehen konnte, war klar.
Und wenn sie mir erst davon erzählte...dann könnten wir gemeinsam eine Lösung finden. Ich konnte ihr erst helfen, wenn ich wusste, um was es ging. Warum verstand sie das nur nicht?
Oder wollte sie nicht, dass ich ihr half?
Warum sprach sie nur nicht mit mir?

Plötzlich kam mir ein grausamer Gedanke.
Oh Gott, hatte sie etwa jemand aus ihrer Vergangenheit vergewaltigt? Etwa dieses Damien-Arschloch?
Hatte sie Angst, ich würde mich rächen? Sprach sie deswegen nicht mit mir darüber? Wollte sie nicht, dass ich ihn verletzte?
Sie hatte mich so schnell aus der Schule gezogen, weg von ihm....und vielleicht nicht, um mit mir allein zu sein und reden zu können, wie ich es anfänglich dachte.

Fuck. Bei dem Gedanken, dass jemand sie gegen ihren Willen auch nur berührt hatte, geschweige denn vergewaltigt, wurde mir ganz anders. Ich würde diesem Typen seine Tat bereuen lassen. So sehr, dass er wünschte, er wäre nie geboren worden.

Aber was, wenn sie das tatsächlich nicht wollte? Konnte ich es dann noch tun? Und riskieren, dass sie sich vielleicht von mir lossagen würde?
Gott, das war alles so kompliziert.

Bevor ich mich wieder in einem Geflecht aus wilden Spekulationen verheddern konnte, fügte sie mit leiser Stimme hinzu:
"Ich hab Angst, ihn zu verletzen, Olivia."

Ich runzelte verwirrt die Stirn. Verletzen? Wieso verletzen? Sie verletzte mich nur, wenn sie nicht mit mir über wichtige Sachen redete, sondern mir andere vorzog.
Oder wenn sie Abstand suchte.
Bei dem Gedanken, kochte schon wieder die Wut in mir hoch. Unwillkürlich ballte ich die Hände zu Fäusten.
Dann atmete ich kurz tief durch, um mich zu beruhigen und konzentrierte mich wieder auf Livs und Lillys Gespräch.

Irgendetwas sagte mir, dass Lilly nicht das mentale Verletzen meinte, sondern das physische.
Doch immer noch blieb dabei die Frage offen: warum?

Gleich darauf bekam ich die Antwort auf meine stumme Frage.
Sie hatte früher anscheinend schon Leute verletzt.
Doch obwohl sie es sagte und es sogar authentisch klang....ich konnte es nicht glauben.
Lilly mochte eine eiskalte Fassade haben, mochte manchmal auch knallhart wirken...doch das änderte nichts daran, dass es immer noch nur ihre Maske war.
In ihrem Inneren sah es ganz anders aus.

Woher ich das wusste?
Ich hatte sie lange genug beobachtet.
Man konnte manchmal etwas in ihren Augen sehen.
Gefühle, die kurz aufblitzten, bevor sie sie wieder in die Versenkung verbannte.
Man konnte es auch an ihrer Haltung lesen. Sie mochte sich ja für noch so schlau und unlesbar halten, aber ich war ihr Mate.
Ich würde sie immer durchschauen, auch ohne Markierung.

Ich wusste ihre kleinen, kaum wahrnehmbaren, Zeichen zu deuten.

Weiterhin sagte sie, sie könnte es nicht ertragen, wenn ich sie fürchten würde.
Oh Mann. Sie hatte ja keine Ahnung. Ich würde nie Angst vor ihr haben. Sie war meine Mate, und auch wenn sie dachte, sie könnte mich eines Tages wirklich physisch verletzen, so wusste ich doch, dass das Unsinn war.
So war sie nicht. So würde sie nie sein.
In dieser Hinsicht vertraute ich ihr ganz und gar.
Jetzt musste nur noch sie selbst sich vertrauen.

Schließlich fragte sie Liv, was sie tun sollte und diese antwortete ihr.

Doch ich hörte gar nicht mehr zu.
Viel zu sehr war ich noch von Lillys Worten gefangen. Von den Gefühlen, die darin mitschwangen.

Ihre Stimme hatte bei der Frage so verzweifelt geklungen. So tief verletzt.
Es zerriss mich beinahe von innen.
Ich ertrug es nicht, dass Lilly litt.
Ich würde alles tun, um sie glücklich zu machen.

In diesem Moment fasste ich einen Entschluss.
Ich würde nicht nur herausfinden, was damals geschehen ist, ich würde ihr auch diese Angst nehmen. Würde ihr helfen, sich selbst zu lieben. Sich selbst zu akzeptieren.
Und dann könnten wir endlich zusammen sein, als wahre Mates.

Tja. Soweit der Plan. Jetzt musste ich mich nur noch an die Verwirklichung machen...
Leichter gesagt als getan...

I wanna be free, MateWhere stories live. Discover now