Kapitel 71

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Mit zitternden Händen ziehe ich den Reißverschluss meines Rockes hoch. Ich atme einmal tief aus, bevor ich in den Spiegel sehe.
Als mein Blick den des Spiegelbildes trifft, erschrecke ich.
Das Mädchen, das mir gegenüber steht und mir in die Augen starrt, bin nicht ich. Ich sehe aus, wie eine komplett andere Person.
Meine Haare sind zu einem lockeren Knoten hochgesteckt, an meinen Ohren hängen lange Ohrringe, die ich in der Schmuckkiste meiner Mutter gefunden habe. Meine Augen sind mit dunklen Lidschatten betont und meine Lippen ziert ein knallroter Lippenstift.
Mein Outfit gleicht dem eines Flittchens. Ein hautenges Top mit viel zu gewagtem Ausschnitt. Der Rock geht mir gerade mal bis zur Mitte meines Oberschenkels. Dafür trage ich kniehohe Stiefel aus schwarzem Leder.
Ich blicke lange in den Spiegel und gehe meinen Körper auf und ab.
Es ist still, doch mein Herz pocht laut und das Adrenalin in mir rauscht durch meine Blutbahnen.
„Du schaffst das, Betts", flüstere ich. Meine hellgrünen Augen stechen nur so hervor, wegen des dunklen Make-ups, und starren mich mutig an.
Ich überprüfe noch einmal den Reißverschluss und schnappe mir dann meine Tasche und poltere die Treppe hinunter.
Zum Glück ist meine Mom heute länger bei der Arbeit geblieben, sonst hätte sich mich vermutlich schnurstracks zu den Schwestern der stillen Gnade, der Psychiatrie in Riverdale, geschleppt.
Es ist der 29. November, also ist es ziemlich kalt. Ich werde sowieso in meinem knappen Outfit frieren, trotzdem werfe ich mir noch schnell meinen Wintermantel über.
Gerade als ich die Klinke zur Haustür hinunter drücken will, klingelt mein Handy. Seufzend krame ich es aus meiner kleinen Clutch und erst als ich es zu meinem Ohr führe, merke ich, dass meine Hände immer noch zittern.
„Ja?", frage ich in den Hörer.
„Betty, ich bin's. Können wir los?"
Ich seufze noch einmal, diesmal vor Beruhigung. Vor lauter Aufregung habe ich nicht mal die Nummer gesehen, sonst hätte ich gewusst, dass es Archie Andrews war.
„Sicher, ich wollte gerade zu dir rüberkommen", antworte ich schnell und gehe zur Tür hinaus.
„Alles klar, dann lass uns fahren", erwidert Archie und legt auf.

„Mein Gott, wie siehst du denn aus?", fragt Archie, als er mich neben seinem Wagen stehen sieht. Dabei hat er mein Outfit ja noch gar nicht gesehen, er wundert sich nur über das Make-up.
„Konntest du einem von Ronnie's Makeovers nicht entwischen?", witzelt er, doch sein Blick wandert immer noch mein Gesicht und meinen Körper entlang.
Ich merke, wie ich unter der ganzen Schminke etwas rot werde. „Sag so etwas nicht, ich habe einfach nur ein bisschen ... experimentiert."
Archie öffnet mir die Autotür und lacht. „Sieht eher so aus, als wärst du in einen Farbkasten gefallen", sagt Archie neckend und schenkt mir sein warmherziges Grinsen.
„Du weißt echt nicht, wie man einem Mädchen Komplimente macht, oder?", antworte ich leicht eingeschnappt und schnalle mich an.
„Hey, ich mach doch nur Spaß", sagt Archie ruhig. „Denn der Rest des Abends wird wohl nicht so lustig", murmelt er dann, aber eher zu sich selbst.
„Und du bist dir wirklich sicher, dass..."
„Ja, Archie, ich will zu dieser Party. Wir wurden beide einhalten und sollten uns zumindest kurz dort blicken lassen", antworte ich genervt und deute auf den Schlüssel im Zündschloss.
„Jetzt fahr bitte los."
Archie seufzt, anscheinend hatte er auf einen weitern Sinneswandel von mir gehofft.
„Na, dann. Festhalten, Ma'am."
Archie braust los und keiner von uns sagt mehr ein Wort.
Ich starre hinaus in die dunkle Nacht.
Was wird heute alles passieren?
Warum gehe ich wirklich zur Party?
Ist es nur, weil ich wissen will, wer die Serpents wirklich sind?
Oder ist es, weil ich tief im Inneren Jughead immer noch liebe und das meine einzige und letzte Chance ist, ihn zurückzugewinnen?
Meine Hände ballen sich zu Fäusten und meine Fingernägel krallen sich in meine Haut.
„Ganz ruhig, Betty."
„Was?"
Mein Schrei wird durch die Wände des Autos gedämpft, doch Archie und ich haben ihn deutlich gehört.
Ich habe aber mehr gehört.
„Betty? Ist alles in Ordnung? Sollen wir umkehren?", ruft Archie besorgt. Er will schon zur Straßenseite ranfahren und anhalten, doch ich stoppe ihn.
„Fahr weiter ... bitte", stoße ich hervor und schließe erschöpft die Augen.
„Betty, was ist los?", fragt Archie nun panisch, aber er fährt weiter.
„Ganz ruhig, Betty."
Schon wieder.
Schon wieder habe ich es gehört.
Die höllische Panik in mir droht auszubrechen.
Kalter Schweiß läuft meinen Körper hinunter und in meinen Augen brennen die salzigen Tränen. Meine Hände zittern und mir ist abwechselnd heiß und kalt.
„Beruhig dich, Betts."
Es ist seine Stimme.
Jughead's Stimme.
Sie ist in meinem Unterbewusstsein.
Ich fühle mich, als würde ich jeder Zeit explodieren.
Doch dann ist alles auf einmal ruhig.
Still.
Totenstill.
„Betty?", flüstert Archie jetzt und rüttelt mich leicht.
„Alles ist gut, Betty. Du bist gleich bei mir."
Jedes seiner Worte durchfährt meinen ganzen Körper. Es erlischt in einem Echo und hinterlässt ein warmes Gefühl in meiner Brustgegend.
„Betty, wir sind da", krächzt Archie und schüttelt mich weiter.
Ich schlage meine Augen auf und sehe aus dem Autofenster.
Wir stehen auf dem Parkplatz des Whyte Wyrm, der Bar, in der ich damals alles beendet habe.
Es ist nicht mehr ruhig und still, es ist sogar sehr laut.
Man kann Musik und Stimmen bis hierher hören.
„Sollte das nicht eine kleine Party werden?", staunt Archie und lehnt sich zu mir rüber, um ebenfalls hinausschauen zu können.
„Lass uns reingehen", schlage ich vor und knöpfe meinen Mantel auf.
„Woah, Betty, was machst du da?", ruft Archie, doch er sieht nicht weg.
„Ich ziehe meinen Mantel aus, damit er später nicht nach dem ganzen Alkohol und den anderen Drogen aus der Bar riecht", erkläre ich und werfe ihn hinten auf die Rückbank.
„Betty ... was hast du da an?"
Archie's Blick klebt an meinem Körper, vor allem an meinem Dekolleté.
Als er merkt, dass sein Starren ziemlich offensichtlich ist, wird er rot.
„Äh, du siehst ... anders aus. Aber ... also gut. Gut und anders ... also anders Gut. Es ist halt nicht so gewöhnlich für dich, aber trotzdem ... nett. Also mehr als nur nett, eigentlich ist es sehr nett. Ja ... sehr nett und gut. Du siehst gut aus ... und nett."
Archie's Rumgedruckse macht mich nervös aber lustig finde ich es auch.
„Komm, wie gehen jetzt", sage ich, nachdem seine braunen Augen sich wieder an meinem Ausschnitt verfangen haben.
Ich öffne die Autotür und sofort bereue ich den Minirock und das Top.
Es ist eisig kalt.
„Sollen wir deine Jacke nicht doch lieber mitnehmen?", fragt Archie und hält beim Abschließen des Autos inne.
Ich schüttele den Kopf. „Nein, lass uns einfach schnell reingehen."

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