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„Jules steht draußen."

Ich starrte Lilly über mein Müsli hinweg an.

Jules war die Letzte, mit der ich jetzt gerechnet hatte.

Vielleicht hatte ich erwartet, dass sie einfach in New York bleiben würde.

Seufzend stand ich auf.

Sie hatte mir nichts getan.

Und trotzdem spürte ich, wie sich das Müsli in meinem Bauch zu einem festen Klumpen verwandelte.

„Ich habe Kaffee mitgebracht", sagte Jules mit einem breiten Lächeln, als ich die Tür öffnete.

Ich atmete den Knoten aus meinem Magen und schlüpfte in meine Schuhe, griff nach meiner Kamera und Jacke und rief meinen Schwestern zu, dass ich später zurückkommen würde.

Dann folgte ich Jules ins Auto.

„Und, was sagt dir dein Bauchgefühl heute? Innenstadt?", fragte Jules und fuhr los, ohne sich anzuschnallen.

Ich zuckte mit den Schultern.

Mein Bauchgefühl sagte mir, dass das hier falsch war.

Dass ich keine Leute fotografieren sollte, die eigentlich nur ihr Leben leben wollten.

„Vorhin standen richtig viele Paparazzi vor irgendeinem Nobelschuppen. Vielleicht kommen wir da von hinten ran, dann haben wir garantiert das beste Bild. Ich bin nach New York echt pleite, ich könnte so was gebrauchen", sagte sie grinsend.

„Sorry. Kommt nicht wieder vor", meinte ich leise.

Jules zuckte nur mit den Schultern.

„Kein Problem. Ohne deine spontanen Ideen wäre ich wahrscheinlich nie aus London rausgekommen", sagte sie.

„Ohne meine spontanen Ideen wärst du jetzt auch nicht pleite."

Seufzend hielt sie vor einer Ampel.

„Ach, hör doch auf. Ich hätte ja nicht all mein Geld ausgeben müssen. Oder überhaupt mitkommen. Aber du bist immer noch meine beste Freundin, und ich würde dich nicht alleine über den großen Teich fliegen lassen."

Ich wandte meinen Blick von der Ampel und sah zur Seite.

„Ich glaube, ich habe deinen Nobelschuppen gefunden", sagte ich, gerade, als Jules losfahren wollte.

Ohne eine Sekunde zu verlieren, öffnete ich die Tür und stolperte wenig elegant auf den Bürgersteig, die Kamera schon vor der Nase.

Jetzt.

Jetzt war der Augenblick gekommen, in dem ich mich wenigstens irgendwie rächen konnte.

In dem ich Nutzen ziehen konnte aus der Arroganz unserer Mama.

Ich schlängelte mich durch die Menschen, die Kameras und Mikrofone, wich den Plakaten aus, bis ich ganz vorne stand und ihr Parfüm riechen konnte.

Selbst London schien zu spüren, wie wichtig diese Fotos für mich waren, und die Sonne verschwand hinter Wolken.

Und dann fiel ihr Blick auf mich.

Verweilte, während ich knipste, als würde mein Leben davon abhängen.

In gewisser Weise tat es das wohl auch.

Bevor sie sich abwenden konnte, drehte ich ihr schon den Rücken zu und verschwand wieder durch die Masse.

„Wow. Eigentlich wollte ich zu einem anderen Nobelschuppen, weil ich dachte, dass das vielleicht nicht so toll für dich wäre. Aber das war doch auch mal was", sagte Jules, die halb auf dem Bürgersteig stand und keine Anstalten machte, loszufahren, auch, als ich längst saß und mich angeschnallt hatte.

„Fahr", sagte ich und starrte aus dem Fenster.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie den Kopf schüttelte, doch keine zehn Sekunden später standen wir wieder vor der Ampel.

„Habe ich irgendwas falsch gemacht?", fragte sie nach einer Weile.

Die Worte blieben mir im Hals stecken.

Erst, nachdem ich mich geräuspert hatte, flossen sie wieder.

„Du hast gar nichts falsch gemacht. Aber anscheinend bin ich nicht geschaffen für Freundschaften. Oder Leben."

paparazziWhere stories live. Discover now