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„Wenn du dich noch einmal umdrehst, kicke ich dich aus dem Bett."

Ich erstarrte inmitten meiner Bewegung.

„Ich kann wirklich verstehen, dass du nicht schlafen kannst, aber ich bin seit mindestens 24 Stunden wach. Anders als du brauche ich nicht nur Kaffee, sondern auch Schlaf."

„Sorry", sagte ich.

Dann schlug ich die Decke von meinem Körper zurück und setzte mich auf.

Jules hatte die Vorhänge vorhin demonstrativ zugezogen, weil das nächtliche New York mindestens so hell war wie London am Tag, doch jetzt vermisste ich es, auf die Straße schauen zu können.

Wir waren in einer winzigen, schäbigen Pension untergekommen, die sich zwischen einen Kiosk und ein Hochhaus irgendeiner Anwaltskanzlei quetschte.

Unser Zimmer lag im ersten Stock.

Und das bedeutete, dass wir ganz genau mitbekamen, wie New York langsam aufwachte.

Nicht, dass die Stadt jemals so richtig eingeschlafen wäre.

„Du legst dich jetzt gefälligst wieder hin. Ich stehe nicht um ..." Jules angelte nach ihrem Handy und las mit zusammengekniffen Augen die Uhrzeit ab. „Ich stehe nicht um Vier auf."

„Ich aber", sagte ich und setzte meine Worte gleich in Tat um.

Normalerweise war Jules kein Morgenmuffel, aber wir hatten in den letzten zwei Tagen schon so oft die Rollen getauscht, dass es mich gar nicht mehr wunderte, als sie knurrte und dann versuchte, mich zurückzuziehen, ohne sich dabei zu viel zu bewegen.

„Wir sind nicht in London. Du kennst dich hier nicht aus, da draußen laufen viel zu viele Kriminelle rum, und außerdem hast du kein Handy. Und ich habe herzlich wenig Lust, dich in New York suchen zu müssen. Bleib gefälligst stehen! Du gehst da nicht alleine raus. Nein. Vergiss es."

„Wusstest du, dass die Mordrate in London höher ist als die in New York?", fragte ich, steckte einen unserer beiden Zimmerschlüssel zu meiner Kamera in die Tasche und schloss die Tür hinter mir.

„Bei meinem Glück ist sowieso Harry hier irgendwo", murmelte ich, bevor ich die Treppe nach unten ging.

Der enge Flur roch nach kaltem Zigarettenrauch.

Zum Glück hatte der kleine Kiosk nebenan wohl auch um vier Uhr morgens offen, sonst wäre ich demnächst noch an Entzug gestorben.

So stand ich an die Hauswand gelehnt da und beobachtete die Wolkenkratzer, die sich auf der anderen Straßenseite aneinanderdrängten und jegliches Sonnenlicht aussperrten.

Nachdem ich den dritten Stummel zu Boden geworfen hatte und mich wieder einigermaßen lebendig fühlte, beobachtete ich die Welt eine Weile lang durch meine Linse.

Nicht, dass ich davon jemals leben könnte.

Aber ich konnte es ja wenigstens versuchen.

Vielleicht würde demnächst ein reicher Anwalt vorbeikommen, der unbedingt ein Bild in seinem Büro hängen haben wollte.

Mein Blick blieb an einem Anzugträger hängen, der just in dem Moment aus der Kanzlei nebenan eilte und in eine Limousine stieg.

Mir gefror beinahe das Blut in den Adern.

Wortlos schaltete ich meine Kamera aus, steckte sie zurück in die Tasche und stapfte die Treppen zu unserem Zimmer zurück.

„Rate mal, wer neben uns wohnt", sagte ich zu Jules, die im Bett lag und auf ihr Handy sah.

paparazziWhere stories live. Discover now