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„Wie, weg?"
Lena zuckte mit den Schultern und sah wieder auf ihr Bild.
Ich riss mich zusammen, um nicht auf sie zuzustürzen und ihr den Stift aus der Hand zu reißen.
Langsam setzte ich Lina auf dem Boden ab.
„Ist sie einkaufen gegangen?", fragte ich.
Das wäre komisch.
Wenn Lilly überhaupt einkaufen ging, dann war das nicht vor dem Frühstück.
„Weiß ich nicht", sagte Lena und malte einen blauen Strich quer über das Papier.
„Lina. Weißt du, wohin Lilly gegangen ist?", fragte ich und ging in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein.
Dabei fiel ich beinahe hin.
Nicht nur meine Hände zitterten.
Mein ganzer Körper schien zu vibrieren.
Wieso hatte sie mir nichts gesagt?
Lilly würde nie im Leben abhauen.
Aber wieso war sie dann weg?
Lina sah mich nur groß an, Tränen standen in ihren Augen, und so stolperte ich aus der Küche in den Flur.
Ihre Schuhe waren weg, aber keine der Taschen.
Sogar ihre Winterjacke hatte sie mitgenommen, obwohl selbst die Nächte schon mit dünnen Jacken angenehm waren.
Aber Lilly hatte schon immer leicht gefroren.
Meine Füße trugen mich zurück in unser Zimmer.
Ihr Bett war kalt.
Der Schlafanzug mit dem Eisbären, den sie immer trug, lag ordentlich gefaltet auf ihrem Kissen.
Sie war nie ins Bett gegangen.
„Frühstück!", schrie Lina aus der Küche.
Die Welt drehte sich.

Ich wusste nicht mehr, wie ich den Zwillingen Müsli gemacht hatte, wie ich meine Schuhe angezogen hatte, wie ich aus dem Haus gegangen war.
Mein Blick fiel auf meine Füße.
Immerhin wusste ich jetzt, wieso ich mich nicht daran erinnern konnte, Schuhe angezogen zu haben.
Ich trug einfach meine Socken.
Mitten in London, in nicht unbedingt der besten Gegend, in der überall Scherben und Zigarettenstummel und Kaugummis auf dem Boden lagen.
Warmer Regen tropfte auf mich herab.
Ich wischte ihn mir aus den Augen, um wieder klar sehen zu können.
Salzig tropfte der Regen von meinem Gesicht auf den trockenen Asphalt.
Sie konnte nicht weg sein.
Lilly war nicht einfach weg.
Sie verschwand nicht einfach.
Und das machte mir unglaubliche Angst.
Bevor sie das Haus verließ, ohne jemandem Bescheid zu sagen, ging die Welt unter.
Bevor sie einfach ging, besuchte uns unsere Mutter freiwillig.
Es war etwas, was nie passierte.
Mein Oberteil rutschte hoch, als ich mich gegen die Hauswand lehnte und auf den Boden sinken ließ.
Meine Lunge schrie, doch aus meinem Mund drang kein Geräusch.
Meine Beine rannten, doch ich bewegte mich nicht von der Stelle.
Ein Auto fuhr rückwärts an mir vorbei und streckte sich endlos in die Länge, schwarz und undurchdringlich wie der Rest der Welt.
Mit dem Knall wurde es dunkel.
Dann schlossen sich die Arme um mich.

paparazziWhere stories live. Discover now