Prolog

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Die Wellen machten Geräusche, die jeden im Sicherem Hafen entspannten. Auch Thomas.
Er saß am Strand und sah auf die Wellen, während sich in seinem Kopf immer und immer wieder dieselben Sachen wiederholten. Seine Ankunft im dem Aufzug, seine Nacht im Labyrinth, die Flucht, WICKED, die Brandwüste, Alby, Chuck, Teresa und Newt. Die Welt, wie sie langsam all ihre Bevölkerung an Menschen los wurde. Alles belagerte seine Gedanken und doch kam es ihm vor, als würde er nichts denken können.

Thomas seufzte und konzentrierte sich auf die Wellen. Sie wiegten hin und her, wurden begleitet von Tiergeräuschen aus dem angrenzenden Wald und waren von einem hellen Blau. Doch wie sehr Thomas auch versuchte, nur ihre Schönheit zu betrachten, es klappte nicht. Es beruhigte ihn, aber selbst wenn er beruhigt war, ließen ihn die Gedanken nicht in Ruhe. Und doch kam er jeden Tag her, an ein und dieselbe Stelle, stets begleitet von Melancholie. Er atmete tief ein und wieder aus.

Sie waren in Sicherheit. Sie arbeiteten, lebten, lachten. Letzteres seltener als das Arbeiten und Leben, aber es kam vor. Immer mehr erholten sich die Überlebenden von all den Ereignissen. Auch Thomas hatte festgestellt, dass die Gefühle zwar erdrückend, aber nicht mehr so mörderisch waren, wie am Anfang. Eine vertraute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

"Hey shank! Wieder am Nachdenken? Newt würde jetzt sagen: 'Ich sehe, wie sich die Räder in deinem Kopf bewegen.'. Oder zumindest sowas in der Art." Minho ließ sich direkt neben Thomas nieder.
"Ja, das stimmt. Aber es ist bei dir nicht sonderlich anders, wenn ich das richtig sehe."
Minho seufzte ergeben.
"Das tust du. Aber wer kann denn nach zwei Monaten bereits all das verarbeitet haben? Menschen definitv nicht." Sie schwiegen kurz.

"Denkst du oft an Newt?"
"Jeden verdammten Tag. Diesen Idioten zu vergessen, ist praktisch unmöglich.", er seufzte, "Wir hätten ihn nicht retten können, aber trotzdem fühle ich Schuld."
"Ja, er hatte es verdient, immun zu sein. Genauso wie Alby, Chuck, Teresa und alle anderen Gefallenen es verdient hätten, zu leben."
"Wir haben ziemlich viel verloren, doch darüber zu trauern wird uns wenig bringen. Es sei denn, deine Tränen können Tote zum Leben erwecken. Wenn das der Fall ist, bitte ich dich zu weinen, wie ein Neugeborenes mit Schreianfällen."
"Sehr witzig, Minho."

"Niemand hat je das Gegenteil beahuptet."
Thomas verdrehte seine Augen. Minhos Attitüde konnte echt anstrengend sein.
"Ja, verdrehe sie weiter und vielleicht findest du irgendwann einen schlauen Gedanken in deinem Gehirn. Aber ja, ich vermisse meinen besten Freund. Ich versuche einfach nur, meine Gefühle zu blockieren."

Thomas nickte. Minho zeigte nur selten Gefühle, ganz zu schweigen von Mitgefühl. Es machte ihn zu einem verlässlichen Anführer und war Teil seiner Persönlichkeit, doch es konnte wirklich anstrengend sein.
"Du bist erstaunlich gut darin."
"Was soll ich sagen? Ich war nie jemand, den Gefühle wirklich interessiert haben. Meist sind sie nur im Weg."

Sie saßen eine Weile einfach nur da und sahen auf die Wellen. Es war noch immer ein Wunder, dass solch ein Ort auf der Welt noch existierte. Nach den Sonneneruptionen und dem Virus war es sehr unwahrscheinlich, dass es einen Ort mit Meer und grüner Vegetation gab. Auch wenn die sehr nördlichen und sehr südlichen Bereiche nicht so sehr betroffen waren.

Das Wasser war dabei weniger verwunderlich, die Eisberge der Erde waren in halsbrecherischer Geschwindigkeit geschmolzen und der Meeresspiegel entsprechend gestiegen. Es würde Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte dauern, bis er wieder auf Normallevel sinken würde. Sie würden diese Zeit bestimmt nicht mehr miterleben, auch wenn ihre Überlebenschancen in den letzten zwei Monaten drastisch gestiegen waren.

Die Umgebung lieferte genug Nahrung, angenehmes Wetter und ausreichend Trinkwasser. Unweit der Hütten, die sie errichtet hatten, befand sich ein kleiner Bach, den man für Trinkwasser nutzte. Gebadet wurde im Meer. Niemand wusste, wo sie sich befanden, doch vielleicht war es besser so. Vielleicht, nur vielleicht, würde das bald der einzige Ort sein, an dem Leben für Menschen eine Chance hatte.


Am Abend sammelten sich alle am Lagerfeuer und aßen, was Frypan und sein Team zusammengestellt hatten. Es gab keinen Strom, also war das Lagerfeuer die wichtigste Lichtquelle. Brenda und Jorge hatten sich angeregt unterhalten, bis Thomas sich zu ihnen gesellte.
"Thomas!"
Brenda stand auf und umarmte ihn fest. Sie plante nicht, sich dieser Angewohnheit zu entledigen.

"Hallo, Brenda! Wart ihr erfolgreich?" Brenda gehörte zu den Leuten, die für die Anschaffung von Nahrung verantwortlich waren. Meist war sie den ganzen Tag über nicht im Lager. Thomas musste zugeben, dass er sie tagsüber vermisste. Die meiste Zeit über half er selbst beim Erkunden der Umgebung oder dem Bau von Hütten, doch er schlich sich auch ständig fort. In dieser Zeit konnte er aber nur selten mit jemandem reden. Ohnehin erschien ihm das Leben hier eintönig und irgendwie... sinnlos.

Sie waren gerettet, doch so viele Leben waren auf dem Weg verloren gegangen, dass es geradezu lächerlich schien, zu behaupten, dass es sich lohnte. Sie lebten hier, doch nur hier und nur mit den Menschen hier. Keine Chance, andere Menschen kennenzulernen, an andere Orte zu gelangen. Sie hatten nicht mal eine Aufgabe, ein Ziel. Sie lebten hier in Sicherheit, gerade mal an die hundert Menschen, während die Welt um sie herum zerbrach. Sollten sie, größtenteils ahnungslose Teenager, die Menschheit am Leben erhalten?

Thomas spürte jedes Mal aufs Neue, wie ihn dieses eigenartige Gefühl zu ergreifen drohte. Das Gefühl von Hilflosigkeit, Verwirrung und zugleich Trauer. Zur selben Zeit war er froh für all die Menschen, die es hierher geschafft hatten. Sie alle verdienten ein langes und einfaches Leben.
Als die letzten Sonnenstrahlen erloschen und die Sonne im Meer versank, stimmten die Überlebenden ein Lied an. Ein weiterer Tag war vergangen.

The Blood RiddleWhere stories live. Discover now