Kapitel 37

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Es war ein unerwartet heißer Septembertag. Freitag, der fünfzehnte. Weil meine Vorlesungen und Übungen an der Uni erst im Oktober beginnen würden, hatte ich mich dazu überreden lassen, im Nice Ice ein paar Stunden mehr zu übernehmen. Der Sommer ging sowieso bald zu Ende, dann hatte ich wieder mehr Zeit und musste mich nicht mit den verschiedensten Kunden und ihren liebsten Eissorten herumschlagen.

Nach meiner sechs-Stunden-Schicht kam mir die Idee, Ally zu überraschen. Eigentlich hatten wir vorgehabt, uns morgen erst wieder zu treffen, aber sie würde sich bestimmt freuen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie es wusste, da wir nicht darüber gesprochen hatten, doch heute war es genau vier Monate her, dass ich sie angesprochen hatte. Ich wunderte mich selbst, dass ich das noch so genau wusste, doch anscheinend hatte meine Schwester genug Einfluss auf mich, um mir bewusst zu machen, dass vielen Mädchen so etwas wichtig war.

„Haben Sie Sonnenblumen?", fragte ich nun also eine Frau mit grauem Haar, die in dem Blumenladen der Fußgängerzone arbeitete. In einer viertel Stunde würde das Geschäft schließen.

„Ich glaube, wir haben heute alle, die wir hatten, für eine Feier verkauft..." Sie knetete verlegen ihre faltigen Hände und sah mich entschuldigend an. War sie überhaupt hier angestellt? So alt wie sie aussah, müsste sie eigentlich schon im Ruhestand sein. Dennoch hatte sie hinter einem Verkaufstresen gestanden, als ich sie angesprochen hatte. „Die anderen Pflanzen stehen noch nicht zum Verkauf bereit."

„Okay." Verdammt. Sonnenblumen gehörten zu Ally. Ich wusste nicht, wieso, aber irgendwie gab es keine andere Blume, die ich ihr schenken wollte. Rosen waren mir zu kitschig und zu klischeehaft. Auch wenn der erste Sonnenblumenkauf recht spontan gewesen war, war es jetzt irgendwie unser Ding. So wie die Schachtel Pistazieneis, die langsam aber sicher in meinem Rucksack vor sich hinschmolz.

„Aber..." Sie brauchte lange, um sich die nächsten Worte zu Recht zu legen. Eigentlich wollte ich so schnell wie möglich ins Studentenwohnheim fahren, doch ich ermahnte mich zu ein wenig Geduld. „Wenn es Ihnen wichtig ist... Und ich nehme an, das ist es... Vermutlich hat es etwas mit einer jungen Frau zu tun, nicht wahr?" Ihre Lippen wurden zu einem breiten, herzlichen Lächeln und um ihre Augen bildeten sich noch mehr kleine Falten auf der Haut.

Ich nickte stumm, aber ebenfalls lächelnd.

„Jede junge Frau liebt Rosen", schlug sie mir dann vor.

„Das kann schon sein. Aber meine Freundin liebt vor allem Sonnenblumen." Fast hätte ich sie auch als meine junge Frau bezeichnet. „Haben Sie wirklich keine einzige mehr? Es würde mir viel bedeuten. Und ihr auch."

Das Lächeln der alten Dame wurde immer breiter. „Eigentlich darf ich das nicht... Ich arbeite gar nicht mehr hier, aber... gut. Ja, was soll's. Ich werde nachsehen, wie es um die Vorräte steht. Vielleicht findet sich im Gewächshaus ja doch eine, deren Knospe bald aufgeht."

„Das wäre großartig!", rief ich ehrlich begeistert aus.

„Ich bin sofort wieder da!"

Ich wartete wahrscheinlich zehn Minuten und sprang dabei hibbelig von einem Fuß auf den anderen. Hatte sie mich nur abwimmeln wollen? Nein. Dazu war sie zu nett. Meiner Meinung nach jedenfalls.

„So, junger Mann. Ihre Freundin kann sich sehr glücklich mit Ihnen schätzen, denke ich."

„Danke!" Ich nahm die Sonnenblume samt Topf entgegen, obwohl sie derweil nur wenig von der gelben Blüte zeigte, bezahlte und machte mich schnell auf den Weg zu Ally.

Zum Glück wusste ich, dass sie zuhause war. Gestern hatte sie noch gejammert, dass Liz sie zu einem Konzert des Streichquartetts mitschleifen wollte, das sie für ihre Hochzeit organisieren wollte. Doch dann hatte Ally den genialen Einfall, dass sie sagen würde, ihr wäre schlecht, weil wir gestern Sushi essen waren. Okay, es war meine Idee, aber ich fand sie wirklich gut und Ally war so verzweifelt, dass sie mir vor zwei Stunden eine SMS geschickt hatte, in der stand, dass Liz ihr die Sushigeschichte abgekauft hatte. Also klopfte ich jetzt in dem Wissen, dass sie hier war, an ihre Tür.

Pistazieneis zum FrühstückDove le storie prendono vita. Scoprilo ora