„Liz...", murrte Ally nun vielsagend.

„Was denn? Darf ich mich nicht für meine Religion einsetzen?" Sie zupfte ihre hellblaue Bluse zurecht und straffte selbstbewusst die Schultern.

„Doch, sicher, aber du warst auch schon mal höflicher", seufzte Ally. „Egal. Lassen wir das Thema, bitte?"

„Gut. Meinetwegen." Etwas beleidigt schien sie dennoch zu sein. Mike und ich saßen ihnen bloß stumm gegenüber, ratlos, was wir tun oder sagen sollten. „Mike... kommst du mit nach draußen, zum Rauchen?"

„Hä? Du rauchst?", platzte es verwundert aus Mike heraus. Ich war ebenso verblüfft - wie passten Zigaretten zu dieser äußerst überzeugten Christin?

„Nein, natürlich nicht! Ich bin doch nicht so bescheuert wie der Großteil der Menschheit, dem seine Lungen scheinbar komplett egal sind. Wieso sollte ich mich selbst dermaßen vergiften?", fauchte sie beinahe. Dieses Mädel konnte ganz schön aufbrausend sein - irgendwie machte sie mir Angst.

„Liz!", beschwerte sich Ally erneut.

„Das war nur... Ach egal. Komm einfach trotzdem mit..."

Mike war zusammengezuckt und wagte es nicht, ihr zu widersprechen. Hilfesuchend wandte er sich mir zu und ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen - ich musste mich nachher wirklich bei ihm revanchieren. Somit standen die beiden auf und ließen Ally und mich alleine am Tisch zurück. Eigentlich wäre es eine geschickte Art gewesen, um Ally und mir die Möglichkeit zu geben, uns in Ruhe zu unterhalten. Eigentlich.

„Tut mir leid... sie... kann manchmal etwas eigen sein. Aber sie hat auch einige wirklich liebenswerte Seiten", meinte das Pistazienmädchen entschuldigend.

Ich schenkte ihr ein gutgemeintes Lächeln. „Halb so schlimm. Jeder Mensch hat doch irgendeine Macke."

Ihre Miene hellte sich sofort auf und sie hatte wieder diesen spielerischen Unterton, als sie antwortete. „Lass uns nochmal einen Schritt zurückgehen, okay? Ich kenne noch nicht einmal deinen Nachnamen - da bin ich nicht wirklich bereit, mit dir über unsere eigenen Macken zu philosophieren."

„Also gut." Ich räusperte mich und wechselte in eine gespielt professionelle Stimmlage. „Mein Name ist Benjamin Hunter. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen."

„Allison Dyer - die Freude ist ganz meinerseits..." Sie streckte die Hand nach mir aus, die ich nahm und schüttelte. Bei der Berührung durchfuhr mich eine ungewohnte, aber angenehme Wärme. Gleichzeitig fühlte es sich an wie das Prasseln auf der Haut, das man spürt, wenn die Nerven eingeschlafen sind. Ally hatte mich mit diesem winzigen Kontakt sofort aufgeweckt.

„Was machst du sonst eigentlich so - abgesehen davon, dass du Eis verkaufst?"

„Ich studiere Bildende Kunst... oder besser gesagt Fotografie", meinte ich etwas unsicher. „Was ist mit dir?"

„Literaturwissenschaften." Die Situation zwischen uns war irgendwie immer noch merkwürdig. Es lag diese typische Spannung in der Luft, die immer da war, wenn man nicht genau abschätzen konnte, was die andere Person wohl über einen dachte.

„Du liest also gerne?"

„Jap." Sie grinste. Offensichtlich hatte ich ein gutes Gesprächsthema gefunden.

„Was ist dein Lieblingsbuch?", fragte ich also weiter.

„Hmm..." Ich glaube, die Wahl fiel ihr nicht besonders schwer, doch sie ließ sich dennoch Zeit mit ihrer Antwort. „Wer die Nachtigall stört?"

Der Titel kam mir bekannt vor, aber das war auch schon alles. „Worum geht's darin?"

„Sag bloß, du hast es nie gelesen!" Sie riss die Augen so weit auf, dass ich noch mehr Einblick in ihre wunderschöne, blaue Farbe hatte.

„Sonst würde ich nicht fragen, oder?" Ich schluckte die immer noch präsente Nervosität so gut es ging hinunter und versuchte, lockerer zu werden. „Also los. Bring mich dazu, das Ding auch lesen zu wollen."

„Puh... Also es geht um die Kinder eines Anwalts - das gesamte Ding ist aus der Sicht seiner Tochter Scout geschrieben. Und knapp zusammengefasst muss Atticus - das ist der Anwalt - einen Schwarzen vor Gericht vertreten, der beschuldigt wird, eine Frau vergewaltigt zu haben. Zu der Zeit war Rassismus noch was Alltägliches. Also wirkt sich das Ganze natürlich auf die Familie aus..." Sie gestikulierte wirr mit den Händen und versank völlig in der Handlung des Buches. Irgendwann vergaß ich fast, ihr zuzuhören, weil es so schön zu beobachten war, wie sich ihre Mimik beim Erzählen veränderte. Ihre Augen funkelten und ein zartes Lächeln umspielte ihre Lippen.

Ally saß vermutlich gar nicht mehr gegenüber von mir. Sie war meilenweit entfernt.

„Ich bin wirklich-"

„Heiß!", jaulte ich leise auf. Ich hatte einen Schluck von meinem Kaffee genommen und mir sofort die Zunge verbrannt.

„Ähm..." Damit hatte ich sie wohl offensichtlich aus dem Konzept gebracht.

„Der Kaffee...", murmelte ich. „Ist noch ziemlich heiß."

Sie lachte, konnte aber nicht verhindern, dass sie ein wenig rot wurde. Ich wollte gar nicht wissen, welcher sonnengereiften Tomate ich gerade Konkurrenz machte.

„Du hast echt ein Talent für komische Aussagen, Ben."

„Danke?", sagte ich, eher als Frage.

„Du darfst dich übrigens auch bei meiner Oma bedanken."

„Inwiefern?", jetzt war ich es, der sie merkwürdig ansah.

„Von ihr hab ich wohl meine Pistaziensucht geerbt. Pistazien und Lavendel - das war meine Oma." Der Ausdruck in ihrem Gesicht und die Tatsache, dass sie „war" sagte, verrieten mir, dass ihre Oma wohl schon gestorben war. Aber sie plapperte rasch und munter weiter - wahrscheinlich auch, um schnell das Thema zu wechseln.

Sie sprach von allem Möglichen, ohne sich noch allzu viele Gedanken über ihre Worte zu machen. Das Eis war gebrochen.

Ab da füllte sich das Bild dieses Mädchens mit immer mehr Farben und Schattierungen.

Und sie verzauberte mich mit jeder Faser ihrer Welt ein Stückchen mehr.

Pistazieneis zum FrühstückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt