36. Quelle des Lebens - Quelle des Todes

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Das erste, das ich wahrnehme, als ich die Augen öffne, ist, dass der Schmerz weg ist. Vorsichtig richte ich mich auf und blicke mich um, suche Morro. Aber er ist nicht zu sehen. Stattdessen sehe ich zu meinem Entsetzen meine Freunde, hilflos an die Mauern gekettet. Ich will aufspringen und ihnen helfen, aber eine Hand packt mich plötzlich an der Schulter und hebt mich hoch, als wäre ich nicht schwerer als eine Feder.

„Nicht so voreilig..." Die Stimme lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich drehe meinen Kopf und erblicke das Urböse. Ich versuche krampfhaft, mich zu befreien, scheitere aber kläglich.

Sie wirft mich nach einigem Überlegen achtlos auf den Boden. Ich habe keine Kraft, mich zu widersetzen oder zu kämpfen. Aber eins muss ich doch wissen: Vorsichtig richte ich mich erneut auf. „Wo ist Morro?"

Das Urböse lacht. „Wie süß, du fragst also tatsächlich nach ihm. Nun, es wird dich freuen zu hören, dass er durchaus am Leben ist."

Sie hebt eine grün-graue, etwa melonengroße Kugel von einem kleinen Podest und hält sie vor mich. Schwach erkenne ich die verzerrten Züge einer Person auf deren Oberfläche.

„Er ist hier drin, sicher verwahrt. Und du kannst mir glauben, er wird hier nie wieder heraus kommen. Zumindest nicht, so lange ich es nicht für genug empfinde, ihn zu foltern, und das wird nie geschehen."

Sie lacht dämonisch und mir stockt der Atem. Ich will nach der Kugel greifen, schaffe es aber nicht.

„Bemüh dich nicht, grüner Ninja, nur ich kann ihn hieraus befreien. Es sind meine Folterkugeln also entscheide auch ich, wann genug ist. Übrigens..." fährt sie mit einem kleinen Grinsen fort, „das kommt eben davon, wenn man sich meinen Anweisungen widersetzt."

Ich horche auf. „Was meinst du damit?"

Sie lacht und hält die Kugel genüsslich vor ihr Gesicht. „Ich hatte ihm den Befehl gegeben, dich mir lebend auszuliefern. Lebend, verstehst du? Aber er hat wohl entschieden, dass er lieber selbst die Qualen jahrhundertlanger Folter wegen Befehlsverweigerung auf sich nimmt, als dich diesen auszusetzten. Er wusste ich würde dich foltern, um dir einen Treueschwur abzuringen, wenn er dich mir lebend ausliefert, also hat er dich getötet, um dir das zu ersparen. Was für ein erbärmlicher Versuch..."

Ich bin unfähig, mich zu rühren. Soll das etwa heißen, er hat mich nur getötet, um mich zu schützen? Und deshalb jahrhundertelange oder womöglich sogar ewige Qualen auf sich genommen?

„Aber so ist es nun mal mit der Liebe, nicht wahr? Hättest du denn nicht dasselbe getan, wenn du an seiner Stelle wärst?"

Ich nicke langsam aber bestimmt.

„Na eben! Nur, dass ich wohl vergessen habe, ihn über das kleine Detail aufzuklären, dass ich durchaus in der Lage bin, Tote zum Leben zu erwecken, mit dem Wasser der Fonta Nova Initia, dass ich mir in den Palast habe umleiten lassen."

Ich reiße die Augen auf und starre zu dem kleinen Becken mit Wasser. Das war das kostbare Wasser, wegen dem wir hier waren?

Mein Blick huscht zu meinen Freunden, die mich irgendwie seltsam ansehen – vermutlich wegen dem, was gerade so ganz neben bei über Morro und mich herausgekommen ist – aber das ist mir im Moment herzlich egal. Dann sehe ich hinüber zur Quelle und in meinem Kopf bildet sich langsam aber stetig eine verrückte Idee aus. Vermutlich ist es das irrsinnigste, das ich jemals in meinem Leben tun werde, aber zuerst, gibt es noch etwas zu tun. Ich habe Morro das eingebrockt, ich werde ihn da wieder herausholen.

Entschlossen balle ich die Faust und zähle innerlich von fünf abwärts, bei null springe ich auf. So schnell, dass das Urböse nicht einmal einen Mucks von sich geben kann, habe ich sie erreicht und ihr die Folterkugel mit Morro entrissen. Entschlossen nehme ich all meine Kraft zusammen und schmettere diese auf den Boden, wo sie in tausend Scherben zerbricht.

„Nein!!" Ein gellender Schrei entweicht der Königin und ich triumphiere innerlich. Ich habe es geschafft! Aber anstelle dass sich Morro jetzt wieder vor mir materialisiert, bekomme ich einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt, der mich zu Boden gehen lässt.

„Du verdammte Närrin!" Außer sich vor Zorn steht das Urböse vor mir, eine Weile sieht es so aus, als würde sie mich auf der Stelle umbringen wollen, dreht sich dann aber wieder weg und ballt die Faust.

„Hast du auch nur die geringste Ahnung was du da eben getan hast?" Langsam kriecht Panik in mir hoch. Wo ist Morro denn?

Plötzlich murmelt die Königin einige Worte, die ich nicht verstehen kann und etwas beginnt sich auf ihren ausgestreckten Armen zu materialisieren. Es ist Morros Körper, erkenne ich bald. Sein richtiger Körper, der bis jetzt in den Eishöhlen eingefroren war.

Achtlos schmeißt sie ihn mir vor die Füße. „Sieh dir an was du getan hast. Nach deiner sauberen Aktion ist das alles, was von ihm übrig ist."

Für einen Moment begreife ich nicht, dann beginnt sich alles um mich herum zu drehen und ich sinke neben ihm zu Boden, unfähig etwas zu erwidern.

Das ist nicht wahr oder, hämmert es in meinem Kopf. Bitte bitte kann mir einer sagen dass das nicht passiert ist.

Anstelle dass ich ihn gerettet habe, wie ich es vorhatte, ist er nun fort. Für immer. Und es ist ganz allein meine Schuld.


Die vier Ninja sehen Leyla an und wissen nicht ganz, was sie glauben oder denken sollen, was wahr ist von dem, was das Urböse behauptet hat und was eine Lüge.

Kai blickt immer noch ungläubig zu Morro und versucht krampfhaft, sich vorzustellen, dass Leyla, SEINE Leyla wohlgemerkt, etwas an diesem Mistkerl finden könnte. Er hat mehrmals versucht sie zu töten und es einmal wirklich getan, er hat ihren Körper besetzt und Ninjago dem Untergang geweiht! Und trotzdem kniet sie jetzt vor ihm und weint. Weint, weil er fort ist, tot.

Ist Leyla nicht das Mädchen, das sich nie verliebt? Wäre der Zeitpunkt etwas günstiger, würde er sie mit hunderten von Fragen löchern aber sogar Kai weiß, dass es jetzt unangebracht wäre.

Was hat der Typ nur, was er nicht hat?


Ich merke nur am Rande wie mir die Tränen die Wangen hinabfließen. Mein Gehirn und mein ganzer Körper fühlen sich seltsam taub an. Nicht nur das, ich kann völlig klar denken. Und das Gefühl, das mich durchströmt, ist eine seltsame Entschlossenheit. Ich werde das hier beenden. Morro ist nicht umsonst gestorben.

Ich balle die Faust. Es ist Zeit, meinen Plan in die Tat umzusetzen.

Langsam stehe ich auf. Dann, so schnell, dass niemand etwas sagen geschweige denn mich daran hindern kann, eile ich zum Becken mit dem Wasser, schöpfe eine Kelle voll und drehe mich um.

Das Urböse steht praktischer Weise direkt hinter mir, da sie offenbar vorhat, mir in die Quere zu gehen.

„Schütte das zurück, Mädchen! Du hast ja keine Ahnung was für Kräfte dieses Wasser hat!" Doch anstatt es zurück ins Becken zu gießen, spritze ich die volle Ladung Wasser einfach mitten in ihr Gesicht.

Das Urböse schreit bestialisch. „Was hast du getan?!" Sie ringt nach Atem und beginnt, regelrecht auseinander zu fließen bis von ihr nicht mehr als eine kleine Wasserpfütze übrig geblieben ist.

Das Wasser löst Magie auf, erinnere ich mich. Und das Urböse besteht aus Magie. Ich lächle, auch wenn meine Augen nicht mitlächeln.

Wir haben es geschafft.

rtswI

The Girl who never falls and the Ghost who never feelsWhere stories live. Discover now