26. Böses Erwachen

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Ich brauche einen Moment, um zu begreifen was er da gesagt hat.

Inzwischen hat er ein Seil aus seiner – oder meiner – Tasche gezogen und beginnt, sich selbst die Hände zu fesseln. Ehe ich noch darüber nachdenken kann, was er tut oder warum er das tut, verlässt er meinen Körper und ich finde mich in der kargen Eislandschaft wieder – mit gefesselten Händen.

Verwirrt sehe ich ihn an. Er steht – oder besser schwebt – zirka einen Meter vor mir und verschränkt die Arme.

Mein Atem ist in der eiskalten Luft als Nebel sichtbar und ich beginne zu frieren. Aber das interessiert mich im Moment wenig. Ich will wissen was hier vorgeht.

Und genau das frage ich ihn auch.

Zu meiner Überraschung lacht er. Aber es ist kein schönes Lachen. Mich fröstelt es noch mehr. Ich suche nach Anzeichen die darauf hindeuten, dass das Gift wieder die Überhand über ihn hat, aber ich sehe nichts – was mich noch mehr beunruhigt.

Dann kommt er näher.

„Du" Morro steht nun direkt vor mir. „Du hast doch nicht tatsächlich geglaubt, dass wir da einfach reinspazieren und meinen Körper holen und dann wars das?"

Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Was für ein naives und ach so leicht zu beeinflussendes kleines Mädchen du doch bist. Hast mir doch allen Ernstes geglaubt, ich sei hier um ein neues Leben anzufangen?"

Wieder schüttelt er den Kopf. „Meine Liebe du unterschätzt die Herrscherin der Verfluchten Welt. Sie hätte mich niemals entkommen lassen, zumindest nicht gegen ihren Willen."

Ich zittere inzwischen am ganzen Körper. Ob vor Angst, Nervosität oder doch Kälte kann ich nicht sagen.

„Was für eine Herrscherin? Wovon redest du eigentlich?"

Morro lächelt. „Nun ja, es stimmt schon, dass ich entkommen bin. Aber nicht einfach so, nein. Ich habe einen Auftrag zu erfüllen – im Namen meiner Meisterin, der Herrscherin der Verfluchten Welt. Ich bin keineswegs wegen meines Körpers hier – ich kann ehrlich gesagt immer noch nicht glauben, dass du mir das abgekauft hast. Naja, ich bin wohl ein ziemlich guter Schauspieler."

Er kommt näher und hebt mein Kinn an, sodass ich ihn ansehen muss. „Ein paar traurige Geschichten, ein paar gut zusammengedichtete Lügen und ein paar schmeichelnde Worte an der richtige Stelle und der ach so mächtige Grüne Ninja frisst mir aus der Hand."

Ich kann immer noch nicht begreifen, was er da sagt. Was meint er mit Lügen? Was geht hier vor?

„Ich bin hier", setzt er wieder an „um meiner Meisterin einen Gefallen zu tun. Und dabei wirst du mir helfen. Ob du willst oder nicht."

Langsam beginne ich zu begreifen. Und damit steigt auch Wut in mir hoch. Hat er das wirklich alles nur – erfunden? Erfunden um ein leichtgläubiges Mädchen wie mich zu manipulieren?

Ich spüre wie mir die Tränen kommen. Aber nicht aus Trauer, nein, aus Wut. Aber zu meiner größten Überraschung stelle ich fest, dass sich meine Wut nicht gegen ihn richtet. Nein, ich bin wütend auf mich selbst.

Wie konnte ich ihm nur glauben? Wie konnte ich nur irgendetwas von dem was er gesagt hat für bare Münze nehmen? Er ist ein böser Geist verdammt. Meine Freunde haben mich gewarnt, alle haben mich gewarnt. Und ich Idiotin habe ihm alles geglaubt. Nur weil ich das Gute in jedem sehen muss. Diesmal, das Gute in jemandem, in dem es nichts Gutes mehr gibt.

„Ich werde dir niemals helfen egal was du tust!", schreie ich.

Er grinst.

„Oh du wirst mich sogar anflehen, mir helfen zu dürfen." Er richtet seinen Blick in den Himmel und sieht das Schiff meiner Freunde kommen. „...wenn ich dir dafür verspreche, deinen Freunden nichts zu tun."

Entsetzt beobachte ich die folgenden Minuten. Meine Freunde landen das Schiff und steigen aus. Sie hatten wohl vor, mich zu retten aber Morro überwältigt sie mit spielender Leichtigkeit. Sie sind ihm ohne ihre Elementarkräfte hilflos ausgeliefert.

Er fesselt sie an einen Felsen, zusammen mit Wu. Meinen Vater jedoch packt er am Arm und deutet auf eine Stelle, die sich unterhalb des Felsvorsprungs befindet, auf dem wir stehen. Dort kann ich einen halb zugefrorenen See erkennen.

Dann wendet er sich an mich. „Du tust was ich dir sage, ansonsten töte ich deine ach so kostbaren Freunde – einen nach dem anderen. Und mit deinem Vater fangen wir an. Was glaubst du wohl, wie gut stehen die Chancen, dass ein Geist wie er einen Sturz in einen Bergsee überlebt?"

Ich spüre, wie mir die Tränen über das Gesicht laufen. Wieso verdammt nochmal hatte er Recht wenn er sagte, ich würde ihm helfen?

„Ich tue was immer du willst...aber lass meine Freunde gehen!" Ich sehe ihn herausfordernd an. Er grinst böse.

„Natürlich. Alles was du tun musst", fährt er fort „ist, in die Höhle zu gehen. Das Tor wird sich von selbst öffnen, weil du ein Nachfahre des ersten Spinjitzu-Meisters bist. Nur die haben die Fähigkeit, die Eishöhlen zu öffnen.

Nur leider...überlebt es niemand diese Höhlen zu betreten."

Ich starre ihn entsetzt an.

Ich werde sterben? Hier und jetzt? Auf diese Art? Panik kriecht mir den Rücken hinauf. Aber ich werde es tun...ich muss es tun. Für meinen Vater.

Doch plötzlich durchbricht eine Stimme die Stille.

„Nein, Leyla, ich tue es."

Alle starren meinen Vater an, den Morro immer noch festhält.

„Lass meine Tochter aus dem Spiel, Morro. Ich weiß, dass du sowieso vorhast, mich zu töten, dann lass mich wenigstens auf diese Art sterben."

Morro runzelt die Stirn. „Du weißt schon, dass Geister nicht sterben können – außer durch Wasser. Du wirst vermutlich auf ewig in der Verfluchten Welt gefangen sein, aber mir soll es recht sein. Hauptsache jemand öffnet endlich diese Höhlen!"

„Und was dann?", fragt plötzlich Wu. „Hast du vor, das Portal zu öffnen? Was hast du davon, das Urböse in diese Welt zu lassen?"

„MACHT!", schreit er. „Ich habe einen Deal mit ihr laufen. Demnach überreiche ich ihr diese Welt – und bekomme als Belohnung die Macht über die Verfluchte Welt. Stellt euch nur einmal vor – Macht über all jene wie euch, deren unglückliche Seelen in der bald meinen Welt fristen...endlich bekomme ich was ich verdiene...RESPEKT. Und wer sich weigert wird gefoltert oder getötet..."

Die Ninja lauschen entsetzt. Ich bin wie gelähmt. Soll es wirklich so enden?

Morro packt plötzlich mich am Handgelenk und lässt meinen Vater los. Im selben Moment spüre ich eine kalte Klinge an meinem Hals.

„Na mach schon", zischt er meinen Vater an. „Geh da rein oder deine Tochter stirbt."

Das letzte was ich sehen kann, ist, wie mein Vater sich noch einmal zu mir umdreht, bevor er in dem dunklen Höhleneingang verschwindet.


The Girl who never falls and the Ghost who never feelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt