33. Wiedervereinigung

532 35 8
                                    


Ich stehe da wie erstarrt und kann es immer noch nicht glauben, dass er das gerade gesagt hat. Auf Morros darauffolgende Worte achte ich nicht mehr, ich höre immer wieder in meinem Kopf: „Dann hätte ich deine Tochter nie kennengelernt... Dann hätte ich deine Tochter nie kennengelernt..."

Kann es denn wirklich sein, dass er mich mag? Hoffnung, die ich mir in den letzten Tagen so nicht mehr erlaubt habe, keimt in mir auf. Ich muss unwillkürlich lächeln.

Dann höre ich einen Aufschrei und mein Lächeln gefriert sofort. „Das ist nicht wahr!", schreit Morro und schlägt mit seiner Faust gegen die Gitterstäbe. „Das würde sie nicht tun und das weißt du auch!"

Wovon reden die beiden? Plötzlich wünsche ich mir, ich hätte aufgepasst.

„Und selbst wenn sie es versucht...was unwahrscheinlich ist, aber wenn du darauf bestehst...", fährt er mit grimmiger Miene fort, „Werde ich das nicht zulassen. Wir alle wissen, dass nur einer von uns dieses Abenteuer überleben wird...und ich werde das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht sein."

Er senkt den Kopf. „Es ist besser so...für alle Beteiligten, das musst du mir glauben." Kurz darauf runzelt er die Stirn. „Dennoch werde ich alles tun, um das hier nicht zu verlieren. Und mit alles meine ich alles. Besser, du verabschiedest dich von deiner Tochter, Garmadon. Es besteht nämlich die Chance, dass du sie nicht wieder siehst!"

Mit diesen Worten rauscht er davon – zum Glück in die andere Richtung, sodass er nicht an mir vorbei muss. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Hat er wirklich vor, mich zu töten?


Morro ist auf dem Weg in den Palast. Er hat seiner Meisterin Bericht zu erstatten. Leise seufzt er. Vielleicht war es keine so gute Idee, dorthin gegangen zu sein?

Dann runzelt er verärgert die Stirn. Nein, es war sogar eine äußerst dumme Idee. Was hat er sich bloß dabei gedacht?

Wütend auf sich selbst stapft er weiter. Der Einfluss, den die Verfluchte Welt auf jeden hat, ist ihm egal. Morro hat längst gelernt, ihm nicht nachzugeben. Wenn man Jahrzehnte oder noch mehr hier verbringt, dann gewöhnt man sich daran. Und genau das macht ihm Angst. Dass er sich schon daran gewöhnt hat, hier zu sein. Die Verfluchte Welt ist der schlimmste Ort, den man sich vorstellen kann und doch fühlt er sich hier schon fast....zuhause?

So weit ist es also mit ihm gekommen, denkt er, während er immer noch in Richtung Palast marschiert.

Morro kommt an einer Art Tümpel vorbei und bleibt kurz stehen, sein Spiegelbild im Wasser betrachtend. Was ist bloß aus ihm geworden? Ist er womöglich das Monster, das alle in ihm sehen und immer schon gesehen haben? Tja, vielleicht wenn jemandem die ganze Zeit vor Augen geführt wird, was die Leute in einem sehen, dann wird man irgendwann zu dem, was sie in dir sehen.

Ganz kurz noch verweilt er an dem Tümpel und erinnert sich. Erinnert sich an all die Male, als er zurückgewiesen, schlechtgemacht und ausgegrenzt wurde, gequält und beinahe gebrochen hat man ihn – jedoch nur beinahe.

Morro lächelt, als er daran denkt, wie er all die, die ihm diese unfassbaren Dinge angetan haben, dafür leiden lassen wird. Allen voran dieses Mädchen, das sich für gut genug hält, der Grüne Ninja zu sein.

Denn sie hat etwas noch viel schlimmeres getan, als all die anderen. Sie hat es doch tatsächlich gewagt, sein Herz zu stehlen. Das ist noch niemals zuvor jemandem gelungen.

All diese Gefühle – unerwünschte Gefühle – sind neu und unerwartet gekommen. Und alles, was er jemals von ihnen hatte, war, dass sie ihm bei der Erfüllung seiner Mission im Weg standen.

Ja, mag schon sein, dass er schwach geworden ist und sich den Gefühlen für eine Weile hingegeben hat und dass er tatsächlich etwas für Leyla empfindet, aber diese Liebe schürt auch gleichzeitig seinen Hass auf sie. Er hasst sie dafür, dass sie dafür verantwortlich dafür ist, dass er sich so fühlt.

Und er wird alles dafür tun, um diese Gefühle ein für alle Mal los zu werden. Auch wenn das heißt, dass er sie dafür umbringen muss.


Ich zögere noch einen winzigen Augenblick, dann springe ich hinter dem Felsvorsprung, hinter dem ich gekauert habe, hervor und rufe „Dad!"

Mein Vater wirbelt überrascht herum, dann erhellt sich sein Gesicht schlagartig. „Leyla?! Was tust du denn hier, meine Güte?"

In meinen Augen sammeln sich Freudentränen. „Dad! Dir geht es gut! Ich hab mir solche Sorgen gemacht!"

Wir umarmen uns durch das Gitter, dann löse ich mich wieder von ihm und sehe mich prüfend um. „Weißt du, wie man die Gitter wegbekommt?", frage ich nach einer Weile.

Mein Vater sieht mich skeptisch an. „Probiere es mal mit deiner Grünen Kraft?"

Gesagt, getan. Wenig später kann mein Vater sich durch die entstandene Öffnung zwängen und ich falle ihm um den Hals.

Eine Weile halten wir einander fest, ein stilles Abkommen treffend, uns nie wieder voneinander trennen zu lassen, dann sieht mein Vater mich plötzlich seltsam an.

„Sag mal...wie lange stehst du da schon?"

Ich nehme ihn an der Hand und ziehe ihn zum Ausgang. „Äh, naja, jedenfalls lange genug..." Ich seufze und gebe schließlich zu: „Ich bin Morro schon hierher gefolgt..."

„Aha", meint mein Vater und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Also hast du uns belauscht?"

„Ja....aber ich hab nicht alles verstanden...", gebe ich zu. Mein Vater sieht zwar immer noch leicht besorgt aus aber ich achte nicht mehr darauf. Ich hake mich bei ihm ein und wir verlassen das Gefängnis.

Sofort als wir ins Freie treten fällt mir eine Gestalt um den Hals. „Leyla!", schreit Kai und hält mich immer noch in der Umarmung fest. „Leyla, meine Güte, du bist okay! Wir haben uns solche Sorgen gemacht!"

Hinter ihm kann ich auch den Rest unserer kleinen Truppe erkennen. Sie haben wohl die Zeit genutzt, um zusammen zu finden.

Wu umarmt seinen Bruder ebenfalls kräftig. Sie tauschen ein paar leise Worte, die keiner versteht, aber da Wu mich hinterher so komisch und gleichzeitig besorgt ansieht, kann ich mir schon denken, worum oder besser gesagt, um wen es gegangen ist.

Mein Vater ist so eine Petze, denke ich und muss grinsen, auch wenn das hier nicht wirklich lustig ist.

Wir marschieren eine Weile dorthin, wo uns die Karte hinführt. Wiedervereinigt und entschlossener denn je, als wir plötzlich ein großes, fast bis zum Himmel reichendes Gebäude in der Ferne erkennen können.

„Was ist das?", fragt Jay.

Zane macht eine kurze Analyse und gleicht die gegebene Information mit seiner Datenbank ab. „Der Palast des Urbösen, wenn mich nicht alles täuscht.", meint er kurz darauf.

„Die hat einen Palast?", fragt Cole ungläubig.

„Ja, sieht so aus."

Kai überlegt kurz. „Wir könnten doch einen kleinen Umweg machen, oder? Ich meine, wer weiß schon, was sie da alles drinnen versteckt hat!"

Wu will ihn unterbrechen und ihm sagen, dass das nicht infrage kommt, da sie eine Aufgabe zu erledigen haben, als ihn plötzlich eine, mir nur allzu bekannte Stimme, unterbricht: „Na sieh mal einer an, wen wir da haben, hübsch alle auf einem Häufchen, wie Insekten, kurz vor dem sie zertreten werden."

Ich wirble herum und sehe in die schönsten blauen Augen die ich je gesehen habe. Gleichzeitig aber zu meiner Freude, ihn wiederzusehen, gesellt sich Angst.

Denn es ist nicht nur Morro, der da auf uns gelauert hat. Es ist eine ganze Geisterarmee.

The Girl who never falls and the Ghost who never feelsWhere stories live. Discover now