24. Das Unimus-Syndrom

863 36 8
                                    

Ich sitze auf meinem Bett und starre die Wand an. Jetzt sind drei Tage vergangen, seit Morro mich verletzt hat und die Kopfwunde ist fast verheilt.

Morro hat mir erklärt, dass hier drin alles ein bisschen anders funktioniert als außerhalb, deshalb kann meine Verletzung auch innerhalb weniger Tage verheilen.

Dafür plagt mich in letzter Zeit etwas anderes.

Man kann es nicht wirklich als Schmerz bezeichnen, es ist eher ein unangenehmes Gefühl, irgendwo in meiner Brust.

Ich habe Morro nichts davon erzählt weil ich nicht will, dass er sich noch mehr Sorgen macht. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass das wieder weg geht.

Irgendwann einmal.

Seufzend stehe ich auf. Es ist so langweilig hier.

Als ich mein Zimmer verlasse, sehe ich Morro. Er steht mit dem Rücken zu mir und steuert meinen Körper.

Ich bleibe einfach stehen und sehe ihm zu. Er bemerkt mich nicht. Auch wenn es gemein ist, nutze ich die Gelegenheit ihn anstarren zu können ohne Angst haben zu müssen, dass er mich erwischt.

Nach etwa einer halben Stunde merke ich, dass er wieder da ist. Er dreht sich zu mir um und ein undefinierbarer Ausdruck erscheint auf seinem Gesicht.

„Leyla...", sagt er. „Wie geht es dir?"

Ich zucke mit den Schultern. „Gut. Fals du meinen Kopf meinst. Der ist schon fast wieder normal."

Endlich lächelt er. „Na dann..."

„Was ist eigentlich...", doch bevor ich meinen Satz beenden kann, fühle ich plötzlich einen heftigen Schmerz in meiner Brust. Es ist nicht mehr dieses unangenehme Gefühl, es tut richtig weh.

Ich zucke zusammen und Morro fängt mich auf. Er sieht besorgt aus. „Leyla alles okay?"

Ich nicke. Es stimmt, der Schmerz ist weg. Es hat nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert.

Morro sieht immer noch besorgt aus. „Leyla erzähl mir nichts. Du wärest beinahe umgekippt...was ist los?"

Ich seufze. „Da-das ist nicht deine Schuld. Das ist nicht vom Kampf...das ist etwas anderes."

Ich berichte ihm von dem Gefühl und dass es eben besonders stark war.

Morro runzelt die Stirn. „Ich hab so eine Vermutung, was das sein könnte..." Ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern hebt er mich hoch und trägt mich zurück in mein Zimmer. Dort angekommen legt er mich auf das Bett und setzt sich daneben.

Seine schwarzen Haare fallen ihm teilweise über die Augen und bilden einen starken Kontrast zu seiner blassen Haut.

Vor ihm erscheint ein Display und er tippt ein bisschen darauf herum.

„Was machst du da?", will ich wissen.

Er lächelt kurz. „Ich will versuchen, deine Schmerzen kurz auf mich zu übertragen, damit ich mir sicher sein kann, dass es das ist, was ich vermute. Aber dafür muss ich wissen, wie es sich anfühlt."

Schnell tippt er noch ein paar Mal drauf und hält sich dann einen Finger an die Schläfe. Ein paar Sekunden verweilt er so, dann nimmt er dann Finger weg.

„Es ist das, was ich befürchtet habe. Aber ich kann nicht glauben, dass ich schon so lange hier bin...", meint er, beinahe zu sich selbst.

„Was ist das?", will ich wissen.

Morro seufzt. „Das geschieht, wenn ein Geist länger als drei Wochen einen fremden Körper besetzt. Es nennt sich das ‚Unimus-Syndrom'. Die Schmerzen kommen daher, weil deine Seele sich langsam an die Anwesenheit meiner gewöhnt. Das Gute daran ist, es ist nach spätestens 6-7 Tagen wieder weg. Das Schlechte, du wirst dasselbe haben, wenn ich deinen Körper wieder verlasse. Sozusagen die Entwöhnungsphase."

Ich starre ihn an. „7 Tage?"

Morro lächelt. Wie lange hast du es jetzt schon?"

Ich überlege kurz. „2 Tage" entscheide ich.

„Dann hast du nur mehr 4, schlimmstenfalls 5. Das schaffst du schon."

Er legt eine Hand auf meine Stirn.

„Ist doch meistens nicht so schlimm", redet er weiter.

Ich schließe die Augen. „Bleib hier", flüstere ich, als ich merke, dass er Anstalten macht, wieder zu gehen."

Morro zögert.

Ich weiß nicht wirklich, warum er dann doch nachgegeben hat. Vielleicht weil er nicht wollte, dass ich noch mehr leide. Er wollte meine Schmerzen lindern, egal wie.

Ich spüre, wie er mich an sich zieht, meinen Kopf auf seine Brust legt. Ich schließe die Augen und seufze.

Daran, dass er eigentlich gefährlich ist, denkt in diesem Moment keiner von uns.

Vielleicht ist es ja auch genau diese Tatsache, die ihn davor bewahrt, die Kontrolle zu verlieren.

Wenn er nicht daran denkt, passiert nichts.

Ich schlage die Augen auf. Habe ich geschlafen? Was ist passiert?

Der dumpfe Schmerz in meiner Brust lässt meine Erinnerungen zurückkehren. Jetzt erst merke ich, dass ich immer noch in Morros Armen liege.

Ich lächle und schmiege mich noch ein bisschen fester an ihn.

Ich betrachte ihn genauer. Schläft er etwa? Sieht jedenfalls ganz danach aus. Seine Augen sind geschlossen und die schwarzen Haare wie ein Fächer auf dem Kissen ausgebreitet.

Ich will ihn nicht wecken. Aber das ist auch gar nicht mehr notwendig.

Morro schlägt die Augen auf und sieht sich verwirrt um. Dann bemerkt er mich. „Habe ich...geschlafen?", fragt er.

Ich lege meinen Kopf wieder auf seine Brust. „Ja, ich glaube schon."

„Seltsam...", meint er. „Ich hatte ganz vergessen, wie sich das anfühlt..."

Plötzlich richtet er sich auf.

„Warte mal...wie spät ist es?" Er erschafft eine Uhr und sieht drauf. „Meine Güte...es ist schon halb sieben! Ich sollte längst unterwegs sein..."

Er will aufstehen aber ich halte ihn zurück. „Du kannst jetzt nicht gehen..." Flehend sehe ich ihn an. Alles in mir will, dass er bei mir bleibt.

„Das geht nicht, Leyla. Ich muss weiter gehen."

„Kommst du zurück?", frage ich.

Er zögert kurz, dann nicht er. „Also schön...heute Abend wieder..."

Mit diesen Worten verlässt er mein Zimmer.


The Girl who never falls and the Ghost who never feelsWhere stories live. Discover now