"Komm zurück..."

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"Opa, noch mehr Tee?"

"Nein, lieber noch einen Scone", antwortete William mit einem seligen Lächeln und ließ sich von Annika das klassische englische Gebäck auf den Teller legen.

"William, pass auf deinen Cholesterinspiegel auf!", herrschte Diana ihn sogleich an, doch wurde ignoriert. Annika warf Daphne, die gegenüber auf dem Sofa saß, einen amüsierten Blick zu. 

Matthew und Daphne waren vor drei Tagen aus Schottland angereist - am gleichen Tag, an dem William aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Zu Hause sollte er sich ausruhen und sich verwöhnen lassen. 

Annika hatte sich das nur einmal sagen lassen, denn sie las ihrem Opa jeden Wunsch von den Lippen ab. Diana, die langsam aus ihrer Starre erwacht war, hatte schnell wieder ihre Rolle als dauernörgelnde und konstant irritierte Ehefrau und Erziehungsberechtigte gefunden. 

Aber im Grunde war es allen Anwesenden recht so, denn die Gesamtsituation erschien so irgendwie normaler und deshalb ungefährlicher. Wenn Diana an allem etwas auszusetzten hatte, dann war die Welt so wie immer. Und in Anbetracht Williams Zustand, war das ein tröstender Gedanke.

"Annika, sei so lieb und hole noch ein paar Plätzchen", wies Diana jetzt ihre Enkelin an. Gehorsam stand Annika auf und ging in die Küche, in der das Abendessen, ein riesiger Eintopf, schon vor sich hin brodelte. 

Sie platzierte gerade eine ganze Handvoll Plätzchen auf das dafür vorgesehene Etagere, als ihre Großtante Daphne zu ihr in die Küche trat, um nach dem Essen zu sehen. 

"Das duftet jetzt schon so himmlisch", lobte Annika sie und lächelte sie an. 

"Das Geheimnis bei allen Eintöpfen ist ganz simpel: lass es so lange köcheln, wie möglich", erwiderte sie und rührte einmal in der rotbraunen Masse, als hätte sie keinerlei Talent fürs Kochen, sondern einfach das Rezept befolgt. Annika legte den Arm um sie und sah in den Topf.

"Ich bin froh, dass ihr hier seid", murmelte sie. Sie war es gewohnt, alleine mit Diana und William zu sein, doch es war einfach gemütlicher und auch unterhaltsamer, dass Matthew und Daphne auch in der Wohnung in London waren. 

"Wir freuen uns auch. Das Haus in Schottland war nach deiner Abreise irgendwie so leer", sagte Daphne ganz ehrlich und legte wieder den Deckel auf den Topf. 

"Die Woche bei euch war wirklich schön." Bei den Erinnerungen musste Annika unwillkürlich lächeln.

"Wie geht es Nick?", fragte Daphne da wie aus dem Nichts und Annika wandte ihr den Rücken zu und begann ungeschickt an den Plätzchen zu fummeln.

"Gut, denke ich", sagte sie und zuckte mit den Schultern. Sie hatte so gut es ging, versucht, den Gedanken an Nick zu verdrängen, seit sie in London angekommen war. Es war ihr auch ganz gut gelungen, solange sie sich um ihren Opa kümmern konnte. Doch nachts, wenn sie alleine in ihrem Bett lag, hatte er ihr den Schlaf geraubt. Stunde um Stunde hatte er sie wach gehalten, ihre Gedanken vereinnahmt, ihr Herz belastet.

"Gut kennen wir ihn ja nicht, aber ich muss ehrlich gestehen, dass Matthew und ich von ihm ganz begeistert und angetan waren. So unglaublich höflich und zuvorkommend war er. Charmant und gutaussehend auch noch", kicherte sie ganz jungenhaft und Annika merkte, wie ihre Wangen sich rot verfärbten. 

"Ja, er..." Sie schluckte. "Nick ist etwas Besonderes." Sie rückte das letzte Plätzchen zurecht, als sie das Etagere in die Hand nehmen und in die Teestube bringen wollte. Doch Daphne hielt sie sanft am Arm zurück und musterte sie eingehend. Sanft lächelnd. Und wissend.

"Wir dachten schon, dass wir euch das nächste Mal zusammen nach Schottland einladen würden", grinste sie und legte den Kopf schief. Als Annika merkte, wie die Tränen hinter ihren Augen drückten, verspürte sie den Drang, sich ihrer Großtante anzuvertrauen. Doch was gab es zu erzählen? Dass sie beide Gefühle für einander hatten, sie sich aber nicht traute, den letzten Schritt zu wagen und sie deswegen nicht vorwärts kamen?

Spiel der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt