Winterball

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Es herrschte das reinste Chaos im Zimmer. Hektisch rannten die Mädchen umher, besetzten das Bad, standen vor dem Spiegel, wühlten im Kleiderschrank und plapperten aufgeregt vor sich.

Beziehungsweise Caro und Rebecca taten das. Annika machte sich mit größtem Widerwillen für den Ball fertig und Verity saß trübselig auf dem Bett und sah ihnen dabei zu. Sie war für den Ball nicht ausgewählt worden.

"Ich wünschte, du hättest meinen Platz übernehmen können", murmelte Annika ihr zu, als sie nur in Unterwäsche und einem Body-Shape-Kleidchen ihr Glätteeisen und ihr Make-Up zurecht legte. Sie wollte mit dieser Aussage kein Salz in die Wunde streuen, sondern Verity ein wenig aufmuntern. Annika wusste, wie sehr auch sie vom Ball geschwärmt hatte.

"Ich bin ja nicht die einzige, die nicht zum Ball geht", lächelte sie tapfer. "Ich werde es mir mit den anderen im Gemeinschaftsraum gemütlich machen."

"Ich verstehe nicht, wieso nur eine bestimmte Anzahl ausgewählt wird, wenn im Grunde so gut wie die ganze Schule mit will", kritisierte Annika, während sie das Eisen in die Steckdose tat. "Könnten sie nicht einen Ball für jeden Jahrgang arrangieren?"

"Der Ball ist eine alte Tradition. Damals gingen noch nicht so viele Schüler auf diese Schule", erklärte Caro, die fertig geschminkt aus dem Bad kam. Annika schüttelte nur den Kopf, während sie begann ihre Haare zu glätten, damit sie nachher beim Hochstecken mehr Struktur hatten. Die Carmelot-Schule hatte alle Möglichkeiten der Welt gehabt, sich an die heutige Gesellschaft und den heutigen Trends ein wenig anzupassen. Aber Traditionen wurden hier so hoch geachtet, dass jegliche Flexibilität und Spontaneität im Keim erstickt wurde.

"Verity, du musst mir helfen!" Die sonst so ruhige und strukturierte Rebecca sah panisch zu ihrer Zimmerbewohnerin. "Meine Haare wollen einfach nicht, so wie ich will."

"Zeig mal her", grinste Verity, setzte sich auf die Bettkante, Rebecca ließ sich vor ihr nieder und übergab zufrieden die Verantwortung an geschicktere Hände.

"Hoffentlich kriege ich mein Kleid zu!" Caro war dabei sich in ihr wunderschönes gelbes Kleid zu zwängen. Nur sie konnte so eine Farbe tragen.

"Ihr seid doch alle beide verrückt", grinste Annika, als sie ihr Glätteeisen ausmachte und begann sich vor dem großen Spiegel zu schminken.

"Dass du nicht gestresster bist, verstehe ich ja kaum", kommentierte Caro.

"Ich muss erst zehn Minuten nach euch nach unten, ich habe also noch Zeit." Sie zuckte mit den Schultern, während sie ein wenig Rouge auf ihre Wangen tat. Wer arrangierte auch einen Ball im Winter, wenn man Leichenblass war, da man wochenlang die Sonne kaum zu Gesicht bekommen hatte?

"Zehn Minuten sind im Nu rum!"

"Ich brauche halt nicht so lange." Sie grinste schief, während sie begann ihre Augen dunkler und mit ein wenig Glitzer zu schminken.

"Wie die Jungs wohl aussehen werden", schwärmte Rebecca, deren Partner aus dem dritten Jahrgang war und Tom hieß. Auf dem Bild sah er nicht besonders gut aus, aber mit ein bisschen Charme und Schalk in den Augen, wäre er bestimmt ganz nett. Und in Anzügen sahen Kerle eh immer wesentlich besser aus.

Annika stellte sich vor, wie Joe aussehen würde. Ob er einen grauen Anzug trug, passend zu ihrem Kleid, oder ob er einfach seine Fliege farblich angepasst hatte?

Viel mehr interessierte sie jedoch, wie Nick aussehen würde. Sie brauchte gar nicht lange zu überlegen, schon sah sie ihn vor sich, wie er kühl und arrogant, mit rankem Rücken und gestrafften Schultern seinen undefinierbaren Blick über alle Anwesenden schweifen lassen würde. Unnahbar, abweisend und doch so faszinierend. Unerreichbar und gerade deswegen so anziehend.

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