betrunken.

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Sie schimpft über Wilma und wedelt mit ihrer Hand in der Luft. Ich lache, denn ich finde Wilma ist wirklich zum Kotzen. Was für eine romantische Gemeinsamkeit. Ich habe meinen Arm um ihren zerbrechlichen Körper gelegt. Sie ist so dünn. Ich habe Angst, sie zu zerbrechen.

Ich halte sie im Arm, doch sie stolpert wieder. „Letzte Warnung", flüstere ich ihr ins Ohr. Ich versuche, bedrohlich zu klingen. Meine Nase streift ihren Hals und ich spüre, dass sie eine Gänsehaut bekommt. Sie reagiert so schnell auf mich. Sie kichert. Sie ist eindeutig betrunken. Mit wem hat sie nur so viel getrunken? Bevor wir die Kinder eingesammelt haben, war sie noch nüchtern glaube ich.

Ich habe sie bei diesem Chris gesehen. Wahrscheinlich hat er sie so abgefüllt. Dieser Wichser. Wie er sie angesehen hat. Ich dachte, er sabbert gleich. Doch sein Plan ist nach hinten losgegangen. Du wolltest sie abfüllen, aber jetzt liegt sie in meinem Arm. Nicht in deinem, du Penner. Und ich werde sie so schnell nicht wieder gehen lassen. Eigentlich bin ich froh, wenn ich Frauen wieder los bin. Aber nicht bei ihr. Von ihrer Nähe kann ich gar nicht genug bekommen. Fuck, dieses Gefühl ist neu.

Hanna schmiegt sich fest an meine Brust und umklammert mich wie ein kleines Äffchen. So kann sie nicht richtig gehen. So wird sie nochmal stolpern, das steht fest.

„Raphael?" Ihre Stimme ist sanft.

„Ja?", frage ich leise.

„Das ist schön."

„Was ist schön?"

„Dass du hier bist." Ich bin mir sicher, sie hat die Augen geschlossen, denn sie klingt, als würde sie halb schlafen. Doch sie geht tapfer weiter und stolpert ab und zu über eine Wurzel. Manchmal auch über eine, die gar nicht da ist.

Ihre Worte verursachen ein Grinsen in meinem Gesicht. Ich kann es nicht stoppen und fühle mich wie ein Idiot. Zum Glück ist es dunkel, da kann ich grinsen so viel ich will und keiner sieht es. Grinsend genieße ich ihre Nähe und wie sie ihren Körper an meinen schmiegt. Ich schlinge meinen anderen Arm auch um sie und halte mein Äffchen warm. Der Alkohol ist ein trügerischer Pullover und sie wird sich sonst erkälten.

Langsam tauchen die schwarzen Schatten der Zelte vor uns auf. Die anderen sind bereits dort, die Lichter der Taschenlampen sind über den ganzen Platz verteilt.

„Ich bringe dich ins Bett", sage ich leise und lenke sie in die richtige Richtung. Alleine würde sie ihr Zelt bestimmt nicht finden.

„Mhmmmm", murmelt sie an meiner Brust. Vorsichtig gehe ich mit ihr über die Wiese.

„Hannah, wir sind da", sage ich und lockere meine Umarmung. Langsam löst sie sich von mir. Dort, wo gerade noch ihr warmer Körper war spüre ich jetzt die Kälte der Nacht.

„Leuchte mir mal. Ich brauche Licht", sage ich und halte ihr unsere Taschenlampe entgegen.

„Ja, Sir. Wird gemacht, Sir." Sie kichert und ich glaube, sie salutiert aber ich kann es in der Dunkelheit nicht sehen. Sie ist so unglaublich süß, wenn sie so unbeschwert ist. Der Lichtstrahl wackelt über den Reißverschluss. Sie versucht ihn gerade zu halten, doch es gelingt ihr nicht. Ich glaube, sie merkt es noch nicht mal. Die Taschenlampe geht aus. Ich höre, wie sie die Taschenlampe gegen ihre flache Hand schlägt. Die Batterien klappern.

„Scheiße", sagt sie. Dieses grobe Wort passt so gar nicht zu ihrer sanften Person. Der Alkohol hat ihr nicht nur einen Pullover angezogen, sondern auch das verbotene Vokabular freigelassen. Ich bezweifle, dass sie nüchtern jemals Fluchen würde. Und ich bezweifle, dass die Batterien leer sind. Wahrscheinlich ist sie auf den Schalter gekommen. Im Dunkeln taste ich nach ihr.

„Ich mach das", sage ich als meine Finger das kühle Metall der Taschenlampe berühren. Ich lege den Schalter um. Sofort geht das Licht wieder an. Habe ich mir doch gedacht.

„Oh", sagt sie. Ich lege die Lampe in ihr Zelt, denn der Reißverschluss ist längst offen. Ich richte mich auf und ziehe sie an mich.

„Gute Nacht", flüstere ich und küsse sie auf die Stirn. Der Pfirsichduft steigt mir in die Nase.

„Gute Nacht", sagt sie und klettert in ihr Zelt. Ich schließe den Reißverschluss hinter ihr. Im Zelt raschelt es. Ich sehe ihren Schatten. Sie kichert noch einmal, dann raschelt es wieder. Dieses idiotische Grinsen geht mir auf die Neven, doch ich kann es nicht abstellen. Ich warte in der Dunkelheit, bis es still ist und gehe zu meinem Zelt.

Die kalte Luft trifft mich mit einer Wucht, als ich mich von ihrem Zelt entferne. Ich bekomme einen klaren Kopf, fühle mich, als würde ich aufwachen. Shit. Was mache ich hier? Was habe ich mir dabei gedacht? Das ist keine gute Idee. Ich muss das stoppen, so lange es noch geht. Will ich das überhaupt? Ich hole mein Handy aus der Hosentasche, damit ich in dieser verdammten Dunkelheit mein Zelt finde. Ich leuchte mir mit dem Display und setze mich auf meinen Schlafsack.

Fuck. So lange will ich sie schon. Doch sie ist die Ex von meinem Bruder. Das ist überhaupt keine gute Idee. Mein Handy blinkt. Ich tippe auf den Posteingang und öffne die SMS.

Also, Mittwoch um acht bei dir? Fuck. Sarah. Sie ist wieder single. Ich scrolle nach oben. Ich habe ihr gestern zugesagt. Ich würde hier für einen Abend verschwinden und wäre am Morgen wieder da. Was für eine willkommene Abwechslung. Wir sind schon lange befreundet, doch seit zwei Jahren haben wir eine Abmachung. Wenn sie single ist, treffen wir uns. Keine Gefühle, nur Sex.

Ich scrolle weiter und tippe auf Hannah. Ich muss das beenden.

ich kann nicht - Was kann ich nicht? Mit dir zusammen sein, weil du die Ex meines Bruders bist? Eine Beziehung mit dir haben. Ich hatte noch nie eine Beziehung. Verdammt, was ist das für eine Scheiße. Ich lösche es wieder.

ich weiß nicht - schreibe ich. Was genau weiß ich eigentlich nicht? Shit. Ich lösche es wieder.

wir sollten – Fuck. Ich lösche die SMS und schleudere mein Handy gegen die Zeltwand.


hold me tight.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt