20. a_hazelnut • Eine Geschichte ohne märchenhafte Sonnenuntergänge

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E I N E   G E S C H I C H T E
O H N E   M Ä R C H E N H A F T E
S O N N E N U N T E R G Ä N G E

a_hazelnut

Laelias Gesicht glänzte im Licht der tausend Kerzen, wie eine eigene kleine Sonne. Um sie herum flimmerten Kerzenflammen, wie die Sterne und Planeten einer Galaxie, alle verharrt in ihren ständigen Laufbahnen um die Sonne herum. Das Polster, auf dem sie lag, war violett, die Farbe von Träumen und Wünschen, ihre seidene Tunika bestickt mit hunderten Glasperlen, wie Tautropfen im Morgenlicht. Hochgesteckte Locken, schwarz wie Ebenholz, dunkle Rosenblütenlippen und helle Zimthaut. Augen wie funkelnde Sterne.

Silvanus war kein Dichter, aber so würde einer von ihnen die Prinzessin von Marellia an diesem Abend beschreiben. Wahrscheinlich wäre die Sprache noch ein wenig blumiger, die Vergleiche ein wenig romantischer, und natürlich wären die Worte gereimt und in einem regelmäßigen Metrum geschrieben. Trochäus vielleicht. Silvanus stellte sie sich in schönster Kalligraphie in einem seiner Gedichtbände vor, reiner Kitsch natürlich. Aber an diesem Abend schien es, als gehöre die Prinzessin genau dorthin, ins Reich der Märchen, der romantischen Sonnenuntergänge und der glühenden Leidenschaft eines Dichters.

Und deshalb war natürlich nichts davon real. Der Abend war wie ein meisterhaft komponiertes Bild. Das größte Tricinium im Laelierpalast wurde von dem gewaltigen Eichenholztisch in dessen Mitte beherrscht, um den herum die Liegen platziert waren. Die Wand an der Kopfseite des Saals war mit verschlungenen Weinranken, Faunen mit kunstvoll gedrehten Hörnern und tanzenden Nymphen bemalt.

Überall im Raum standen Kerzen, so arrangiert, dass sie Laelia vor allen anderen erleuchteten, überall waren Farben, die der Prinzessin schmeichelten, ihre Liege stand ein bisschen höher als die der anderen, aber niedrig genug, dass man auf Augenhöhe miteinander sprechen konnte, und Silvanus wollte gar nicht wissen, wie viel Arbeit in die Sitzordnung gesteckt worden war.

Weniger einflussreiche Adlige wie Silvanus weit weg von der Prinzessin, wichtigere Adlige in ihrer Nähe. Und lulus Aurelius Fortis natürlich direkt zu ihrer rechten. Von seinem Platz an der Prinzessin gegenüberliegenden Ende des Tisches aus, konnte Silvanus Laelia zwar nicht hören, aber er hätte alles darauf verwettet, dass jeder Kommentar, jedes Lächeln, das sie ihm zuwarf, strategisch durchdacht war.

Es war vielleicht ehrgeizig als Prinzessin eines vergleichsweise kleinen, wenig bedeutenden Königreiches zu versuchen den Erben des gigantischen Aurelierreiches als Ehemann zu gewinnen, besonders, wenn dieser schon beinahe mit der schönsten Frau der Welt verlobt war, aber im Moment erschien es, als könnte Laelia jeden Mann um den Finger wickeln. Faszinierend.

Manchmal wusste Silvanus nicht, ob er die Adligen am Hof für ihre Gerissenheit bewundern oder verabscheuen sollte. Ihr Ränkeschmied konnte so kunstvoll sein wie ein genial konstruiertes Bauwerk. Wie der große Tempel in Maurien mit seinen tausend Wasserspielen oder die gewaltige Bibliothek von Cypra. Dann gab es aber auch die plumpen Intrigenversuche und wenig subtilen Pläne, die eher dem schlampig gebauten Palast der Eugenier ähnelten. Und diejenigen, die so grausam waren wie die Gefängnisse von Kark. Genial gebaut, ja, aber zu schrecklich, um irgendwie bewundernswert zu sein.

Laelia gehörte eindeutig zur Kategorie Tempel in Maurien. Manche Menschen waren einfach für das Leben am Hof geboren.

„Und, wie rechnet Ihr Euch Eure Chancen aus?“ Silvanus blickte auf. Sein fast schon unangenehm geschwätziger Tischnachbar hatte sich nach einem längeren Gespräch mit dem Mann gegenüber wieder Silvanus zugewandt. Er wirkte jung, fast zu jung für die Toga Virilis, eigentlich Zeichen des Mannesalters, die er trug. Grübchen, rote Wangen vom Wein, große blaue Augen. Quintus Flacillus, fünfter Sohn einer wenig bedeutenden Familie. Kein Wunder, dass er so weit entfernt von der Prinzessin platziert worden war.

Wichtel-Adventskalender 2023Où les histoires vivent. Découvrez maintenant