6. Sia_Ley • Laurins Schatz

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L A U R I N S
S C H A T Z

Sia_Ley

Ingridia 

„Niemals werde ich diesen Kretin heiraten!“, brüllte Ingridia ihren Vater, den Elfenkönig des Regenbogenlandes, an. Sie stampfte mit dem Fuß auf, ihre langen blonden Locken flogen, ihre blauen Augen blitzten.

Haraldrian seufzte. Er hatte es geahnt. Ein wenig war er auch selbst schuld, dass sein hübsches Töchterlein so aufsässig war. Schließlich hatte er sie dazu erzogen, ihren Kopf hochzutragen, ihren eigenen Willen immer kundzutun.

Aber dieses Mal musste sie nachgeben. Sein Reich drohte, bankrott zu gehen. In früheren Zeiten hatten die Menschen immer Gaben für die Elfen abgelegt. Mal ein paar Lebensmittel, mal ein Schmuckstück, manche sogar ein Goldstück.
Aber seitdem die Menschen nicht mehr an sein Reich glaubten, sondern nur noch an eine Sache, die sie „Netz“ nannten, waren die Spenden immer weniger geworden, in letzter Zeit nahezu vollkommen versiegt.

Seine Untertanen hatten alle den Gürtel enger schnallen müssen, das wunderschöne Elfenlachen unter dem Regenbogen war seit einiger Zeit verstummt. Die letzte Hoffnung des Königs lag auf einer Vermählung seiner Tochter mit dem Sohn von Hermanntius, dem König des Sternschnuppenlandes.

Der hatte das Unheil vorausgesehen, hatte besser gewirtschaftet als er selbst. Außerdem war sein Reich das der ewigen Nacht, die Dunkelheit und die Sternschnuppen ließen die Menschen noch eher an Elfen glauben. 

„Der ist hässlich!“, schrie Ingridia weiter. „Er hat eine Nase wie ein Fliegenpilz, Beine wie zwei krumme Äste, einen Bauch wie ein Kürbis.“

„Wenn du ins Sternschnuppenland ziehst, ist es ja immer dunkel, und du musst ihn nicht ansehen!“, versuchte Halandrian sie weiter zu überreden.

Die Prinzessin spannte ihre zierlichen Elfenflügel und schwirrte davon. In ihrer Kammer landete sie etwas unsanft auf dem breiten Bett, dessen Decke etwas zerschlissen war. Ihre Wut hatte eine sanftere Landung verhindert.

Noch eine Weile schimpfte sie vor sich hin, dann fiel ihr Blick auf das Sagenbuch, das schon seit Elfengenerationen von der Mutter an die Tochter weitergegeben wurde. Sie musste sich dringend ablenken, damit sie das Bild von Wolfgangus aus ihrem Kopf brachte. 

Ein wenig schämte sie sich ihrer schlimmen Worte und Gedanken. Ihre Mutter hätte ordentlich mit ihr geschimpft! „Ingridia!“, hätte sie gesagt. „Jeder Elf und jede Elfe ist schön! Vielleicht nicht äußerlich, aber du musst auch ins Innere sehen.“

Aber ihre Mutter war ja schon seit Jahren nicht mehr bei ihnen. Die böse Hexe Marianne hatte sie verhext in eine Ziege, hatte sie zu sich genommen. 

Ingridia blätterte mit feuchten Augen in dem Buch. Sie hatte es schon viele Male gelesen, als die Mutter noch bei ihnen gewesen war. Seitdem sie weg war, kein einziges Mal.   

Nach einiger Zeit war sie bei ihrer Lieblingsgeschichte angekommen, die von Laurin, dem Zwergenkönig handelte, der im Rosengarten in Südtirol zusammen mit seinen fleißigen Untertanen einen riesigen Schatz hortete.
Ein Plan formte sich hinter ihrer Stirn, Gedanken ratterten durch ihre Gehirnwindungen, ihr kleines Elfenherz schlug aufgeregt.

• • •

Marianne stapfte wütend durch den Wald auf ihre Hütte zu. Verdammte Annemarie! Die hatte sie doch reingelegt, wahrscheinlich die Karten verhext, und sie war dumm genug gewesen, darauf reinzufallen.
Mit einer Hexe Poker zu spielen! Wie dumm konnte man denn sein? Aber sie hatte der Freundin vertraut, mit der sie schon zusammen die Hexengrundschule besucht hatte.

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