16. LHeusser • Die Namenlose

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D I E
N A M E N L O S E

LHeusser

Ein bunter Strudel erfasst sie, reisst sie mit sich. Verwirrt fasst sie sich an den Kopf, versucht, den Wirbel aus Farben und Formen loszuwerden, als es schon wieder vorbei ist und sie, wenn auch etwas schwankend, wieder auf dem kleinen Waldweg steht. Sie öffnet die Augen, noch unwissend, dass es dieses Portal wirklich gibt, es nicht nur Einbildung war.

Nach ein paar Schritten, sich selbst einredend, dass alles in Ordnung ist, merkt sie, dass die Vögel verstummt sind. Es ist still, wo zuvor noch Spatzen herumhüpften und ein Specht das regelmässige Geräusch seines Klopfens ertönen liess, und jetzt nur noch die knirschenden Kiessteinchen unter ihren Füssen und der eigene Atem zu hören ist. Sie schaut sich um, von einem kalten Schaudern ergriffen, das jedoch sehr wohl von der plötzlichen Kälte stammt.

Der Blick auf den von Frost überzogenen Moosgewächsen und den kahlen Ästen der Bäume liess sie den Atem anhalten, doch als sie jetzt die Luft wieder aus ihren Lungen entweichen lässt, bilden sich kleine Rauchwölkchen, unschuldig und doch so verräterisch.

Ein leise gesprochenes ‘Guten Tag, Miss’ weckt sie aus dem Anblick des Waldes, und an der Stelle der Verwirrung und Verträumtheit wird in ihr sofort das Mitleid für das kleine Kind, das sich verzweifelt an die Hand einer ärmlich wirkenden Frau klammert, geweckt. Wortlos gibt sie ihm ihren Mantel, der sie zuvor vor der Kälte geschützt hatte.

Das Kind hat es nötiger als ich.

Ein fast zur Unverständlichkeit verzerrt gemurmeltes ‘Danke’ des Kindes, das dankbare Lächeln der Frau, als Antwort. Und so sieht sie, jetzt zitternd, den Zweien hinterher. Das Knirschen des Kieses unter den nackten Füssen eines gebückten Mannes lässt sie jedoch wieder aufschauen.

Mit dem Blick auf die dreckigen, mit Blasen bedeckten Füssen des Greises streift sie sich ihre eigenen, für ihn vermutlich zu grossen, Schuhe ab, und reicht sie ihm. Auch er hat ein gurgelndes ‘Danke’ und eine kleine Verbeugung, die sie ihm gar nicht zugetraut hätte, für sie bereit. Dann humpelt er weiter, bis auch er den geraden Waldweg verlässt und nicht mehr in ihrem Blickfeld ist.

Die Möglichkeit ergriffen, sich aufzuwärmen, geht sie nun mit schnellen, doch auf spitzige Kiesel bedachten Schritten, den Weg zurück zu ihrem Heim. Vor der Tür stolpert sie fast über einen verlumpten, kleinen Jungen. Sie schaut zurück, in grosse, braune Augen, von Einsamkeit, Trauer und Furcht gekennzeichnet.

Was kann ich ihm geben? Vielleicht habe ich im Haus noch etwas Brot. Aber habe ich denn nicht schon genug gegeben? Reicht es denn nicht? Was passiert hier nur?!

Noch bevor sich die Tränen in ihren Augenwinkeln lösen können, sie dem Jungen etwas geben kann, wird sie das zweite Mal unfreiwillig von dem Wirbel, dem Gemisch aus Formen und Farben, ergriffen, und als es schon wieder vorbei ist, kniet sie weinend auf dem Waldweg.

Der Specht klopft, die Vögel singen von Weitem ein heiteres Lied, das aber nicht bis zu ihr durchdringt. Die Bäume, das frostfreie Moos, sie ragen gross und unfreundlich über ihr auf, fressen das Sonnenlicht, der Wind lässt die farbigen, vom Herbst bemalten Blätter durch die Luft wirbeln.

Stolpernd rappelt sie sich auf, rennt, so schnell sie kann, zurück dahin, wo sie zuletzt gewesen war, die schrägen Blicke der älteren Nachbarin ignorierend, nur ein ‘Guten Tag’ keucht sie.

Schon fast erwartend, wieder über den Jungen mit den traurigen Augen zu stolpern, schaut sie sich um, doch er ist nicht mehr da. Die Tür aufgerissen, Mantel und Schuhe achtlos in eine Ecke geworfen, stürmt sie ins Wohnzimmer.

Ein Blick nach rechts, zum Sofa, wo ihr kleiner Sohn sitzt, beruhigt sie. Sie wendet sich ab, erleichtert, ein Blick auf die Uhr, nach draussen, in den Spiegel. Dann zuckt sie, schaut zurück. Ein kleiner Junge, grosse, braune Augen.

I D E E
Scriptum_universum

Eine Person, dessen Namen in der ganzen Geschichte nicht erwähnt wird, landet in einer anderen Dimension. Dort entdeckt sie, wie viele Menschen leiden und hilft ihnen in vielen verschiedenen Situationen. Schliesslich kommt sie zurück in unsere Welt und erkennt zuerst aber nicht, dass in unserer Welt genauso viele leiden.

Danach ist ein offenes Ende möglich.

Danach ist ein offenes Ende möglich

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Wichtel-Adventskalender 2023Where stories live. Discover now