28. EndeLegende • Eine Lüge ist selten allein

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E I N E   L Ü G E
I S T   S E L T E N
A L L E I N

EndeLegende

»Die Wahrheit ist kein Bild. Sondern Raum mit vielen Bildern.«
- Flinn zu Nick

Leute, habt ihr euch jemals gewünscht, besonders zu sein? 

Warte, ihr denkt, ihr seid besonders? Ohne euch runterziehen zu wollen: Ihr seid es nicht. Ihr seid normal. Auf eine normale Art und Weise besonders. Und darüber solltet ihr glücklich sein. 

Ich hatte mich in meinem Leben damit abgefunden, genau das zu sein. Normal. Wenn ich nur gewusst hätte, wie falsch ich gelegen habe.

Alle meiner Freunde hatten sich nach und nach als Teil der Hälfte der magischen Bevölkerung entpuppt, nur ich blieb übrig. Rusina konnte sich mit einem Schnipsen in jemand anderen für fünf Minuten verwandeln. Das war immer sehr nützlich für kleine Streiche in der Schule gewesen. Oder Manfred, der andere in seinen Träumen Personen besuchen konnte und mich damit schon mehrmals genervt hatte. Als Mathelehrerin, als Drachen und als mein Traummann hatte er mich schon mal heimbesucht. Aber anstatt mich zu küssen mit Lautsprecherstimme »Du schuldest mir immer noch zehn Groschen«, gerufen. Danke für nichts. Spätestens dann war mir klar geworden, dass es keine wahr gewordene Fantasy von mir gewesen war, sondern nur Manfred, den ich absolut nicht heiß fand und der mit Rusina zusammen war. Die beste Gabe hatte allerdings Fred, er konnte wertvolle Gegenstände in Babybrei verwandeln. Nicht jeder kam so leicht in den Genuss von einer-Millionen-Pampe. 

Doch mit einem Tag änderte sich alles für mich. Meine Eltern hatten mich zu einer Spendengala mitgenommen, bei der sich Menschen von überall her tummelten…

»Junge, zieh dir doch den feinen Nadelstreifenanzug deines Vaters an. Der lässt dich so …«

»Spießig?«

»… erwachsen und seriös aussehen.«

»Also spießig.«

Und da stand ich, aufgrund meiner umwerfenden Durchsetzungsfähigkeit, bei der blöden Spendengala im Nadelstreifenanzug. 

Große Säulen hielten das weite Glasdach des Industriegebäudes, welches durch die dünnen Metallstäbe leichter aussah, als es war. Da es schon dunkel war, konnte man über uns und den hässlichen Stahlträgern nur den Sternenhimmel sehen. Zumindest hätte man ihn sehen können, wenn der Raum nicht gleißend hell erleuchtet gewesen wäre. Man hatte nämlich die rostigen Stahlstreben mit warmen Lichterketten verschönern wollen, die sich an den Säulen hochrankten und von der Decke hingen und damit wirklich jede Ecke des riesigen Messegeländes ausleuchteten. 

Ich verfolgte allerdings eher die Philosophie: Hässliches wird im Licht auch nicht schöner. 

Um mich herum standen herausgeputzte Menschen und ich wünschte, ich würde mit meinem Nadelstreifenanzug nicht so gut hier reinpassen. Denn ich wollte nicht zu den Spießern gehören, das wollte ich noch nie. Meine Eltern waren welche von der feinsten Sorte.   

Immerhin war die jetzige Rede doch recht interessant, denn es ging um eine der bekanntesten Detekteien. Monsieur Pampelmouss war einer meiner Kindheitshelden: genial, stilvoll und vor allem ein Meister seiner Kunst des Diebe-Fangens und Fälle-Lösens. Und kein geringerer stand gerade auf der Bühne und redete. Ich musste aufpassen, nicht zu begeistert auszusehen. Sonst hätten meine Eltern das ja mitbekommen und gesagt: »Die jungen Leute muss man eben zu ihrem Glück überreden.«

Pah, ich hasste sie dafür, dass sie Recht hatten. Wie gebannt hing ich an seinen Lippen und ich war mir ziemlich sicher, dass es allen anderen genau so ging. 

Wichtel-Adventskalender 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt