D A N A
Kapitel 1
28. Nov., DanaDana stürzte sich rasch dem vertrauten und zugleich fremden Schulgang entlang. Das Gebäude wirkte kleiner und dunkler als in ihren Erinnerungen. Damals, vor ihrer zweiten Operation, waren die Decken hoch und die Wände breit gewachsen, doch vier Jahre zuvor war sie noch klein gewesen und konnte als Zwölfjährige die Welt auch nur von unten betrachten.
Die Wände der Schule standen kahl und grau. Doch sie wirkten auf sie freundlicher, als es die bleichen Wände ihrer Klinik je hätten tun können. Sie waren von solch einer reinweißen Farbe gewesen, dass es in den Augen wehgetan hatte. Nicht einmal das Bunt der selbstgemalten, eingerahmten Bilder auf ihnen hatte ausgereicht, um das Weiß freundlicher aussehen und Danas Stimmung farbenfroher werden zu lassen.
Vier Jahre. Vier Jahre waren vergangen, in denen sich alles auf den Kopf gestellt hatte. In denen Dana ihr normales Leben irgendwo zwischen Chemotherapien, Homeschooling und den beiden OPs verloren hatte.
Sie richtete sich instinktiv die knallrote Mütze zurecht, während sie die Gedanken an die letzten Jahre fortjagen ließ. Es würde alles anders sein. Ein Neuanfang mit der vertrauten Schule und denselben Klassenkameraden. Sie hielt Schritt, da der Gedanke daran, dass sie sich direkt am ersten Tag verspäten könnte, unangenehm in ihrem Kopf brannte.
„Hey du! Im Schulgebäude darf man nicht rennen, vergessen? Oder hast du das Hirn einer Ameise?” Es klang amüsiert und keineswegs ernst gemeint. Dana kam fassungslos zum Stehen, ehe sie hinter sich bedächtige Schritte hörte. Überrascht drehte sie sich einmal um die eigene Achse und erblickte einen großgewachsenen Jungen vor ihr.
Sie kannte ihn. In den vier Jahren hatte er sich kaum verändert. Die gleichen verschiedenfarbigen Augen, das dunkelbraune Haar zu einer modischen Frisur gestylt, die Hände noch immer in die Jackentaschen der schwarzen Lederjacke gesteckt, das Lächeln arrogant und provozierend. Dana registrierte jedoch sofort die Zigarette zwischen den vollen Lippen, die vorher nie da gewesen war. Und er redete noch von Schulregeln? Pit Brown musste ganz sicher der Letzte sein, der sich an diese hielt.
Sie lächelte unsicher. Augenblicklich veränderte sich Pits Gesicht, als er sie erkannte. „Dana?” Er stieß sich stirnrunzelnd von der Wand ab und beäugte sie misstrauisch, als wäre sie bloß eine unschöne Halluzination.
„Ja, das bin ich, Pit!” Danas Mundwinkeln zuckten in die Höhe. Sein Erscheinen hatte sie augenblicklich daran erinnert, wie sehr sie jeden einzelnen ihrer Klassenkameraden vermisst hatte. Wie oft sie an sie gedacht hatte, nachgegrübelt, was ihre Freunde wohl nun taten oder ob sie Dana genauso sehr vermissten wie Dana sie. Sie hatten als Klasse stets zusammengehalten, egal was passierte.
„Verschwinde am besten wieder. Du gehörst nicht hierher.” Er rauchte nachdenklich weiter. „Du gehörst nicht zu uns.”
Es versetzte ihr einen Stich, ihre schokobraunen Augen versuchten vergeblich, den Blick seiner zu treffen, die einer in braun und der andere in blau leuchteten. Klar, es war Pit. Der Temperamentvolle, wie andere ihn schon immer genannt hatten, musste er noch immer sein. Doch niemand, kein einziger von ihnen, würde sowas zueinander sagen. Und Dana war eine von ihnen.
„Früher warst du … anders.” Sie hatte keinen Mut gefunden, es passender auszudrücken. Dass er eben auf negative Weise anders geworden war. Doch Pit hatte es auch so verstanden. Er war schon immer eine Person gewesen, die jeden verstand, auch ohne Worte.
„Es ist nichts so wie früher.” Pits Lachen hallte durch den Korridor. „Du bist zu spät, um uns um Freundlichkeit zu belehren. Wir sind erwachsen geworden, Dana. Und du solltest es auch tun. Fange am besten mit deinem Style an. Was soll die scheiß Mütze? Damit siehst du aus wie ein verdammtes Rotkäppchen! Wo sind deine blonden Locken, hast du die Haare kurzgeschnitten oder was?”

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Wichtel-Adventskalender 2023
Short StoryWeihnachtszeit ist die schönste Zeit! Und ein Adventskalender darf in der Lounge natürlich auch nicht fehlen! Fast zwei Monate hat unsere Community fleißig geschrieben, hat eine Herausforderung angenommen, die ihnen das Schreiben ein wenig spannende...