12. Kapitel

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Zwei Tage war ich nun schon hier, glaubte ich, doch verschwamm sowieso jeder Tag, sodass ich einfach kein Zeitgefühl hatte.
Ich fühlte mich schrecklich, konnte kaum einen Arm heben, geschweige denn aufstehen. Mein ganzes Leben fühlte sich so unecht an, klare Gedanken waren nicht möglich.
Meine Stimmungsschwankungen konnte keiner ertragen, nicht einmal ich selbst, so wollte ich in einem Moment sterben, fing an zu weinen, nur um kurz darauf wieder wütend auf etwas einschlagen zu müssen.
Jeder sagte mir, das sei normal, dass mein Körper sich dagegen wehrt loszulassen, dass er nach dem Wirkstoff schreit, mir einreden möchte, dass ich ohne Drogen nicht leben könnte. 'Kannst du ja auch nicht!' Ich hatte das Gefühl, dass die Stimmen in meinem Kopf leiser werden, langsam immer mehr die Kontrolle über meinen Geist verlieren, meine Schutzhülle bröckelte, der Damm, der meine Tränen zurück hält wird früher oder später sicherlich brechen, nicht nur überschwappen.
Ich starrte an die Decke, konnte hier ja sonst nichts tun, da mir Bücher definitiv nicht lagen. Zwei Stück, unberührt, neben mir auf meinem Schrank, Tisch, was auch immer das sein soll. Ich hatte sie noch nichtmal berührt, waren noch in Originalverpackung, so wie mein Vater sie hingestellt hat. Irgendein Abenteuer-Buch, dessen Namen ich gar nicht erst erfragt hatte und "Das Schicksal ist ein mieser Verräter", ok, ich hatte schon viel gutes über dieses Buch gehört gehabt, aber was ist das bitte für ein bescheuerter Titel? Lesen würde ich es ganz sicher nicht, niemals, noch eher anfangen Ballett zu tanzen und das war schon sehr unwarscheinlich, obwohl mir selbst das im Moment besser erschien, als meine derzeitige Situation, hier.
Ich seufzte, wandte meinen Blick zur Seite auf die weiße Wand, vermisste die Außenwelt extrem, hatte ich doch kein Fenster.
Wieder kam eine Schwester, ich unterdrückte ein genervtes Aufseufzen und sah augenrollend zu ihr auf. "Und wie geht's uns heute?", fragte sie, meiner Meinung nach viel zu glücklich, sah dabei aber aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. "Als ob sie das wissen wollen.", meinte ich leise, wandte meinen Blick ab, starrte sehnsüchtig auf die Tür, durch die sie gerade gekommen war. Wie schön wäre es, dort hinaus laufen zu können. "Ja, ich möchte das wissen.", behauptete sie.
Ich hatte nichts mehr gesagt, interessierte sie sowieso nicht. Andauernd wollte mir jemand einreden, dass es mit mir bergauf geht, ich demnächst wieder normal leben könnte und nach draußen dürfte, doch machte sich immer mehr das Gefühl in mir breit, dass sich mein Zustand weiter verschlimmerte. Die Schwester, deren Namen ich bereits vergessen hatte, teilte mir kurz vor dem Verlassen des Raumes mit, dass mein Vater heute zu Besuch kommen würde. Interessiert mich herzlich wenig, konnte mich ja kaum noch an das Gesicht dieses Mannes erinnern, der mir das hier einbrockte.
Ich seufzte, wusste nichts mit mir anzufangen, meine Gedanken drehten sich im Kreis.
Ich schloss die Augen, hoffte schlafen zu können, doch fand ich keine gute Liegeposition, die Kanüle und das Kabel störten mich, frustrierten sogar so sehr, dass ich es am liebsten angerissen hätte. Genervt stöhnte ich auf, das dauerhafte Piepen in den Ohren würde mich noch um den Verstand bringen.

Durch ein Türknallen würde ich geweckt, schlug müde meine Augen auf, spürte, wie ich sofort wieder anfing zu zittern, es aber nicht kontrollieren konnte. Keine Stimme sagte mir, dass ich meine Tablette brauchte, doch schrie mein gesamter Körper förmlich danach.
Eine Gestalt tauchte vor meinem Bett auf, mein Blick wollte sich allerdings nicht klären, sodass ich keine Möglichkeit hatte zu erkennen, wer dort war. Ich fühlte mich so hilflos, wie ich hier lag und in die Leere starrte, mich nicht rühren konnte, geschweige denn etwas sagen. Ich hatte nicht einmal wirklich Lust darauf, wandte deshalb meinen Blick ab, strengte sowieso zu sehr an, musterte wiedermal die Wand und wartete einfach darauf, dass die Person zu reden begann, doch ein Gespräch blieb aus. Man schien mich bloß zu beobachten, mir wäre es vielleicht unangenehm gewesen, wenn ich diesen Blick hätte gespürt, doch merkte ich gar nichts, nur Taubheit, die sich im ganzen Körper ausbreitete. Ausgehend von meinen Füßen kroch diese immer weiter nach oben, lähmte mich, könnte auch Einbildung gewesen sein, oder sogar ein Trugbild meines geschwächten Körpers. Zwei Tage ohne Tabletten, wann hatte es das zuletzt gegeben?
Verwirrt riss ich meinen Kopf wieder zu der Gestalt, ja, schnell gingen auch noch ein paar kleinere Bewegungen vonstatten. Hatte der Mensch gerade einen Ton von sich gegeben? Wenn ja, sollte er sich gefälligst wiederholen. Vielleicht hatte ich mir das aber auch wieder nur eingebildet, denn jetzt herrschte absolute Stille.
"Vive?", es war eine dunkle Stimme, die Gestalt bewegte sich ein wenig. Ach, jetzt spricht es wieder mit mir? Blinzelnd versuchte ich irgendwie einen klaren Blick zu bekommen, schaffte es aber nur, dass meine Augen zu tränen begannen. Verdammt. "Wer bist du?", krächzte ich, meine Stimme war, durch langes Unbenutztsein total eingetostet, es tat sogar im Hals weh, konnte ich ja nichtmal mehr selbstständig trinken. Ich hatte nie gewusst, wie abhängig man sein kann. "Phillip, dein Vater.", kam es von der Stimme zurück. Aha, so hörte er sich also an. "Ok. Was willst du hier?", langsam gewann ich meine alte Stimme zurück, musste ich nur weiter reden, denn je mehr ich sprach, desto klarer wurden meine Gedanken soeben. "Ich wollte dich besuchen, sehen wie es dir geht." "Interessiert dich doch gar nicht.", meinte ich nur, ein Gefühl des Alleinseins breitete sich wiedermal in mir aus. "Doch.", antwortete er, diesmal leiser, war sich warscheinlich selbst nicht sicher, ob es die Wahrheit ist. "Wann kann ich hier wieder raus?", Hoffnung zeichnete sich in meiner Stimme ab. "Es geht bergauf, vielleicht noch eine Woche Liebling.", meinte er, seine Stimme klang sanft, irritierend für mich, ihn so zu hören. "Wie lange bin ich denn schon hier?" "Zwei Wochen."
Zwei Wochen? Vierzehn Tage? Wo war ich die gesamte Zeit? Ich hatte nichts mitbekommen. Mit meinen zwei Tagen lag ich ja total daneben! Oh mein Gott. Ardian! Halt. Warum gilt mein erster Gedanke jetzt diesem Jungen? Natürlich, er ist cool, hübsch, nett, einfühlsam. Stop. Ich hatte ein Bild vor Augen, das Bild eines blonden Jungen mit Dreads, seine grauen Augen, dieses Lächeln. Ich glaube, hätte mein Körper mir gehorcht, würde ich lächeln, doch konnte ich immernoch keinerlei Emotionen zeigen, nur herum liegen.
Ich war so tief in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkt hatte, wie er gegangen war. Ich hätte zu gern nach Ardian gefragt, ob er nach mir gefragt hatte, ob er da gewesen war, aber hätte er es getan, würde er nicht zu Besuch hier gewesen sein? Ihn würde ich immer mitbekommen, garantiert. Also war er nicht gekommen, warscheinlich hatte er mich bereits vergessen. Das naive, drogenabhängige, stille Mädchen, welches ihn nie an sich herangelassen hatte. Wer wollte sich an so jemanden schon erinnern? Richtig, niemand. Ich bin niemand, mich gibt es nicht mehr, gefangen in mir selbst, würde ich nie wieder die Freuden des Lebens kennelernen. Ich sollte am besten einfach sterben, so wie meine Mutter, ich sollte bei ihr sein, niemand würde mich vermissen.
Während meines Nachdenkens kam zweimal die Schwester, machte irgendwas, dessen Sinn ich nicht erkennen konnte und verschwand wieder.
Die gesamte Zeit spukte mir das Bild von Ardian im Kopf herum, während das Gefühl des Vergessens stetig wuchs. Ich fühlte mich elend, schlimmer, als es jemals während des Entzugs war. Ich hasste mich einfach, konnte gar nicht anders. So etwas dummes, wie mich kann es gar nicht geben.
Wieder kam mir der Gedanke des Sterbens, wollte einfach nicht aus meinem Kopf.
Wann war ich bitte so geworden? Ehrenlos? Wo war meine ehemalige Lebensfreude geblieben?

Drugs ● Ardy (Reupload) Where stories live. Discover now