10. Kapitel

1.9K 117 0
                                    

Ich stand ihm gegenüber, sah in seine unglaublich tiefgründigen, grauen Augen, wusste nicht, was ich hätte sagen sollen. "Warum hast du dich innerhalb der letzten zwei Wochen nicht gemeldet?", fragte er und sah dabei traurig drein. Ich atmete tief aus, hatte keine Ahnung, was ich hätte sagen können. Ich wollte ihm aus dem Weg gehen, ihn nicht mehr sehen, hatte nicht erwartet ihn hier zu treffen. Ich blieb stumm, er starrte mich an, versuchte irgendetwas in meiner Miene anzulesen, herauszufinden, ob in mir noch irgendetwas war. Ich hätte ihm in diesem Moment so gern alles erzählt, über mein Leben, die Drogen, den Hass, die Angst, doch blieben mir die Worte im Hals stecken. Innerlich tobte ich, wollte schreien, versuchte die Hülle aus Resignation zu durchbrechen, die ich in den letzten zwei Wochen aufgebaut hatte, hämmerte dagegen, brachte sie nicht zum einstürzen. 'Halt einfach die Fresse und geh weg.' Ich wollte nicht weg, wollte ihm sagen, dass ich ihn mochte, doch wusste ich bereits, dass ich diesen Jungen verloren hatte. Mein Körper, drogengesteuert, tat schon lange nicht mehr das, was ich wollte, sodass ich mich jetzt umdrehte, ohne es zu wollen und davon ging. Er versuchte mich noch aufzuhalten, rief mir etwas hinterher, doch trugen mich meine Beine immer weiter weg von ihm, ich konnte es nicht kontrollieren. Meinen ganzen Körper hatte ich nicht mehr unter Kontrolle, mein Selbsthass stieg, doch vermochte ich nichts mehr an meiner Situation zu ändern, hatte mich verloren.

Der Morgen verlief wie immer, ohne Zwischenfälle, mein Vater war wieder verreist. Mir war es egal, hatte ich mich doch sowieso mit ihm zerstritten, bekam kaum noch etwas von meiner Umwelt mit, ignorierte alles und jeden. Spaß hatte ich sowieso nicht mehr, lebte seit zwei Wochen urnoch auf Basis eines bestimmten Wirkstoffes, der mich zu erhalten schien. Ohne ging gar nichts mehr, alle zwei Stunden musste ich mehr nehmen, hielt es nicht mehr länger aus. Mein Körper hatte sich verändert, war dünner, ausgelaugter geworden, als er am Anfang war. Meine Augen, mittlerweile dauerhaft rot unterlaufen, blickten einzig und allein trüb und teilnahmslos in der Gegend umher, fixierten nichts. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare, ein wenig fettig waren sie schon, doch hatte ich einfach keine Lust duschen zu gehen. Die letzten zwei Wochen waren ei absolutes Grauen gewesen, war ich dich tatsächlich eine davon an meine alte Schule zurückgekehrt, am Unterricht teilgenommen. Es hatte mich nur noch weiter kaputt gemacht, meine letzten Kräfte verzehrt, mir das Leben ausgehaucht. Nach dem Streit mit meinem Vater vor einer Woche war ich für zwei Tage verschwunden, hatte in einem älteren Haus geschlafen, in mitten anderer Drogenabhängiger, die mit mir fühlten, oder es jedenfalls sollten.
Sie brachten mich, neben meinen Tabletten, auf Heroin, doch wollte ich, gewarnt durch das, früher im Unterricht, gelernte, keine ihrer Spritzen benutzen, dazu war mein Verstand, egal, wie benebelt, noch im Stande, es zu realisieren.

Ich saß an diesem Morgen im Badezimmer, spielte mit einer Rasierklinge, starrte auf die Tattoos auf meinem Arm, sah zurück zu dem Metall in meiner Hand, doch konnte ich mich nicht dazu durchringen meinem Körper etwas anzutun. Wozu auch? 'Du bist so krank.' Ja, ich war tatsächlich krank, nicht suizidgefährdet, doch dennoch krank im Kopf, drogenabhängig.

Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, war ich durch mein Viertel gewandert, hatte mir von so manch einer alten Dame einen missbilligenden Blick eingefangen und war mehrmals fast gestürzt. Mein Gleichgewichtssinn litt immer mehr unter dem Drogenkonsum, doch wusste ich sowieso, dass ich nichts dagegen machen konnte. Meine Schutzmauer hatte mich eingesperrt, meinen eigenen Willen unterdrückt, ich schaffte es nicht mehr, auch nur das letzte bisschen Persönlichkeit herauszulassen, das ich noch besaß. Einzig die leere Hülle war geblieben.

Dann kam er, sah mich an, sprach mit mir, doch reagierte diese Hülle meiner selbst auf keinen seiner Versuche. Ignorant war ich war ich weggegangen, hatte ihn vergrault. Ich würde weinen, wenn ich noch Tränen zur Verfügung hätte, wollte weiterhin schreien, mich in seine Arme werfen, für immer bei ihm bleiben.
Er folgte mir, packte meinen Arm, zog mich zu sich, dabei rutschte meine Kapuze vom Kopf, meine geröteten Augen kamen zum Vorschein. Ardian starrte mich an, nahm mein Gesicht zwischen die Hand, drehte es hin und her. "Du nimmst Drogen.", stellte er schockiert fest, musterte mich und wich dann einen Schritt zurück. Ich tat gar nichts, gefangen in meiner eigenen Welt stand ich tatenlos herum, rührte keinen Muskel. "Sag wenigstens irgendwas.", flehte er ängstlich, nahm mich plötzlich in dem Arm, ich wehrte mich nicht, tat immernoch nichts. Ich musste husten, die erste Reaktion meines Körpers auf das Fehlen des Stoffes. Es fühlte sich an, als würde ich sterben, obwohl ich theoretisch gar nichts fühlen dürfte, schien ich zu ersticken, bekam keine Luft in meine Lungen gepumpt.
Ardian zog mich fester an sich, schien als würde er mich retten wollen, er wirkte wie ein Anker, an dem ich mich festklammern konnte. Der Husten wurde stärker, ich spürte, wie Blut mit heraustropfte, ausgerechnet hier, ausgerechnet jetzt, wo er hier ist, es sieht, bemerkt, wie schlecht es mir geht. 'Dir würde es besser gehen, wenn du deine Pillen nehmen würdest.' Jeder weitere Gedanke wurde von dem starken Verlangen unterdrückt, ich nahm nichts mehr wahr, meine Sicht verschleierte sich, die Kraft schwand schneller, als man es sich vorstellen konnte, ich existierte nrnoch auf geringfügiger Basis, hatte jegliche, noch besessene Kontrolle, nun vollkommen verloren.
Der metallische Geschmack des Blutes lag mir auf der Zunge, ich spuckte aus, als der Hustenanfall vorbei war. Blutig. Das kam vom Rauchen, war mir aber relativ egal. "Vive...", Ardian setzte an zu sprechen, schien aber nicht so recht zu wissen, was er sagen könnte, "nimmst du wirklich Drogen oder hast du nur eine Allergie." Ich hob den Kopf ein wenig, sah aber durch ihn hindurch, konnte seine Konturen nicht klar erkennen, alles verschwamm vor meinen Augen. 'Sag ihm, dass es nur eine Allergie ist!' Ich blinzelte zweimal, versuchte das Bild scharf zu stellen, gab es dann allerdings auf und antwortete mit brüchiger Stimme: "Es ist nur ein Allergiestoß. Nichts schlimmes." Ein künstliches Lächeln später schien der junge Mann beruhigt zu sein, jedenfalls sah er glücklicher aus, als zuvor. Er nickte.
Immernoch fühlte ich mich schwach, leblos, sah nichts scharf, nahm nur sehr wenig von meiner Umgebung wahr, konnte mir nichtmal sicher sein, dass ich nicht taumelte beim Laufen, hätte es warscheinlich gar nicht bemerkt. "Ich glaube du solltest nach Hause." Ich nickte vorsichtig und versuchte mich an einem Schritt nach vorn, die Kapuze zog ich wieder tief in mein Gesicht.
Ardian begleitete mich den gesamten Weg, folgte mir sogar in mein Haus, allerdings verschwand ich beinahe sofort ins Badezimmer und warf zwei der Pillen ein. Schon im nächsten Moment fühlte sich mein Körper kräftiger, lebendiger an, mein Blick klärte sich etwas, doch die Resignation, die Ignoranz aller Probleme, blieb erhalten, mich kümmerte nichts mehr.
Ardian saß auf dem Sofa, machte einen etwas unsicheren Eindruck, wirkte irgendwie vollkommen fehl am Platz. Das Ganze sah so absurd aus, dass ich, wäre da nicht die Hülle, warscheinlich, im Rausch der Drogen, laut los gelacht hätte. So feierte also nur meine, tief im Inneren, eingesperrte Persönlichkeit. Mein, mittlerweile dauerhaft, zugedröhntes Hirn realisierte die Bewegungen seines Mundes erst, als es bereits zu spät war, um etwas zu hören. Kurz erwog ich es, nachzufragen, entschied mich dann aber für das eiserne Schweigen. Er schwieg ebenso, schien nicht mehr zu wissen, was er sagen soll. "Wie ist das mit deiner Mutter passiert, wenn ich fragen darf?", drang seine Stimme in meine dunkle Welt der Ruhe. Sofort begann ein Sturm an Gefühlen in mir zu toben, von Wut über Trauer bis hin zum Selbsthass waren alle, größtenteils, negativen Emotionen darin vertreten. 'Er soll gehen. Schick ihn weg!' Ich stand auf, sah ihn ausdruckslos an und bat dann ganz freundlich, dass er doch bitte gehen soll.

Sein Blick war so unendlich traurig und enttäuscht gewesen, als ich ihn vor die Tür setzte. Jetzt, wenn ich daran dachte, blutete mir das Herz bei seinem Anblick. 'Das war das Richtige!'

Drugs ● Ardy (Reupload) Where stories live. Discover now