1. Kapitel

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Ich stand am Abgrund, am Abgrund meines Lebens. Nichts war mehr so, wie es einmal hätte sein sollen. Nichts war schön, die Menschen mussten endlich ihre rosaroten Brillen absetzen und begreifen, dass sie nicht alles schön reden konnten. Manche Dinge musste man einfach akzeptieren, musste sie in sich aufnehmen, sie mussten ein Teil von einem werden.
So auch der Schmerz, nicht nur der körperliche Schmerz, den ich immernoch täglich verspürte, nein, auch der seelische Schmerz musste Teil meines Ichs werden, um zu vermeiden, den Verstand zu verlieren. Fühlte es sich anfangs auch noch so schrecklich, qualvoll an, so war der Erfolg doch ansehnlich.
"Viviana, Viviana hörst du mich?", die Stimme, anfangs nur sehr leise, dann immer lauter, drang in mein Bewusstsein ein, holte mich langsam aus den tiefen meiner Selbst zurück in die Gegenwart. Eine leidvolle Gegenwart.
Vor mir hatte sich die Neue meines Vaters aufgebaut, wer auch sonst nannte mich noch Viviana? Sie fuchtelte die gesamte Zeit, wie wild, mit ihren Händen vor meinem Gesicht herum und redete dabei stetig auf mich ein. "Bist du Epileptiker oder geistig behindert?", fragte ich genervt, blinzelte einmal kurz und starrte sie dann erbost an. "Na also hör' mal junges Fräulein!", echauffierte sie sich. Ich schaltete sofort wieder ab, ließ sie einfach reden, schimpfen, ach mir war doch sowieso egal, was diese Schnepfe für ein Problem mit mir hatte. Sie war eine dieser verwöhnten Frauen, die sich nur reiche Männer suchten, um in Luxus leben zu können. Wie sehr ich solche Arten von Menschen doch hasste. Es gab nur sehr wenige Personen, die ich noch um mich herum haben wollte und sie war definitiv Keine davon.
Kurzerhand erhob ich mich vom Sofa und trabte in mein Zimmer, ohne dieser Frau auch nur noch einen Blick zu gönnen. Die Tür schloss ich hinter mir ab, um zu vermeiden, dass sie mir folgte und weiter versuchte Konversation zu betreiben, denn ihr Verstand reichte nicht einmal an den eines Brotes heran, geschweige denn konnte sie sich mit mir auf eine geistige Höhe stellen. "Viviana! Ich soll mit dir reden!", von draußen hämmerte die Wasserstoff-Blondine gegen meine Zimmertür, "Mach auf!" "Sorry Katjana, ich glaube nicht, dass du dich mit mir geistig duellieren möchtest, solange du unbewaffnet bist!", rief ich zurück, woraufhin es kurz still wurde. Sie versuchte warscheinlich gerade mit ihrem Spatzenhirn zu erfassen, was ich da soeben gesagt hatte.
Seufzend sank ich in meine Couch, die in einer Ecke meines Zimmers stand und nahm das Buch vom Tisch neben mir. Ein ganzes halbes Jahr. Das Einzige, was ich mir momentan geben konnte. Langsam, aber sicher, versank ich immer tiefer in der Handlung dieses Romans, vertiefte mich komplett in die Handlung und vergaß darüber hinaus die Zeit. Immer diese Zeit. Jeder denkt immer, weil sie so begrenzt ist, müsse er hetzen, doch gerade weil so wenig Zeit vorhanden ist, sollte man jede Sekunde seines Lebens genießen. Ich hatte am eigenen Leibe erfahren, was es bedeutet, wenn die Zeit plötzlich abgelaufen ist, obwohl man hätte noch ein ganzes Stück weiterleben wollen. Gegen das Schicksal kommt nunmal niemand an.
Ich seufzte tief auf, als meine eigenen Gedanken mich aus meiner Bücherwelt herausrissen. Ich hasse meine Gedanken, mein Leben, einfach alles. Es gab nichts und niemanden auf der Welt, auf den ich keinen Hass hatte.
Draußen war es bereits dunkel, so dunkel, wie in meinem Inneren, rabenschwarz.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es Zeit war feiern zu gehen, alles zu vergessen und sich mal ein wenig zu entspannen. Vielleicht würde sogar ein kleines bisschen Sex für mich dabei herausspringen.
Manch einer möchte mich für krank halten, ich hingegen weiß, dass ich nur versuche mich vor dem Tod zu bewahren. Irgendwie muss ich wieder lernen zu fühlen und ohne Alkohol und Drogen ist es mir einfach nicht mehr möglich. So gern ich mein Leben in andere Richtungen gelenkt hätte, ich habe niemanden. Ich bin niemand. Ich will niemand sein.

Meine alten Freunde aus der Schule oder aus Vereinen, in denen ich einst trainiert habe, konnte ich vergessen. Es waren alles solche Spießer, wie man sie aus Büchern kennt. Menschen, die mit alkoholisierten, Drogen nehmenden Menschen nichts zu tun haben wollten, die sich von allen 'unzivilisierten' Partys fernhielten und stattdessen auf irgendwelche Feste in Ballkleidern gingen und Walzer tanzten. Mit denen würde ich keinen Schritt in einen Club setzen können, würde sogar meinen Arsch darauf verwetten, dass sie schon einen Kilometer vorher das Weite suchen würden. Aber gut. Nichts war unmöglich. Ich für meinen Teil hatte gar keine Lust auf eine derartige Person, mit der ich seit Ewigkeiten schon nicht mehr gesprochen hatte.
Da ich allerdings in solchen Kreisen aufwuchs, hatte ich leider keinerlei Kontakte nach außen in, in die andere Szene, weshalb ich von Anfang an immer allein feiern ging.
Der Club ist nicht weit von meinem Zuhause, man musste nur das Stadtviertel wechseln. Aus dem Reichen in das 'Normale' hinein und schon vernahm man die Bässe der Bars, die die Luft zum Vibrieren bringen. Ich beschloss den nächstbesten aufzusuchen, um nicht weiter sinnlos Zeit zu verschwenden.
"Wie alt bist du Kleines?", fragte der Türsteher mich. "18.", meinte ich bestimmt, hob mein Kinn ein wenig an und klimperte ihn ein wenig mit den Augen an. Seufzend ließ er mich, konnte es sich aber nicht verbieten, mir noch einen kräftigen Klaps auf den Hintern zu verpassen. Grinsend drehte ich mich zu ihm und streckte meinen Mittelfinger in die Luft.
Mein erster Gang führte mich zum Thresen. "Einen doppelten Wodka, bitte." Einer der Barkeeper nickte, fing an etwas in ein Glas zu schütten und stellte kurz darauf meine Bestellung vor mich. Ich legte das Geld in seine Hand und kippte das stark alkoholische Getränk mit einem Mal hinter. So ging es die nächste halbe Stunde weiter, bis ich bereits bemerkte, wie sich alles um mich herum drehte. Vorsichtig stieß ich mich vom Hocker ab, taumelte in Richtung Tanzfläche und zog Währenddessen mein Top ein wenig weiter runter, sodass meine Oberweite noch viel mehr zur Geltung kam.
In der einen Ecke des Clubs sind die Raucher untergebracht, doch wollte ich dort nicht unbedingt hin, weshalb ich mich letztendlich mitten auf der Tanzfläche wiederfand.
Irgendwann im Laufe des Abends und etliche weitere alkoholische Getränke später stand ich, von einem Typen, dessen Namen ich gehört, aber sofort wieder vergessen hatte, an die Wand gepresst, in dem immernoch vollen Club und ließ mir von ihm die Zunge in den Hals stecken. Voller Lust wanderte sein Mund immer wieder tiefer, in die Richtung meiner Brust, dann wieder nach oben, blieb kurz, saugend an meinem Hals, ehe er seine Zunge wieder in meinem Hals versenkte. Meine eigene Lust wurde durch den übermäßigen Alkoholkonsum nur noch mehr angestachelt, genauso mein Mut zu solchen waghalsigen Aktionen. "Ge-hen wia su mia?", fragte mich der Typ lallend, woraufhin ich bloß nickte und wir dann beide taumelnd, uns gegenseitig stützend den Club verließen.
Er wohnte scheinbar ein Stückchen weit weg, denn wir stiegen in ein Taxi, wo die Knutscherei fortgesetzt wurde. Währenddessen ließ ich, ermutigt vom Alkohol, meine Hand langsam sein Bein nach oben wandern, immer näher zu seinem Schritt. Kurz davor machte ich wieder Kehrt und wanderte zurück in die Richtung seines Knies, ehe ich die Prozedur von neuem beginnen ließ. Er stöhnte während des Küssens auf und nagte an meiner Unterlippe. Vorsichtig glitt einer seiner Hände unter mein T-Shirt, in meinen BH und streichelte meine Brustwarze.

Am nächsten Morgen erwachte ich mit den Kopfschmerzen des Todes in einem fremden Bett, neben einem fremden Mann. Sofort sprang ich auf, sammelte meine Kleidungsstücke zusammen und rannte aus der Wohnung. Ein ganz normaler Morgen nach einem Clubbesuch. Alltag bei mir.
Selbst wenn manch einer mich jetzt als Schlampe darstellen würde, habe ich doch meine Gründe, weshalb ich bin so, wie ich bin.
Zuhause befand sich keine Person. Niemand. Ich war wiedermal allein. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel: Viviana. Wir sehen uns in zwei Wochen. Katjana ist mitgefahren. Papa.
Frustriert knüllte ich das Stück Papier zusammen und warf es in den Müll. Danach nahm ich ein Aspirin und legte mich ein wenig in mein eigenes Bett, das letzte Nacht wiedereinmal unbenutzt geblieben war. Ich hatte den Überblick verloren, wann ich zuletzt hier geschlafen hatte. Die meisten Nächte hatte ich, seit dem Tod meiner Mutter, sowieso in den Betten besoffener Männer jeden Alters verbracht. Ist man selbst betrunken genug, nimmt man den Erstbesten.
Nach einer viertel Stunde stand ich wieder auf, fand einfach keine Ruhe, konnte mich nicht entspannen. Ich betrat das Bad, öffnete den kleinen Medizinschrank und räumte das unterste Fach leer. Dann fuhr ich mit leicht zitternden Fingern am Rand entlang, bis ich die Stelle gefunden hatte. Der zweite Boden des Schränkchens sprang mir entgegen und entblößte ein weiteres kleines Fach, dem ich jetzt eine kleine Dose entwendete. Darin waren Pillen, winzige Pillen. Eine davon nahm ich heraus und legte sie mir auf die Zunge, wo sie sich sofort auflöste. Ich steckte das Döschen zurück, räumte alles wieder ein und schloss den Schrank.
Langsam setzte die Wirkung der Pille ein, doch wollte ich das Ganze etwas länger haben, weshalb ich zum Tabakschrank im Wohnzimmer torkelte und mir aus dem Bestand meines Vaters ein Filterpapier klaute, um mit dem Haschisch, welches ich in meinem Zimmer versteckte, einen Joint zu drehen. Er wurde die Wirkung der kleinen Pille verstärken, ich würde für einen kurzen Moment vergessen können, wie scheiße mein Leben doch ist.

Drugs ● Ardy (Reupload) Where stories live. Discover now