4. Kapitel

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Ardian. Dieser Name ging mir, während des gesamten Heimweges nicht aus dem Kopf. Mein Körper schrie förmlich nach einer Pause, nur einer klitzekleinen Pause, meine Hände zitterten, zwar noch nicht so stark, aber dennoch merklich.
Endlich an unserem Haus angekommen, zitterte ich mittlerweile so stark, dass ich kaum das Schlüsselloch traf. Das Erste, als ich endlich aufgeschlossen hatte, war der Gang zum Badezimmer, danach der Griff in mein Geheimschränkchen und dann endlich die erlösende Pille. Schon nach kurzer Zeit spürte ich, wie es mir besser ging. Vorsichtig legte ich die Dose zurück und verschwand in mein Zimmer. Zum ersten Mal seit längerem schlief ich wieder in meinem Bett, fühlte sich unecht an, hier zu schlafen, mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass in diesem Haus auch meine Mutter gwohnt hat, die mein Vater so einfach durch ein blondes Flittchen ersetzte. Mir kamen die Tränen, wütend versuchte diese wegzublinzeln, doch es half alles nicht. Immer stärker flossen sie meine Wangen hinunter, mein Körper wurde von starken Schluchzern geschüttelt. Irgendwann schlief ich ein, doch träumte ich von seltsamen Dingen, traurigen Geschehnissen, musste feststellen, dass ich meine gesamte Situation nicht zu verarbeiten wusste. Und dann kam Ardian in meinen Traum, er saß nur in der Ecke eines Raumes, doch gab er mir sofort Kraft, sofort fühlte ich mich besser, geborgen.

Am nächsten Morgen erwachte ich nicht wirklich früh, aber auch nicht zu spät. Schule ging mir sowieso am Anus vorbei, mein Vater hatte das Thema scheinbar auch schon wieder verdrängt, da er mich nicht geweckt hatte. Es war 10 Uhr und trotz des, theoretisch ausreichenden Schlafes, fühlte ich mich wie erschlagen. Mein Kopf tat weh, meine Augen brannten, meine Hände zitterten schon wieder und ein Blick in den Spiegel zeigte mir ein dünnes, zerbrechlich aussehendes Mädchen mit tiefdunklen Augenringen, leicht geröteten Augen und müdem, kaputtem Blick. Seufzend klatschte ich mir ein wenig Make-up ins Gesicht, um nicht ganz so ausgekotzt auszusehen und zog mir dann, ganz klassisch, eine schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt an. Meine Haare ließ ich einfach offen, Frisuren werden heutzutage sowieso überbewertet.
Draußen war es windig, kalt, aber irgendwie spürte ich das gar nicht wirklich. Langsam lief ich unsere Straße entlang, wollte zum Rhein, allein sein. Ich hoffte es würde nicht anfangen zu regnen, aber da es ja nur ich war, prasselte fünf Minuten, nachdem ich aus dem Haus gekommen war, auch schon der Regen auf die Erde hernieder. Genervt suchte ich mir einen Hauseingang und stellte mich hinein, um zu verhindern noch nässer zu werden, als ich schon war. Erschöpft setzte ich mich auf die Stufen, vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte das leichte Zittern dieser zu ignorieren. Natürlich musste es jetzt wieder anfangen, als ob mir nicht schon kalt genug war, durch Regen und Wind, kam jetzt auch das Zähneklappern wegen des Entzugs dazu. Ich hätte daran denken sollen und mir wenigstens ein oder zwei der kleinen Pillen einpacken sollen. Frustriert fuhr ich durch meine langen, dunklen Haare und versuchte meine Unruhe vor den Fußgängern mit Regenschirmen zu verbergen. Ich wollte nicht angesprochen werden, denn dann würde garantiert irgendjemand fragen, was denn los sei. Ich glaube, die Antwort, dass man seine Tabletten Zuhause vergessen hatte, würde nicht gut ankommen, erstrecht nicht in so einem Viertel. Der Regen wurde einfach nicht schwächer, ganz im Gegenteil verstärkte sich der Sturm sogar noch, bließ aber zum Glück nicht direkt in meine Richtung, sodass ich im Hauseingang halbwegs geschützt herum sitzen konnte.
Plötzlich öffnete sich die Tür hinter mir, panisch sprang ich auf, mitten auf den Bürgersteig. Als ich mich umdrehte, starrte mir ein Junge entgegen, der nicht viel älter war, als ich. Ok, mal wieder, wird langsam zur Gewohnheit, dass es nur noch junge Menschen gibt, die scheinbar alle plötzlich Ähnlichkeit mit Ardian haben. Stopp Vive! Schluss. "Hey", meinte der Fremde im Türrahmen, "Du kannst ruhig hier sitzen bleiben." "Ich, ähm, ich muss weg.", damit lief ich wiedermal davon. Die Straße zurück, zu unserem Haus, meine Pille nehmen, um endlich wieder klar denken zu können, meine Hände zitterten zwar noch nicht so stark, wie am vorherigen Abend, doch konnte man es bereits wahrnehmen, wenn man darauf achtete. Wann bitteschön war ich abhängig geworden? Wann hatte ich aufgehört darüber nachzudenken, ob ich sie nehme oder nicht? Seit wann brauchte ich die Tabletten? Tausende Gedanken rasten durch meinen Kopf, ließen mich verwirrt zurück, mit weiterhin zitternden Händen und einem extrem schlechten Gewissen. Mir blieb nichts anderes übrig, als eine weitere Pille zu schlucken, mir wurde übel, ich stürzte zur Toilette und übergab mich im nächsten Moment.

Mein Bett fühlte sich unglaublich gut an, die weichen Kissen, die warme Bettdecke. Mit den schrecklichsten Kopfschmerzen der Welt gesegnet, drückte ich mein Gesicht in die Laken und versuchte irgendwie die Schmerzen zu verdrängen. Ich wünschte mir wieder normal werden zu können, jetzt plötzlich wollte ich mein altes Leben wieder, wollte nicht als Drogenabhängige enden. Ich will das alles nicht!

Ich muss eingeschlafen sein, denn als ich meine Augen öffnete war es finster in meinem Zimmer. Vorsichtig richtete ich mich auf, rieb mir die Augen und setzte meine Füße auf den kalten Boden. Es war still im Haus, niemand schien da zu sein, warscheinlich war mein Vater auf Arbeit und sein Flittchen irgendwo auf dem Strich, wo er sie geklaut hatte. Seufzend fuhr ich mir über das Gesicht, ich fühlte mich verschwitzt, irgendwie gar nicht gut. Kurzerhand sprang ich unter die Dusche. Ok, springen konnte man das nicht nennen, ich schleppte mich förmlich ins Badezimmer und ließ das Wasser an. Die Tür hatte ich einfach offen stehen gelassen, es war ja niemand im Haus. Sobald das warme Wasser auf meine Haut traf, entspannten sich meine verkrampften Muskeln, ich konnte mich ein wenig besser fühlen.
Nachdem ich fertig war, zog ich mich an und wagte mich ein weiteres Mal an diesem Tage auf die Straße. Es regnete nicht mehr, der Wind bließ zwar noch, aber auch nicht mehr so stark, wie noch ein paar Stunden zuvor. Es war schon 21.34 Uhr, demnach waren nicht mehr viele ältere Menschen auf der Straße unterwegs. Diesmal hatte ich daran gedacht mir wenigstens drei der Pillen einzupacken, um vorbereitet zu sein, wie ich versuchte mir einzureden. In Wirklichkeit hatte ich sie nur mit, weil ich abhängig bin. Ja, ich bin eine verdammte Drogenabhängige. Allein bei dem Gedanken kamen mir die Tränen, ich wischte sie frustriert weg. 'Nimm doch lieber noch eine Tablette.' Was war das für eine Stimme? Verwirrt sah ich mich um, doch niemand in meiner Nähe sah so aus, als würde er mit mir sprechen. Schulternzuckend wandte ich mich wieder um und lief weiter, die Gedanken an Drogen verdrängend.
Abprubt blieb ich stehen, als ich merkte, dass meine Füße mich auf den Club von gestern Abend zu trugen. Insgeheim hatte ich gehofft, dass ich Ardian wieder treffen würde, doch hielt mich mein Verstand davon ab, dorthin zu gehen. Er würde mich sowieso bereits vergessen haben. Ich machte also auf dem Absatz kehrt und zwang meine Beine, mich in die entgegengesetzte Richtung zu tragen.
Irgendwann kam ich am Rhein an, setzte mich ans Ufer und ließ meinen Blick über das glitzernde Flusswasser gleiten. Die Wiese war zwar ein wenig feucht, durch den Regen am Vormittag, doch würde man es im Dunkeln sowieso nicht sehen, wenn dort ein nasser Fleck auf der Hose ist. Langsam legte ich meinen Kopf in den Nacken und beobachtete den Himmel, der noch nicht ganz schwarz ist, aber dennoch dunkelte es schon.
Ich wollte nicht schon wieder eine Pille nehmen, würde nur den Augenblick zerstören, diesen Augenblick meines inneren Friedens, doch spürte ich bereits, wie mein Körper wieder danach verlangte. 'Komm schon. Du brauchst das, sonst gehst du vor die Hunde.' Da war wieder diese Stimme, die mich ermutigte es zu tun, ich wusste nicht, wann ich angefangen hatte, imaginäre Stimmen zu hören. 'Ist doch egal. Jetzt nimm so eine Tablette und ich bin erstmal weg.' Ich glaubte verrückt zu werden, doch hörte ich auf mich gegen meinen Körper zu stellen und schluckte eine der Pillen, die ich zur Sicherheit eingesteckt hatte. Manche würden bei Drogen vielleicht die Wirkung beschreiben, dass sie alles viel kräftiger wahrnahmen oder irgendein Glücksgefühl sie durchströmt. Ich spüre nichts, wenn ich diese Tabletten nehme, nichts außer Ruhe und mittlerweile ein sehr schlechtes Gewissen, wann immer ich dem Drang nachgebe.
Seufzend versuchte ich wieder in mich einzutauchen, meine Ruhe wiederzufinden, doch quälte mich das Gewissen.
Als mich plötzlich jemand auf die Schulter tippte, stand ich einem Herzinfarkt sehr, sehr nahe. Diese schreckliche Angewohnheit eines jeden, mich auf die Schulter zu tippen, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ich fuhr reflexartig herum, wollte schon zuschlagen oder denjenigen wenigstens eine Beleidigung an den Kopf werfen, als mir diese grauen Augen auffielen, die mich gestern schon so interessiert gemustert hatten. Mein Herz machte einen Freudensprung, woraufhin mein Verstand es am liebsten abgestochen hätte, aber gut. "Hey.", meinte Ardian lächelnd, ja, er lächelte wieder, diesmal allerdings nicht so übertrieben, sondern eher zurückhaltend. "Hi.", gab ich zurück, musste aber den Blick von ihm abwenden, da ich mit einem Mal so unsicher war. Ich hatte Angst, Angst dass er irgendetwas merken könnte, etwas, von dem ich mir noch nichtmal sicher war, dass es existierte.

Drugs ● Ardy (Reupload) Where stories live. Discover now