XIV

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Ivanaka

Ich lief einen stehenden, weißen Fluss entlang. Er führte ins Nichts. Ich war im Nichts. Es existierte weder Jetzt noch Zukunft oder Vergangenheit.

Barfuß glitt ich durch das lauwarme Wasser, das mir gerade mal bis zu den Knöcheln reichte. In weiter Ferne vor mir baute sich eine helle Wand auf. Dort war mein Ziel. Aber ich lief ganz gelassen weiter. Ich hatte nun keine Eile mehr. Keine Schmerzen, keine Schuldgefühle.

Doch nachdem ich auch nur ein paar weitere Schritte gemacht hatte, hielt mich eine unsichtbare Kraft auf. Noch eine Wand. Sie bestand aus Wasser, doch war nicht nass. Als ich meine Hände daran legte, zogen sich Wellen über die transparente Ebene.

Was zum-, flüsterte ich in meinem Kopf, aber meine Worte hallten an diesem Ort zwischen den Welten laut wider, als hätte ich sie gesprochen.
Du bist noch nicht fertig.
Ich erschrak und drehte mich ruckartig um. Ich brauchte kurz, um mich zu erinnern. Ykata.

Seine Erscheinung war anders, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er sah älter aus. Und zufrieden. Friedlich und im Reinen mit sich selbst, dass er ebenfalls dieses grelle weiße Licht wie dieser Ort ausstrahlte.

Ich musste lächeln, als auch Ykata mich anlächelte. In seinem Lächeln lag jedoch noch etwas Düsteres.
Du bist noch nicht fertig, Ivy., hallte auch seine Stimme an diesem Ort, ohne dass er die Lippen bewegte.

Ich drehte mich nochmal zu der durchsichtigen Wand um, die es mir nicht erlaubte weiterzugehen. Die helle Wand in der Ferne verschwamm langsam. Es sah so aus, als würde sich das Loch, der Durchgang für mich, langsam schließen.

Ich drehte mich wieder um. Zurück zu meinem Bruder. Sein Licht verschwand, es wurde schwächer. Und als hätten meine Gedanken es beschrien, brach der Ort, an dem ich mich befand, in zwei. Hinter meinem geliebten, großen Bruder klaffte ein gefräßiges tief violett-schwarzes Loch.

Da, wo ich hergekommen war.

Ich schüttelte den Kopf. Nein. Ich hatte es doch geschafft. Ich würde doch in den Himmel kommen. Zu meinem Bruder. Ich trommelte mit den Fäusten gegen die wellenartige, undurchdringliche Wand.
Bitte., schrie ich. Bitte! Vergeblich.

Eine Träne lief über meine Wange, als Wärme auf meine Schulter traf. Ich wandte mich um und sah in die hellgrünen Augen, die gleichzeitig trüb und rein waren. So viel heller als meine matten, glanzlosen, grünen Augen. Seine Hand weilte auf meiner Schulter.

Du hast es so weit geschafft, aber du bist noch nicht fertig. Es tut mir leid, dass es so kommen musste. Du wirst immer einen Platz in meinem Herzen haben, kleine Schwester.
Auch wenn es die Gestalt meines Bruder hatte, beschlich mich ein Gefühl der Fremde. Das war nicht Ykata. Zumindest jetzt nicht mehr.

Ich trat einen Schritt von ihm zurück. Auch der Engel, der vor mir stand, nahm würdigen Abstand. Er wandte den Kopf wie in Zeitlupe zu dem dunklen Riss um. Ich wollte nicht zurück. Nie wieder.

Es ist deine Bestimmung. Du hast das Potenzial. Es liegt an dir, die Menschen zu retten. Du musst dich nur erinnern., raunte die himmlische Gestalt in einem Ton, der jung und alt gleichzeitig war.

Sie ist es nicht, die du fürchten musst. Es ist er, gepaart mit ihrem Können.
Ich verstand kein Wort. Doch als ich nachfragen wollte, wen er damit meinte, war er - oder es  - bereits verschwunden.

Der dunkle Spalt im Raum zwischen Himmel und Hölle riss weiter auf. Die Dunkelheit breitete sich in dünnen Linien, die aussahen wie menschliche Blutadern, immer weiter aus und verschlang jedes helle Licht. Ich ballte die Fäuste.

Der Raum würde zusammenbrechen, wenn ich nicht zurückging. Und die unsichtbare Barriere würde sich auch dann nicht für mich öffnen. Ich atmete tief ein und aus. Ja, ich musste zurück. Es gab keinen anderen Weg.

Auf einmal wurde mir schwindelig. Ich schwankte zwei Schritt zur Seite, dann vorwärts. Ein Schrei legte sich auf meine Ohren, der mir für ein paar Sekunden jede Orientierung nahm.

Als ich mich wieder fing, war meine Sicht verschwommen. Die Schwärze hatte mich fast erreicht, so weit hatte sie sich ausgebreitet.

Plötzlich breitete sich eine mächtige dunkle Präsenz in mir aus. Die Dämonen, waren sie hier? Doch mein Körper zitterte diesmal nicht.

Dort stand eine Frau in den Schatten des schwarz-violetten Riss'. Die Dunkelheit kräuselte sich nur so um sie. Eine frische Ausgeburt der Hölle.
Sie hatte kalkweißes Haare. Die Haut genauso weiß, sodass ihre blutroten Lippen brutal herausstachen. In ihren Augen lag nichts lebendiges. Sie waren in schwarzen Nebel gehüllt und Dampf stieg aus ihnen hinaus, als könnte ihr Körper die ganze Schwärze ihres Inneren nicht im Zaum halten.

Schwarze, enge Kleidung betonte ihren trainierten, schlanken Körper mit den perfekten Kurven. Zu Lebzeiten hätte ich für so einen Körper gemordet. Nicht nur für den Körper. Ihr ganzes Auftreten war so einnehmend und majestätisch, dass ich am liebsten im Boden versunken wäre.

"Das ist doch keine Art, wie man abtreten sollte, nicht wahr?" Ihre Stimme ließ mich innerlich aufschreien. Sie klang ruhig, kristallklar und verführerisch. Verführerisch auf die Weise, die dich umbringt. Die dir tief in die Augen sieht und dir mit einem Lächeln das Messer ins Herz sticht.

Und nun lächelte sie auch noch. Das Böse schlängelte sich um ihre spitzen Zähne, als ihr Lächeln zum Grinsen wurde. "Zahlen wir es ihnen heim." Und ich nahm die Hand des Dämons, die sie mir hinhielt. Sie fühlte sich nicht fremd an. Zurück in die Hölle.

Blended Blood || Demon Slayer DoumaWhere stories live. Discover now