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Es war ein komisches Gefühl. Zwei Jahre war es nun her. Dabei könnte ich schwören, seine Stimme draußen im Flur zu hören.

Schneller, Ivy! Wir kommen zu spät, Ivy! Du musst in Bewegung bleiben, Ivy!

Ich hasste es, wenn er mich so nannte. Eigentlich. Heute vermisste ich es. Seine ständigen Befehle. Er war ein unglaublich intelligenter Mensch gewesen. Und ein Krieger. Hatte auf eine Heirat verzichtet, um mich aufziehen zu können, da unsere Eltern es nicht konnten. Mein Bruder hatte mich geliebt. Auf seine Weise.

"Es tut mir leid, großer Bruder.", flüsterte ich heiser zu ihm, als stünde er hinter mir. Er tat es nicht. Er würde es nie wieder tun. Aber das war in Ordnung. Ich hatte mich damit abgefunden. Damals hatte ich nicht einmal eine Träne vergossen. Respektlos, nicht wahr? Aber er hätte es nicht so gewollt. Er hat sich immer etwas Besseres für mich gewünscht und hatte gesagt, mich erwarte ein großes Schicksal.

Seit zwei Jahren arbeitete ich nun in dem Labor, genau an der Stelle, wo er gestorben war, um mein eigenes Geld zu verdienen. Als 'großes Schicksal' würde ich das nicht bezeichnen, aber die Arbeit lag mir. Auch wenn ich die Beförderung wahrscheinlich aus Mitleid bekommen hatte.

Mit meinem Tod würde der Name meiner Familie aussterben. Und dafür würde ich auch keine Träne vergießen. Ich fing kurz nach dem Tod von Ykata, meinem Bruder, an, ihn zu beneiden. Er konnte bei ihnen sein, meiner Familie. Doch Unglücke passierten ständig und erst recht in einer Gegend wie hier. Abgelegen vom Rest der Menschen.

Schon unsere Großeltern hatten hier in der Gegend gewohnt, weil sie dachten, abgelegene Orte hielten die bösen Geister fern. Dass die bösen Geister in Wahrheit fleischgewordene Dämonen waren, glaubten sie zu ihren Lebzeiten noch nicht. Meine Generation hingegen war dort etwas weiter. Wenn auch nur die wenigsten.

Aber ich wusste es. Dort draußen gab es sie. Im Dunkeln warteten sie und sangen ihre süßen Lieder, um dich anzulocken und zu verspeisen wie Torte.

Mir knurrte der Magen. Es war sowieso schon längst Zeit, mich fertig zu machen. Die Sonne stieg gerade hinter den Bäumen in der Ferne auf. Der Himmel sah aus wie ein Blutbad. So hatte es auch ausgesehen, als ich meinen Bruder tot an seinem Arbeitsplatz gefunden hatte. Ein Unfall. Ein so dummer Unfall.

Ykata war immer vorsichtig und konzentriert gewesen. Allein sein Training, das er teilweise an mich weitergegeben hatte, hätte ihn retten sollen. Doch eine Explosion giftigen Gases konnte wohl auch den achtsamsten Mann zu Fall bringen.

Der Tag brach an, meine Dämonen der Nacht verzogen sich in die dunkle Ecke meines Schlafzimmers und ich setzte die Maske auf, die mich tagsüber auf den Beinen hielt. Die mir ein Leben schenkte.

Als ich gerade mein Frühstück eingepackt hatte, um zur Arbeit zu gehen, klopfte es an meiner Tür. Und meine Finger griffen automatisch nach dem Küchenmesser auf der Theke. Doch das musste Unema sein. Eine Nachbarin.

Ich öffnete ihr die Tür und lächelte. Sie strahlte wie die Sonne. Mit dieser Leichtigkeit, die ich auch einmal gehabt hatte. Plötzlich erlosch ihr Lächeln. "Ivanaka, das Messer.", stammelte sie und deutete mit leicht zitternder Hand auf meine linke.

"Entschuldige.", kicherte ich, "Alte Angewohnheit."
Ich tat es mit einem weiteren Lachen ab und legte das Messer aus der Hand. "Eine Gewohnheit, an die ich mich nie gewöhnen werde.", hauchte Unema nervös. Ich sah sie erwartungsvoll an. "Ach ja, entschuldige.", stammelte sie weiter, "Wir feiern heute Abend den Geburtstag eines Freundes. Ich wollte fragen, ob du dich zu uns gesellen wirst? Du scheinst in letzter Zeit.. einsam zu sein. Vielleicht hast du ja Lust und-", ich unterbrach sie. "Ich habe zutun.", log ich, "Aber vielen Dank."

Unema hatte Ykata geliebt, auch wenn sie es nie zugegeben hatte. Aber sie hatte auch nie verstanden, warum wir uns von allen anderen abgeschirmt hatten.

Ykata hatte mich unter anderem heimlich in der Kunst mit dem Katana ausgebildet. Er brachte mir bei, wie man es richtig hielt und schwang. Er erzählte mir auch, dass es eine Gruppe von sehr mächtigen Menschen gab, die einzig und allein dafür geboren waren, Krieger zu werden und Dämonen zu töten.

Er erzählte ebenfalls, dass er mal einer sogenannten "Säule" begegnet sei. Aber ob das alles auch wirklich stimmte, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Er war, neben seiner Faszination für seine Arbeit, geradewegs süchtig nach Wissen über Dämonen und diese Säulen gewesen, die man wohl auch ganz einfach Dämonenjäger nannte.

Uma warf mir ein karges Lächeln zu. Das tat sie recht häufig, wenn ich ihre Angebote ablehnte. "Schade, hab einen schönen Tag."

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"Dr. Otokoma!", schallte die Stimme meiner Assistentin durch die Anlage, die zum Labor führte.

Bereits als ich angekommen war, hatte mich ein ungutes Gefühl gepackt. Auf dem Gelände unserer Basis standen wieder mehrere Wagen der örtlichen Sicherheitseinheit. "Dr. Otokoma!" Keuchend erreichte sie mich. Ihre Augen waren weit und besorgt aufgerissen.

"Was ist passiert?", fragte ich besorgt und legte eine Hand auf ihre Schulter. "Es ist wieder passiert.", war alles was sie sagte.

Das dritte Mal in vier Wochen.

Weiter hinten wurde eine Trage mit einer abgedeckten Person darunter wegtransportiert. Ich sah mich hektisch um. "Wer?", hauchte ich. "Ikashu. Einer der Nachtwächter."

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Seit mehreren Wochen lag ein Schatten über unserer Organisation. Das war nun der dritte Wächter, der verstümmelt, blutleer oder komplett zerfetzt aufgefunden worden war. "Die Leitung überlegt, die Arbeit einzustellen. Oder unsere Station zu verlegen.", flüsterte meine Assistentin. Sie sprach es nicht aus aber sie dachte das gleiche wie ich. Das waren keine Zufälle.

Ich ging meiner Arbeit nach. Heute war es noch ruhiger unter uns Ärzten und Wissenschaftlern als sonst schon.
Zwei Stunden bevor die Sonne unterging, wurden wir von der örtlichen Sicherheitseinheit und unserer Leitung persönlich aufgesucht.

Drei große, bewaffnete Männer blieben vor der Schleusentür des Labors stehen. Wir alle stoppten augenblicklich mit der Arbeit.
Das Endergebnis waren verkürzte Arbeitszeiten und eine Verlegung des Forschungslabors in drei Tagen. Diese Befehle musste ich mir zwei Mal durch den Kopf gehen lassen.

Die Leitung würde uns niemals verkürzt arbeiten lassen. Es sei denn.. Es sei denn, es wäre wirklich ernst. Die drei Männer vor der Tür sahen auch nicht gerade gelassen aus und ich konnte schwören, dass sie sich immer wieder zum Fenster umdrehten, um zu beobachten, wie hoch die Sonne stand.

In meinem Kopf verbreiteten sich Gedanken. Ahnungen.
Meine Kollegen um mich herum begannen zu raunen. "Mörder.. Serienkiller.. Geflohene Kriminelle des Gefängnisses, das in der nächsten Stadt war.."
Möglich. Möglich.

Blended Blood || Demon Slayer DoumaTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang