Kapitel 101

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Emmie

Emmie mochte ihren Fechtlehrer. Und Peyo ging es nicht anders.

Tamino konnte gut erklären. Er machte schräge Witze, auch über sich selbst und war äußerst geduldig. Besonders mit Peyo, der sich mit dem Gefühl von Pfeil und Bogen in seinen Händen etwas schwertat. Emmie hingegen wollte ihren Bogen nie wieder aus der Hand legen. Jetzt, am Wochenende, war ihr Lehrer zuhause. Bei seiner Familie. Sie bedauerte das ein kleines bisschen. Emmie stand im Garten und übte fleißig die Zielscheibe zu treffen. Es war viel schwerer, als sie erwartet hatte.

In den letzten Tagen war kalt geworden. Der nahende Winter schickte seine ersten Grüße. Am Morgen war der Rasen im Garten des Anwesens von dünnem Raureif überzogen. Doch nun war davon nichts mehr zu sehen.

Emmie fror nicht, während sie ihren Bogen spannte und auf die einfache Zielscheibe zielte. Sie verfehlte die Mitte nur um wenige Zentimeter. Zufrieden spannte sie ihren Bogen erneut. Tamino sagte, sie habe Talent. Genau wie Peyo, der trotz seiner Vorsicht direkt bei seinem ersten Versuch perfekt getroffen hatte. Darauf war Emmie ein kleines bisschen neidisch. Am Ende stellte es sich als reiner Glückstreffer heraus, und dennoch. Sie war stolz auf Peyo. Er traf die Zielscheibe öfters als sie. Meist nur am Rand, aber immerhin.

Fritz und Paula ließen sie jedoch nicht kämpfen. Etwas lächerliches, wie Emmie fand. Sie kämpfte seit ihrer frühen Kindheit. Sie hatte bereits als Kleinkind gelernt, ihre Zähne zu nutzen. Sie war keine schutzbedürftige Teenagerin. Sie war eine Alpha Wölfin. Kein kleines Mädchen!

„Emmie? Guter Schuss!" Peyo kam mit zwei dampfenden Tassen, die nach Schokolade dufteten, zu ihr. Er betrachtete die vier Pfeile, die im Ziel steckten. Vier von insgesamt zehn verschossenen Pfeilen. Sie musste sie bald einsammeln. Ihr gingen die Pfeile aus.

„Danke!" Sie nahm eine der Tassen und wärmte ihre Hände damit. Heiße Schokolade. Das war jetzt genau das richtige.

Anders als Emmie war Peyo warm angezogen. Seine rotschimmernden Flügel zitterten in der Kälte. „Du brauchst eine Pause. Du stehst hier schon seit zwei Stunden. Paula sagt, ich soll dich reinholen."

„Sagt sie das?" Emmie grinste. „Ich bin mit dem Üben noch nicht fertig..." Seufzend setzte sie sich in das feuchte Gras. Peyo verzog erst das Gesicht, doch dann legte er seinen dicken Schal auf den Rasen setzte er sich neben sie.

„Der Boden ist kalt... und nass", brummte er mit verzogenem Gesicht. „Emmie? Du bist noch nicht fertig? Nach zwei Stunden?" Peyo schüttelte den Kopf. „Ich würde lieber ein Instrument lernen. Flöte vielleicht? Querflöte? Oder Harfe?"

„Harfe?" Emmie runzelte die Stirn. „Aber die klimpert doch nur so komisch..."

Peyo rollte mit den Augen. „Ich finde, die Harfe ist ein edles Instrument. Sie spielen zu können würde mir gefallen. Meine Eltern hatten nie das Geld um mir eine zu kaufen. Oder für Unterricht. Auch keine Flöte..."

„Hast du das Fritz und Paula gesagt? Das du dir ein Instrument wünschst?"

„Ja." Peyo nickte. „Vorhin. Paula meinte, ich könne gern beides ausprobieren."

„Beides?" Emmie grinste breit. „Du bekommst eine Flöte und eine Harfe?"

„Ja? Eine Querflöte. Und eine Harfe."

„Glückspilz. Aber ich denke, du solltest Pfeil und Bogen nicht aufgeben. Es wäre schade drum." Sie legte sich in das hohe Gras. Die feuchten Grashalme kitzelten ihre weichen Wolfsohren.

„Schade? Wieso das?"

„Nun, dann könnte ich dich nicht mehr schmachtend beim Bogenschießen anstarren!" Sie zwinkerte ihm zu.

Hexe - Die KöniginWhere stories live. Discover now