Kapitel 67

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Julia

Das Zelt stand und ein paar Harpyien brachten ihnen Früchte, kleine Gurken und heißen Tee. Nicht weit von ihrem Zelt entfernt bauten einige Harpyien ein großes, festliches Lagerfeuer auf, welches am Abend entzündet werden sollte. Sie warfen Julia und ihrer Familie neugierige Blicke zu, andere kamen, um sie zu begrüßen.

„Sie haben euch erwartet", erzählte Jane. „Es ist lange her, dass ich erfuhr, dass ihr alle zu uns kommen werdet. Damals lebte unsere alte Schamanin noch. Sie ist vor zwei Jahren verstorben. Das Alter. Sie schlief ein und wachte nie wieder auf."

„Das ist traurig", antwortete Julia.

„Nein. Sie hatte ein gutes Leben." Jane seufzte. „Sie wusste auch, dass ihr kommen würdet. Die Erste, Iris, teilte uns dies mit. Sie hatte eine Vision. Lange vor dir. Sie zeigte mir, was sie sah, und ich gab alles an unser Volk weiter. Sie sind vorbereitet. Wir Harpyien sind bereit, in die Schlacht zu ziehen!" Stolz zeigte sie auf die Harpyien, die das Lagerfeuer aufbauten. „Sie alle wollen frei bleiben und ihre Heimat beschützen."

Julia seufzte.

Auch sie wollte die vielen Völker beschützen. Doch wie würde ihre Mutter reagieren, wenn sie erkannte, dass Julia sich gegen sie stellte? Und wie lange mussten Sklaven noch leiden, bis Julia ihr Ziel erreicht hatte? Vielleicht erreichen würde? Was würde aus ihrer Heimat werden?

Es gab so vieles zu bedenken. Vieles, wofür sie selbst noch keine Lösung hatte, oder was ihr entfiel. Sie war doch fast noch ein Kind. Doch ihre Mutter war nur wenige Jahre älter gewesen, als man sie zur Königin krönte.

Sie ließ ihren Blick über die vielen Harpyien und ihrer Familie schweifen. Am liebsten wollte Julia nie wieder nach Hause zurückkehren. Leopold setzte sich zu ihr und küsste ihre Wangen. Sie lehnte sich an ihn, während Jane ihnen von der Stärke der Harpyien vorschwärmte. Und von ihrer Definition von Freiheit und Liebe. Schmunzelnd berichtete sie, dass ihre und Tinkes Hochzeit seit hunderten von Jahren die erste war, die gefeiert wurde.

Lea

Chloe hatte ihr endlich erzählt, was vorgefallen war, als die beiden allein in der Bibliothek waren. Shay und Benjamin Karten spielte Karten im Wohnzimmer. Vielleicht erzählte Chloe ihr deswegen, was geschehen war. Weil Benjamin sie nicht hörte.

Lea kochte vor Wut. Sie würde Frau Weich feuern! AM liebsten würde sie diese Frau kopfüber vom Dach der Akademie hängen lassen... Lea hatte Chloe versprochen, dass sie und Benjamin keinerlei Aufgaben mehr für die Akademie erledigen müssten. Ein Versprechen, für welches Chloe sie umarmte. Vor Erleichterung weinte das Mädchen und Lea hielt sie in den Armen, bis Chloe sich beruhigte.

Wenn Lea könnte, würde sie Frau Weich in das Gefängnis bringen und dort für immer einsperren. Aber laut den neuen Gesetzen, hatte Frau Weich keinerlei Fehler begangen. Lea würde sie dennoch feuern. Niemand rührte ihre Kinder an. Auch Shay würde keinerlei Aufgaben mehr für die Akademie übernehmen. Nein. Lea würde die drei beschützen. Gnadenlos, wenn es sein musste.

Sie brauchte dann natürlich eine neue Leitungsperson für die Wäscherei. Dieses Mal würde Lea die Bewerbungsgespräche alle persönlich führen...

„Worüber denkst du nach?", fragte Chloe. Sie hatte es sich mit einem der vielen Bücher aus der Bibliothek im Sessel vor dem Kamin gemütlich gemacht. Lea saß mit einer Tasse Tee auf dem Sofa und war eigentlich damit beschäftigt einen Brief an Fritz und ebenso einen an Ingried zu schreiben. Sollte sie auch Paul schreiben?

„Wenn ich Frau Weich kündige, brauche ich jemand neues für die Wäscherei", antwortete sie.

„Du kündigst ihr?" Chloe sah Lea erstaunt an. „Aber Frau Weich hat..."

„Und wie viele Diener würden noch leiden, wenn sie in der Wäscherei bleibt?" Lea seufzte. „Sie hat ein Verbrechen begangen. Auch wenn sie das Gesetz hinter sich hat! Ich werde jemand neues einstellen. Und alle Bewerbungsgespräche selbst führen."

„Als Prinzessin? Übernimmt das nicht sonst..."

„Hm." Lea grinste verschmitzt. „Auch eine Prinzessin kann Bewerbungsgespräche führen. Besonders, wenn sie eine Akademie leitet!"

„Das ist sicher spannend. Ein Bewerbungsgespräch...", murmelte Chloe. „Ich war noch nie bei einem. Und werde es auch nie."

Das brachte Lea auf eine Idee. „Möchtest du dabei sein?"

„Was?" Dem Mädchen viel beinahe das Buch aus der Hand.

„Möchtest du bei den Bewerbungsgesprächen dabei sein? Mit mir gemeinsam die Entscheidung fällen?" Lea zwinkerte ihr zu. „Die Person, die ich einstelle, darf nicht schlecht mit gebundenen Dienern umgehen. Und deine Meinung ist daher für die Entscheidung sehr wichtig, meinst du nicht?"

„Ich darf mitentscheiden? Wirklich?" Chloe lächelte. „Ja! Unbedingt! Und Benjamin? Nein. Das wäre nichts für ihn. Frau Weich hat ihm schlimm zugesetzt. Mehr noch... als mir."

„Spätzchen?" Lea stand auf, ging zu Chloe und nahm ihre Hände in die ihren. „Sie hat euch beiden schlimmes angetan. Aber keine Angst. Ihr müsst sie nie wieder sehen."

Chloe nickte mit Tränen in den Augen. „Nie wieder", sagte sie leise.


(c: sasi)


Hexe - Die KöniginWhere stories live. Discover now